Logisches Denken und Jura?

5 Antworten

Mein Professor in Methoden der Rechtsfindung meinte ganz am Anfang zu mir, ich würde feststellen, daß Jura ganz anders funktioniert als Informatik.

Das habe ich im Studium allerdings allerdings nie; im Gegenteil fand ich die grundlegenden Mechanismen von Auslegung, Subsumtion und so weiter sehr kompatibel mit "mathematischer Logik", wie Du es nennst.

Andererseits habe ich den Eindruck, die komplexeren rechtstheoretischen Themen, die mir als Nebenfachstudenten zum Glück erspart wurden und mit denen ich nur durch die hobbymäßige Beschäftigung mit dem Thema in Berührung gekommen bin, werde ich wohl beim besten Willen nie begreifen. Den Unterschied zwischen "Absicht" und "Direktem Vorsatz" zum Beispiel.

Aber das kann natürlich auch daran liegen, daß mir die halt nicht im Rahmen einer Lehrveranstaltung strukturiert nähergebracht wurden.

Keine Ahnung, ob Dir das weiterhilft, weil mir der Unterschied zwischen mathematischer und sprachlicher Logik nicht so eingängig ist, aber vielleicht kannst Du mit meinen Erfahrungen ja etwas anfangen. Grundsätzlich kommen in den Rechtswissenschaften eher wenig Formeln vor und man argumentiert vorzugsweise natürlichsprachig, aber das wußtest Du sicher auch schon vorher.


CompilerBound  12.09.2023, 16:22

Das ist genau die falsche Antwort. Ich habe in Mannheim den Bachelor of Laws gemacht, danach Informatik in England studiert und arbeite seit einigen Jahren hauptberuflich als Informatiker (DevOps, Cloud, jetzt OS/DistributedSystems). Der Antwortende sagt er habe Jura nur nebenfachlich kennengelernt. In sofern ist zu erwarten, dass ihm der Eindruck entstanden ist, Jura wäre mit mathematischer Logik "kompatibel." Genau dieser Eindruck wird in der Lehre nämlich gerade zu Beginn erzeugt, da eine logische, schematische Herangehensweise einen einfachen Einstieg in die Juristerei ermöglichen. Mit Logik lassen sich aber keine Fälle lösen. Den meisten Studenten fällt der Sprung vom rechtsformalistischem Ansatz (pseudo-logisch) hin zum rechtsrealistischen/interpretvistischen Ansatz (kontextuell/zurechtbiegend) extrem schwer. Deswegen fallen die Noten idR auch eher schlecht aus;"vier gewinnt.". Tatsächlich geht es im Jurastudium, in erster Linie darum, den Kontext eines Falles zu begreifen, d.h. es geht darum sich in den Klausurenersteller bzw. den Lehrstuhl hineinzuversetzen und zu verstehen, wie dieser einen Fall gelöst haben möchte, welches Wissen er dort tangiert sehen möchte. Es gibt nämlich viele Wege einen Fall zu "lösen". Ob er der richtige Weg ist, hängt von den Umständen ab. Dem Lehrstuhl, der Uni, dem Zeitpunkt. In der Praxis ist es genau so. Jedenfalls gilt es unter diesem Gesichtspunkt dann zu wählen, mit welchem der auswendig gelernten Schemata der Fall am Besten zu lösen ist und da das Gesetz voller logischer Widersprüche/Fehler ist (eine rechtssystemvergleichende Studie der University of Brown stellte im BGB mal über 3000 logische Widersprüche/Fehler fest), wie diese Mittels auswendig gelernten Meinungen und Definitionen umgangen werden müssen. Das ganze hat also wenig mit den strikt-logischen Methoden der Mathematik/Informatik zu tun.

