Ist "geschwollenes Deutsch" mit "Gehobene deutsche Sprache" gleich zu setzten?

10 Antworten

Ja, ich kann nur bestätigen, dass meine damalige Antwort richtig ist...:)

Bei Faust (o. ä.) sehe ich das so:

Das sind Werke, die in einer Sprache geschrieben sind, die höchst künstlich-künstlerisch (ursprünglich bedeuten beide Wörter dasselbe) ist. Eine solche Sprache zu genießen erfordert nicht nur Sprachkenntnisse, die weit über das Niveau unserer Standardsprache hinausgehen, sondern auch einen Bildungshintergrund, den man sich  nicht über Nacht aneignen kann.

Ich würde dir eher vorschlagen, gute moderne Romane zu lesen, die in zugänglichem Deutsch geschrieben sind und doch hochinteressant sein können.

Ich denke etwa an Kehlmanns Die Vermessung der Welt (2005), was ich sehr unterhaltsam fand - allerdings wäre es gut, wenn du dich vorher ein bisschen über die zwei historischen Hauptfiguren informierst (den Mathematiker Gauß und Alexander v. Humboldt), aber so eignet man sich allmählich einen eigenen Bildungshintergrund an.

Das ist dann freilich auch Geschmacks- und Interessensache. Du kannst zB auch gute Biographien lesen (Schriftsteller, Wissenschaftler, Schauspieler...), manche sind in sehr gutem (nicht geschwollenem !) Deutsch geschrieben und man lernt meistens auch eine Menge dabei, nicht nur sprachlich.

Naja, "geschwollenes Deutsch" ist eigentlich eine ziemlich abwertende Bezeichnung für eine Sprache, die eher gebildet und weltgewandt wirken möchte, ohne dass sie das wirklich ist.

"Gehobene deutsche Sprache" hingegen ist eher eine positive Bezeichnung. Manche Leute, die geschwollen daherreden, würden wahrscheinlich von sich selbst sagen, dass sie gehobenes Deutsch sprechen. Und von Leuten, die gehobenes Deutsch sprechen würden wahrscheinlich viele Andere abwertend sagen, das sei nur geschwollen.

Und Goethes "Faust" ist in einer sehr poetischen Sprache vom Anfang des 19. Jahrhunderts geschrieben. Es ist vielleicht für nicht-Muttersprachler_innen nicht so leicht zu lesen. Schließlich ist es auch noch durchgehend gereimt und im Versmaß getextet. Das ist schon etwas Anderes als einfache Alltagssprache. Ich würde den Faust aber keinesfalls als "geschwollen" bezeichnen. Das ist doch Weltliteratur! Und Goethe hat nicht nur so getan, als könne er gutes Deutsch - er war darin tatsächlich ein Meister!

"geschwollen" ist ein negativ wertender Ausdruck.

d.h. wenn du die Sprache gut findest, dann sagst du "hoch stehende Sprache", und wenn es dir nicht gefällt, dann sagst du "geschwollen", eventuell für dieselbe Sache...

Es gibt eine lange Skala bei den Stil-Höhen. Im schriftlichen Stil sollte man der Banalität und der Salopperie ausweichen. Nicht jede Form des gepflegten Sprachgebrauchs ist gleich "geschwollenes Deutsch", im Gegenteil.

Salopperie besteht u.a. in der Gleichgültigkeit gegenüber Fehlern, womit man nur Geräusch im Nachrichten-Kanal erzeugt, und zwar mehr, als wenn man sich in der Stilhöhe nach oben vergriffe.  Mangelnder Rücksichtnahme auf die Verständnis-Möglichkeiten des angesprochenen Publikums gehört ebenfalls zur Salopperie, was ebenso sehr bei Schwülstigkeit wie bei Nachlässigkeit geschehen kann.

Als gute Vorbilder für eine gepflegte, sorgtfältig geschriebene deutsche Prosa gelten Annette von Droste-Hülshoff und Heinrich von Kleist. Alle erwähnen auch immer Thomas Mann, bei dem man aber für den täglichen Gebrauch möglichst nicht die langen Schachtel-Sätze nachmachen sollte, besonders dann, wenn man diesen deutschen sog. "Bogenstil" überhaupt nicht recht beherrscht. Immerhin, Manns Budeenbrooks vermitteln ein großes Lese-Vergnügen, bei dem man sich auch gleich ein paar stilistische Kunstgriffe abschauen kann.

Gute Tipps für einen verwendbaren Stil mittlerer Höhe, der hauptsächlich um Verständlichkeit und Klarheit bemüht ist, gibt Ewald Standop im Anhang seiner Anleitung Die Form der wissenschaftlichen Arbeit. Siehe hier: https://www.amazon.de/Die-Form-wissenschaftlichen-Arbeit-Grundlagen/dp/349401437X/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1483889807&sr=1-1&keywords=Standop+Form+wissenschaftlicher+Arbeit

Übrigens kommt zwar "Stil" von stylus,  was mit "Stiel" verwandt ist, wird aber im Deutschen nur mit i geschrieben.