Kann man etwas "objektiv" sehen?

11 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Eine rein objektive Wahrnehmung ist nicht möglich.

1) Die Sinneswahrnehmung ist keine völlig zuverlässige Gewähr für die Realität (Sinnestäuschungen). Etwas ist nicht unbedingt so, wie es zu sein scheint.

2) Wahrnehmung ist kein passives Geschehen, bei dem die Gegenstände unmittelbar ein getreues Abbild schaffen. Beim Wahrnehmen gibt es ein aktives Erfassen durch das Subjekt. Dieses hat auch eine Denkweise, mit der es deutet, trägt Formen der Anschauung in sich, die der Erfahrung vorausgehen.

3) Die Sinneswahrnehmung vergegenwärtigt nicht einfach immer genau eine Sacheinheit und diese ganz, sondern es ist in bestimmten Fällen dafür erst eine Erschließung durch begriffliches Denken nötig.

Die Welt ist also nicht einfach so, wie sie wahrgenommen wird. Es gibt auch Unterschiede darin, wie die Welt sich Lebewesen darstellt. Diese liegen sowohl darin, was überhaupt an Einzelauschnitten von der Welt wahrgenommen wird, als auch darin, welchen Sinnesapparat ein Lebewesen besitzt, um durch Umwandlung Sinneseindrücke zu empfangen. Die Sinneswahrnehmung bezieht sich auf die Welt als Erscheinung.

In der Physik gibt es die Unterscheidung primärer und sekundärer Eigenschaften (Qualitäten). Die primäre Eigenschaft bei den Farben ist eine Beschaffenheit materieller Oberflächen, Licht zu absorbieren und zu reflektieren. Die Wahrnehmung als Farbe ist eine sekundäre Eigenschaft. Sie beruht auf der Verarbeitung von Lichtintensität und Wellenlänge durch Sinnesorgane und Nervensystem/Gehirn. Aus dem Umstand, unsere Wahrnehmung (Bild der Wirklichkeit)/Vorstellung/Erkenntnis geistig herzustellen (zu konstruieren), folgt aber nicht zwangsläufig, die Wirklichkeit, von der wir Wahrnehmung/Vorstellung/Erkenntnis haben, sei einfach nur vom Gehirn/menschlichen Geist/Bewußtsein geschaffen.

Sinnesdaten müssen in bestimmter Weise zumindest auf irgendetwas zurückgehen (auch wenn sie nicht einfach die Dinge selbst wiedergeben).

Möglich bleibt der Standpunkt: Es gibt eine vom menschlichen Denken unabhängige Wirklichkeit und diese ist zumindest bis zu einem gewissen Grad erkennbar. Eine kritische Überprüfung des Anscheins, den die Sinneswahrnehmung darbietet, ist dabei aber nötig.

mitterer  12.03.2010, 15:33

Gute Antwort.

Mir bleibt das Zitat hinzufügen: "Objektivität ist die Selbsttäuschung des Subjekts, Beobachtung sei ohne es möglich".

Das ist aber natürlich eine "strenge" sichtweise. Man kann sicherlich versuchen, eine persönliche Sichtweise zu "objektivieren", indem man sie z.B. mit den Sichtweisen Anderer kombiniert/ergänzt oder indem man Logikketten herstellt / Zusammenhänge herleitet.

Man kann versuchen, sich einer Objektivität anzunähern - erreichen wird man Sie freilich nie.

Ausnahme: Strenge, künstliche Systeme (wie z.B. weite Bereiche der Mathematik und in Folge auch daran angelehnte Systeme) können natürlich objektiv beschrieben werden. Aber gerade dort, wo Mathe und Wirklichkeit aufeinandertreffen (z.B. in der Physik) kommt schnell auch immer wieder der Beobachter ins Spiel...

0
Kampy  13.03.2010, 23:20
@mitterer

Wenn man sich vom strengen Skeptizismus löst und eingesteht, dass es eine wirkliche Welt außerhalb des Menschens gibt, kann man sich auf eine menschlich intersubjektive Variante von Objektivität einigen. Auch wenn das "Objekt an sich selbst betrachtet" nicht zugänglich ist, gibt es doch deutliche Parallelen in der menschlichen Erkennung. Man kann also davon ausgehen, dass eine Wahrnehmung, die nicht auf Täuschung des Sinnesapperates beruht, bei anderen ebenso wahrgenommen wird und dass diese gemeinsame Basis Objektivität (mindestens im schwachen Sinne) darstellt. Eine objektive Aussage ist eine Aussage, die mit der vom menschlichen Sinnesappart im ungetäuschten Zustand erfahrbaren Wahrnehmungen übereinstimmt. Den Begriff Objektivität vom Menschen zu entfremden tut ihm also möglicherweise unrecht, denn so ist er nicht gemeint und wird auch normalerweise so nicht verwendet.

0

Die Wahrnehmung des Einzelnen entspricht dem, was er an "Egokonstrukten" sich vor(an)stellt. Jeder sieht also durch den Schleier seiner Egobrille, was zu den seltsamsten Phänomenen führen kann ;-)

Je mehr jemand von seinen Konstrukten loslässt, sie als Illusion erkennt, desto "klarer" wird seine Wahrnehmung und desto mehr entspricht sie dem, was wirklich ist.

Selbst das scheinbar objektive wird subjektiv eingefärbt!

Das Grundproblem ist, dass man die Welt immer nur von irgendeinem (historischen, kulturellen, geographischen, persönlichen ...) Standpunkt aus sehen kann und sich noch in den Standpunkt des anderen bzw. das, was man dafür hält, hineinversetzen kann. Ein objektiver Beobachter müsste hingegen ohne eine solchen, die Wahrnehmung prägenden Standpunkt auskommen, wozu er allerdings gänzlich ohne Identität sowie jenseits von Raum und Zeit sein müsste. Ein im eigentlichen Sinne objektiver, standpunktloser Beobachter ist also ein Ding der Unmöglichkeit.

Nichtsdestotrotz kann man sicher wahre Aussagen treffen, nämlich:

  • die Bejahung der eigenen Existenz (Man muss existieren, um sagen zu können, man existiere nicht, der Satz ist also notwendig falsch),
  • Tautologien (Ein Apfel ist ein Apfel)
  • Verneinungen widersprüchlicher Sätze (Es stimmt nicht, dass ein Dreieck ein Viereck ist).

Dies geht deshalb, weil solche Aussagen in jeder möglichen Welt richtig sind und die unsere Welt nur eine der möglichen Welten sein kann, gleich wie falsch und verzerrt wir sie evtl. wahrnehmen.

Normalerweise kann man sich nur einbilden, etwas objektiv zu sehen,da jeder durch sein ureigenes Weltbild geprägt ist und ja die Sichtweise nur die seine sein kann.

Doch wenn man die "2.Geburt" oder die (in Indien so genannte) Selbstverwirklichung erlebt hat kann man das "Zeugenbewußtsein" und ein hohes Unterscheidungsvermögen erlangen, was einem ermöglicht, etwas so zu sehen, wie es wirklich ist.