0

Ich glaub, mir geht es da genauso. Die (Un)-logik der Sprache ist etwas, das mir schon liegt (hoffe ich jedenfalls) und mich begeistert. Und das ist auch ein Grund, warum mich die Rechtswissenschaften so begeistern. Ich glaube, dass beides (mathematische und sprachliche Logik) von Vorteil ist, aber letztendlich kann man es auch nicht wirklich gegeneinander abwägen. Finde ich.

Für den Juristen ist Logik genau so wichtig/unwichtig wie für einen Müllmann. Wobei. Der Müllmann weiß "wenn der Mülleimer draußen steht und voll ist, dann entleere ich ihn." Für ihn ist Logik maßgeblich. Der Jurist mit "Systemverständnis" hingegen würden denken "wahrscheinlich soll ich den Müll entleeren." Da kann ihm der Müll aber gehörig auf die Füße fallen. Deshalb stellt er in der Praxis Logik und Systemverständnis doch lieber hinten an und sagt "ich schau lieber mal nach, was aktuell die gängige Definition von Müll ist und was ich, wenn überhaupt, mit dem Müll machen muss."

Ich dachte Jura wäre so ein Paukerstudium, bei dem man nur alles mögliche auswendig lernen muss. Logik soll da wohl nicht so hochkonjunktur haben.


AnglerAut  16.06.2019, 12:26

Da täuscht du dich.

0
CompilerBound  12.09.2023, 16:53

Der logische Anteil ist sehr gering. Studienanfängern werden zwar zu Beginn logische Hilfsmittel an die Hand gegeben. Diese Rücken aber schnell in den Hintergrund bzw. müssen abgelegt werden, sofern die Zwischenprüfung, geschweige denn das Staatsexamen bestanden werden will. Vordergründig gilt es den Professor/Lehrstuhl zu verstehen und sehr viel auswendig zu lernen. Der logische Anteil schrumpft dann auf das bloße erkennen von Konsequenzen iSv "Laut Paragraph X werden nur Stühle berücksichtigt. Damit der Paragraph Anwendung finden kann müsste es sich bei dem fraglichen Gegenstand um einen Stuhl handeln. Eine Definition darüber, was ein Stuhl ist, enthält der Paragraph oder das Gesetz nicht. Die herrschende Meinung besagt jedoch, dass ein Stuhl meistens aus Holz ist, meistens 4 Beine hat und hauptsächlich zum Sitzen verwendet wird. Der hier fragliche Gegenstand ist aus Metall, hat 3 Beine, wird aber hauptsächlich zum Sitzen benutzt. Demnach dürfte es sich dabei um einen Stuhl handeln." Wie viel davon ist jetzt Logik, wie viel ist auswendig lernen? Alles materielle ist idR auswendig gelernt bzw. muss auswendig gelernt werden. Welcher Paragraph könnte passen. Welche Meinungen/Definitionen gibt es für den fraglichen Begriff. Sowas muss auswendig gelernt, nicht ausgedacht werden. Das was an Logik übrig bleibt ist mE so grundlegend, dass ich sagen würde, dass jeder mündige Mensch, diese ohne Probleme bereits beherrscht. Sicherlich kann man ein juristisches Gutachten mal durch die Lense der Aussagenlogik betrachten und idR feststellen, dass das Gutachten schlüssig ist. Da man sich die Werte der Argumente der Aussagen aber aussuchen (was ist ein Stuhl, Auto, Bürger, Asylsuchender etc.) und über die Richtigkeit der gewählten Werte "streiten" kann, ist das nicht verwunderlich.

0

Weder noch. Gesetze haben mit Logik nicht viel zu tun.


CompilerBound  12.09.2023, 17:18

Korrekt. Die Logik in der Juristerei beschränkt sich auf "A gilt wenn B die Eigenschaft C hat. B hat die Eigenschaft C. Demnach gilt A." Und genau die Frage danach was A, B und C eigentlich ist, d.h. welche Definitionen/Meinungen es für A,B und C gibt, macht das Studium aus bzw. gilt es im Laufe des Studiums dann (auswendig) zu lernen. Groß was anderes passiert da nicht.

0