Napoleon - Revolutionsvollender oder Beender?

8 Antworten

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Die Alternative (Napoleon Vollender der Französischen Revolution oder ihr Beender) würde ich differenziert beantworten. Gesichtspunkte können angeben und das Ausmaß der Aussage beschränkt werden. Beender ist Napoleon auf jeden Fall in der Bedeutung eines Stoppens gewesen. Eine Beurteilung als Vollender ist nur in wenigen einzelnen Bereichen zutreffend. Napoleon hat wieder eine Monarchie errichtet und die poltischen Teilhaberechte abgebaut.

Vollenden bedeutet, etwas zu vervollständigen, zu vervollkommnen, zu einem krönenden Abschluß zu bringen. Ein Vollenden ist damit in gewissem Sinn ein Beenden. Ein Beenden meint in der Alternative zu vollenden aber vor allem stoppen, beseitigen bzw. abschaffen.

Napoleon Bonaparte hat die Französische Revolution beendet. Er hat sie zum Stillstand gebracht, sich durch einen Staatsstreich (im November1799) an die Spitze gesetzt (zuerst wurde er Erster Konsul, dann 1804 Kaiser), Volkssouveränität und eine demokratische Wahl einer Volksvertretung abgeschafft. Andererseits hat Napoleon auch einen Teil der Errungenschaften der Französische Revolution bewahrt und zum Abschluß gebracht (die bedeutendste Leistung ist dabei wohl der Code civil). In seiner eigenen Sicht hat Napoleon sowohl die Revolution beendet als auch vollendet. Der Anspruch, ihr Vollender zu sein, kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden und ist in seinem Ausmaß nicht berechtigt.

Zur Veröffentlichung der neuen Konsulatsverfassung, die in einer Volksabstimmung bestätigt werden sollte, haben die Konsuln im Dezember 1799 eine Proklamation erlassen:

„La Constitution est fondeé sur les vrais principes du Gouvernement représentatif, sur les droits sacrés de la propriété, de l'égalité, de la liberté. Les pouvoirs qu'elle institue seronts forts et stable, tels qu'il doivents, être pour garantir les droits des citoyens et les intérêts de l'Etat. Citoyens, la Revolution est fixée aux principes qui l'ont commencée: elle est finie.”

„Die Verfassung beruht auf den wahren Prinzipien der repräsentativen Regierung und auf den geheiligten Rechten des Eigentums, der Gleichheit und der Freiheit. Die von ihr eingesetzten Gewalten werden stark und beständig sein, wie sie sein müssen, um die Bürgerrechte und die Staatsinteressen zu garantieren. Bürger, die Revolution ist auf die Prinzipien, die an ihrem Anfang standen, festgesetzt: sie ist beendet."

Die Aussage ist doppelbödig. Napoleon trägt eine bestimmte Darstellung vor, die auf Zustimmung zielt. Napoleon nimmt für sich in Anspruch, Errungenschaften der Revolution zu befestigen und zu sichern, andererseits erklärt er sie für beendet und damit abgeschlossen. Er möchte ein Einverständnis der Anhänger der Revolution, denen einige am Anfang stehende Grundsätze wichtig sind und die inzwischen eingetretene Eigentumsverhältnisse bewahrt sehen möchten. Andererseits greift er Wünsche nach einer Stabilisierung (sowohl gegenüber radikalen Revolutionären als auch royalistischer Gegenrevolution) und ein Ende von Wirren und revolutionären Exzessen auf. Das Beenden kann auch als ein Stoppen revolutionärer Dynamik, wie sie vor allem 1793 - 1794 auftrat, verstanden werden.

Tatsächlich hat Napoleon sich nur zum Teil an die genannten Grundsätze gehalten (das bürgerliche Gesetzbuch – Code civil - hat z. b. etwas davon in das Recht aufgenommen). Er hat eine Alleinherrschaft ausgeübt (1804 krönte er sich selbst zum Kaiser) und politische Freiheitsrechte abgebaut.

Gesellschaftlich wurde denen, die bei der Revolution Gewinne erzielt hatten, ihr Besitz gesichert, die Unterschichten dagegen weitgehend ausgegrenzt.

Persönliche Tüchtigkeit bot etwas mehr Aufstiegschancen als im absolutistischen Ständestaat, vor allem in der Armee.

Napoleon hat von Revolution die Koalitionskriege geerbt und sie mit eigenen machtpolitischen Zielen geführt (Eroberungs- und Vorherrschaftsabsichten).

Albrecht  29.09.2011, 21:12

Ein Buch, in dem auch viele zu der Frage nützliche Informationen stehen, enthält Hinweise, welche Sichtweise der besiegte und in Gefangenschaft befindliche Napoleon am Ende seines Lebens über sich verbreiten wollte.

