Muss man sich Selbstvorwürfe machen, wenn man keine Trauer verspürt?
Hallo, ich bin 14 Jahre alt. Mein Vater erkrankte an Speiseröhrenkrebs und starb vor etwa vier Monaten. Mein Opa erkrankte nun am selben Tumor. Ich glaube, er könnte vielleicht bald sterben. Ich sah ihn aber nicht mehr, die Bindung ist nicht so stark und ich verspüre deswegen keine Trauer. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch? Was soll ich tun, wenn meine Familie wütend ist? Soll ich mir lieber Zwiebeln ins Taschentuch packen?
5 Antworten
Hallo,
es tut mir leid was dir widerfahren ist.
Jeder trauert anders, jede Trauer ist anders.
Wenn du mit deinem Opa nicht den ständigen Kontakt hattest, dann ist es doch verständlich, das du nicht in Tränen aufgelöst bist.
Nein, du musst dir keine Vorwürfe machen.... und deine Familie sollte das auch so akzeptieren.
Selbstvorwürfe: nein! Jeder empfindet anders. Wenn der Tod eines geliebten Menschen sich abzeichnet, ist es trotzdem möglich, das man sehr traurig ist und dann weinen kann. Weinen darf aber - meiner Meinung nach! - nie ein MUSS sein! Wütende Familie? Zwiebeln? Das würde evtl.auffallen.Evtl.würde man sauer sein, das du ihnen was vorspielst? Wenn du schon schauspielern möchtest oder meinst, es tun zu müssen (finde ich zwar auch mies, aber naja..) geschockt sein oder so tun, als sei man geschockt: das wäre ein wenig angebrachter als das Ding mit den Zwiebeln. Aber ist DEINE freie Entscheidung, oder nicht? Auf Beerdigungen weiße Kleidung tragen: das wäre für mich zum Beispiel schockierender, als wenn jemand bei meiner irgendwann stattfindenden Seebestattung nicht weinen könnte, da können zum Beispiel auch lustige Lieder als Abschied erklingen, hören werde ich das ja e nicht mehr.
Wenn du nicht so trauern kannst, wie man es vermeintlich von dir erwartet, hast nicht du das Problem, sondern die anderen.
Also, ich bin nicht die Bestatterin, aber ich antworte trotzdem einfach mal, denn ich denke, bei dieser Frage bin ich aus eigener Erfahrung dafür qualifiziert.
Die Mutter meiner Mutter starb als ich ungefähr 15 war. Ich nenne sie nicht Oma, denn das war sie für mich nicht. Ich hatte sehr wenig Kontakt. Persönlichen so gut wie gar nicht, und Telefonate liefen meistens gleich ab. Sie rief an und wollte meine Mutter sprechen. Ich bin nicht mal sicher, ob der Text an meinen Geburtstagen bei ihr anders war. Vielleicht hat sie da mir Glückwünsche gewünscht und dann meine Mutter verlangt.
Als sie starb war ich ebenfalls nicht traurig. Mein Onkel tat mir leid, denn der war traurig. Ich habe mir die gleiche Frage gestellt, wie du, ich hatte Schuldgefühle, weil ich dachte, man müsste doch um die eigene Großmutter trauern. Ich habe damals darüber mit meiner Tante und mit meiner Mutter geredet. Beide sagten, dass es okay sei. Dass ich absolut das Recht hätte, nicht zu trauern. Dass man deswegen keinerlei Schuldgefühle zu haben braucht, wenn man wenig Kontakt und keine emotionale Verbindung hatte. Sie sagten auch etwas anderes: Die Großeltern sind die Erwachsenen, sind die älteren, es wäre ihre Aufgabe eine nahe Verbindung zu den jungen Enkelkindern aufzubauen und zu suchen. Das gilt für Kinder und das gilt auch immer noch ein bisschen für Jugendliche.
So wie ich dich verstehe, lebt dein Opa noch, du könntest versuchen jetzt näheren Kontakt zu suchen.
Aber du brauchst keinerlei Schuldgefühle haben, wenn du keine Trauer empfindest. Lass dir das von niemandem einreden. Man fühlt, was man fühlt - und das ist okay. Und ich finde, du musst da auch nicht schauspielern, aber das wiederum ist etwas anderes, da da ja auch mehr für dich dranhängt - das ist deine Entscheidung.
ABER: niemand hat einem vorzuschreiben, wie man fühlen soll! Niemand hat einem vorzuschreiben, wie man diesen Gefühlen Ausdruck verleihen müsste! Da hat sich niemand ein Urteil drüber zu bilden! Da hätte niemand das Recht wütend zu sein über dich. Meine Meinung.
(und ich kenne jemanden, der um seinen Vater sehr getrauert hat, der bei der Beerdigung keine einzige Träne vergossen hat, sondern absolut versteinert war - immer noch unter Schock schätze ich - also es ist auch nicht schlimm, bei Beerdigungen nicht zu heulen.)
Der Verlust deines Vaters tut mir leid.
Also ich hoffe, du kannst aus meinen Worten über meine Erfahrung da ein bisschen was für dich herausziehen an Infos und Gedanken.
Jeder trauert anders, da musst du dich nicht schlecht fühlen, auch wenn deine Familie sauer ist. Trauern kann man nicht erzwingen oder beibringen, dass ist von Anfang so drin. Ich konnte auch nicht bei jedem weinen, weil auch da die Bindungen anders waren.