Johannes Willms, Napoleon : eine Biographie. München : Beck, 2005, S. 681:
„Napoleons historische Mission, so seine Selbstdeutung, bestand in der Vermittlung der gezähmten, von ihren Fehlern gereinigten Revolution mit den im übrigen Europa vorherrschenden Verhältnisse.“

S. 683: „Eine weitere Botschaft des »Evangeliums« von Sankt Helena lautete, die Völker Europas, die sich gegen das Joch der Könige aufbäumten, hätten in Napoleon ihren Anwalt gefunden. Er, der die Revolution vollendet und überwunden habe, stilisierte sich nun zum »Messias der Völkerfreiheit«. Keineswegs leugnete Napoleon, dass er im Zenit der Macht erwogen hatte, nicht nur Europa, sondern die ganze Welt zu erobern und seiner universalen Diktatur zu unterwerfen. Jetzt war dergleichen aber nicht mehr das Ziel, sondern lediglich eine notwendige Zwischenstation auf dem Weg zu einer Neuordnung Europas nach nationalstaatlichen Gesichtspunkten. Gegenwart und Vergangenheit, Revolution und Ancien Règime, die legitimen Rechte der Völker wie ihrer Könige und Fürsten habe er zu einer neuen, gesellschaftlichen, politischen und territorialen Synthese formen wollen.“

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Bajun  30.09.2011, 16:56
@Albrecht

Schade, Albrecht, was bleibt bei einer solch fundierten und großartigen Antwort einem anderen GF-Mitglied noch übrig zu sagen? Ich gehe mit Deiner Antwort völlig d'accord und bin begeistert, dass es bei GF noch kluge Köpfe gibt, derer ich schon einige kennenzulernen das Vergnügen hatte. Gruß Kotofeij K. Bajun

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Esteban17 
Fragesteller
 03.10.2011, 20:45

wow, top antwort, danke!

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Hallo Esteban17, deine Frage ist sehr allgemein, extrem abstrakt und so nicht zu beantworten! Warum nicht: Du erwähnst in der Frage NICHT um welche Revolution es dabei geht oder ob Du allgemein 'die' Revolutionen meinst. Genau genommen hat Napoleon (wenn Du den 'großen' Bonaparte meinst), nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa und Russland ein Revolution zu stande gebracht. Frankreich, wie auch andere Länder (auch Deutschland) haben mehrere Revolutionen hinter sich und wurden von Menschen der Epoche miterlebt. Die meisten NICHT mit Napoleon. Die Revolution und der Sturz des Sonnenkönigs (Ludwig XIV.) war eine ganz andere. Es ist die Frage, welche Art von Revoltution Du meinst. DIE Revolution als solches oder eben die Revolution, welche Napolion B. durch seine Feldzüge hervor rief? Es können, auf deine momentane Frage also jegliche unzählige Antworten über jegliche unzählige Revolutionen kommen - oder eben KEINE - wegen ungenauer Frage! Es ist also WICHTIG, möglichst genaue Daten für eine Frage an zugeben.

Nichts davon. Nur ein energischer Führer, der aus gegebener Situation heraus die Macht an sich reissen konnte. Davon gibt es in der Geschichte viele.

Napoleon ist nicht wirklich aus der Revolution hervorgegangen. Wahrscheinlich hätte er auch die Guillotine besucht wenn er einer von flammenden Revoluzzern wäre. Und wahrscheinlich ist das Geheimnis seines Erfolges, dass er an Macht allein interessiert war und nicht an irgendwelchen Ideen, die letzendlich der Tod vieler Revolutionführer waren.

Er selbst hat sich natürlich als Vollender gesehen, bzw. dargestellt. Die Revolution wurde ja überwiegend positiv bewertet. Andererseits waren die Leute froh, dass die "Terror- Herrschaft" (siehe Robespierre), die ja auch Teil der Revolution war, vorbei war, und die Leute sehnten sich nach Ruhe. Napoleon hat geschickt versucht, diese Sehnsüchte der menschen auszunutzen, und sich vordergründig in diesen Dienst gestellt. Tatsächlich hat er ja auch mit einem Gesetz für "Ruhe und Ordnung" und "Geregelte Verhältnisse" gesorgt: dem CODE CIVIL, dem damals in europa fortschrittlichsten Gesetzbuch.

Andererseits hat sich Napoleon ja ganz klar selber zum Kaiser gekrönt. Was hat das mit Revolution zu tun? Und zu einer Revolution gehört ja auch immer eine Mitbestimmung des Volkes, zumindest Teile davon, zumindest in einer "Volks- Revolution". Was hatte das Volk in dieser Zeit zu sagen? - Tatsächlich hat Napoleon massenhaft junge Männer in das Militär gepresst. Mit der Selbstkrönung als Kaiser wurde erst der richtige Charakter Napoleons deutlich. Ebenso durch seine nicht endenden Kriege. Revolution bedeutet aber immer eine Art "Umkehrung der Verhältnisse", "Erneuerung", u.Ä. Was hat Napoleon in diesem Sinne nach seiner Anfangszeit in diesem Sinne erneuert, revolutioniert? Er hat mit seiner Kaiserkrönung eher das Gegenteil bewirkt!

Einige Völker sahen anfangs tatsächlich den ankommenden Napoleon als Befreier, begrüßten ihn vor allem tatsächlich, weil sie sich von ihm Freiheit, Liberalismus, Mitbestimmung, fortschrittliche Gesetzgebung erhoffften.
Irgendwann merkten sie aber, dass sie sich in Napoleon geirrt hatten, in dessen Absichten. So begannen die Freiheitskriege.

Napoleon ist Beender. Die R. ist strategisch beendet, wenn keine sensiblen Phasen mehr anstehen wie Gegenwehr, royales Aufflackern, regionale Proteste. Wenn eine Satzung vorliegt, ein "Parlament od. eine Reg. Mannschaft" im Sattel sitzt, wenn das Zusammenleben Leitlinien und ein schlüssiges Reglement bekommt und wenn die"Anerkennung" nachhaltig greift, ist die R. beendet. Die Republik ist installiert.