In welchem Verhältnis stand Epikur zur Gesellschaft?

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Hier wird das im Zusammenhang gut erklärt:

"Epikur

Der Epikureismus ist, ebenso wie die Stoa, eine hellenistische Philosophenschule. Charakteristisch für Epikur ist seine "Philosophie der Freude", die die Lust zum höchsten Lebensprinzip erhebt. Der Philosoph sagt selbst "Die Lust ist Ursprung und Ziel des glücklichen Lebens." (Aus dem Brief an Menoikeus) Zu dieser Erkenntnis kam er, nachdem er bei Tieren und kleinen Kindern beobachtet hatte, wie sie immer versuchten, den Zustand größtmöglicher Annehmlichkeiten zu erreichen. Dabei hat diese Betonung der Lust (hedone - ἡδονή) Epikur viele Missverständnisse und Anfeindungen eingebracht. Gemeint ist keineswegs grobsinnliche Lust oder gar Wollust, sondern vielmehr eine Freiheit von Furcht und Schmerz. Epikur führt auch erstmals das in der Neuzeit von Bentham verfeinerte hedonistische Lustkalkül an, wonach Lust und Leid gegeneinander aufgerechnet werden und bei jeder Handlung längerfristig die Lust überwiegen muss. Daraus ergibt sich ein wichtiger Grundsatz Epikurs: „Am Anfang steht die Vernunft" (Brief an Menoikeus), denn nur durch vernünftiges Abwägen lassen sich die Auswirkungen des eigenen Handelns in Bezug auf den Lustgewinn ermessen.

So kommt es, dass der Epikureismus klassisch lustbringende Tätigkeiten wie sinnliche und kulinarische Genüsse zwar nicht verdammt, seine Anhänger jedoch zur Mäßigung anhält, da diese Lust an den Augenblick gebunden ist und oft Schmerzen nach sich zieht. In letzter Konsequenz dieser hedonistischen Position gelangt er schließlich zu Verhaltensregeln, denen asketische Züge anhaften. Dabei ist für den Epikureer die Askese allerdings kein Selbstzweck oder Ausdruck von Protest gegen die Zivilisation, sondern nur ein Mittel zum Selbstschutz. Eine ähnliche Konstellation werden wir auch in seinem Verhältnis zum Staat entdecken. Dieser körperlichen Enthaltsamkeit zur Vermeidung von Leid entspricht auch eine ähnliche Askese auf seelischer Ebene. Epikur nennt sie Ataraxie (ἀταραξία), die "Unerschütterlichkeit, heitere Seelenruhe" (Metzlers Philosophielexikon). Der epikureische Weise erreicht die Ataraxie und damit in einem weiteren Schritt die Glückseligkeit (Eudaimonie - εὺδαιμονία) durch Affektfreiheit und emotionale Selbstdisziplin. Hierin entspricht der Epikureismus teilweise seinem großen Rivalen, der Stoa. Aus diesem Streben nach Ataraxie und Eudaimonie erwächst die epikureische Position gegenüber dem Staat und dem Staatsdienst: Der Weise wird die Gesellschaft meiden und sich auf seine Individualität besinnen, er wird versuchen, ungestört von äußeren politischen Einflüssen seine seelische Balance zu finden und eine passive, höchstens beobachtende Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Epikur findet hierfür die berühmte Formel "Lebe im Verborgenen!" („láthe biósas" - λάθε βιώσας, Fragment 551). Als leuchtendes Vorbild für diese kontemplative Lebensweise dienen die Götter, die seiner Lehre zufolge in dem Vakuum zwischen den Himmelkörpern (Intermundien, Metakosmien) wohnen, von dort aus aber keinen Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen.

Unterstützt wird der Weise in seiner Zurückhaltung in Bezug auf politisches Engagement auch von der epikureischen Naturphilosophie und Weltanschauung, die Demokrits Atomismus wieder aufnimmt und weiterentwickelt: In einem deterministischen Universum, geprägt und bestimmt von Atomen, die sich menschlichem Zugriff entziehen, ist menschliches Handeln nachrangig. Zeitgleich mit der Entwicklung der hellenistischen Philosophenschulen erlebt die Polis, einst geistiger und kultureller Lebensmittelpunkt des griechischen Bürgers, ihren allmählichen Niedergang. Für den Politen wird es unmöglich, "sich noch im alten Sinne als Athener, Thebaner, Korinther zu fühlen, d.h. sein Wesen durch solche Bestimmungen für ausgeschöpft zu halten" (Nebel, Griechischer Ursprung, S. 357).

In einem solchen politischen Klima finden die Epikureer großen Zulauf. Dabei ist Epikureismus jedoch keineswegs mit staatsfeindlichen, anarchistischen Tendenzen gleichzusetzen. Wie die Askese für seine Anhänger kein Selbstzweck ist, sondern dem Bewahren der Ataraxie dient, so ist auch der Verzicht auf politische Aktivität nicht per se Punkt der Lehre, sondern stellt einzig und allein den Versuch dar, sich die „Meeresstille der Seele" (γαλήνη ψυχῆς) nicht von stürmischer Tagespolitik stören zu lassen. Es handelt sich also auch hier nur um Selbstschutz des Weisen vor ungewollten Einflüssen. Einige dieser schlechten Einflüsse hat Epikur dann auch explizit benannt: An erster Stelle steht hier die repressive Gewalt des Staates, sich äußernd in der Strafe bzw. Strafandrohung, und allgemein die nachteilige Wirkung, die das politische Leben auf persönliche Freundschaften ausübe.

Dabei ist Epikur sich durchaus bewusst, dass der Weise des Staates zu seiner eigenen Sicherheit bedarf. Diese staatliche Ordnung nutzt er aus, um geschützt in der Polis, zu deren Funktionieren er dennoch nicht aktiv beiträgt, das Leben zu genießen. Eine solch individualistische Lebenseinstellung hat folgerichtig immer wieder Anfeindungen, vor allem aus dem Lager der Stoa, provoziert, und doch ist sie nur die konsequente Umsetzung des Strebens nach Glück.

Im Übrigen pflegten die Epikureer trotz alledem sehr reiche soziale Kontakte, ein Rückzug aus der Politik bedeutete also keineswegs Eigenbrötlerei und weltabgewandte Einsiedelei. Ganz im Gegenteil, die Geborgenheit und zwischenmenschliche Interaktion, die der Staat ihnen nicht geben konnte, pflegten sie umso mehr in innigen persönlichen Freundschaften, und der sonst so nüchterne und gefasste Epikur (oder einer seiner Anhänger) findet dafür geradezu pathetische Worte: "Die Freundschaft umtanzt den Erdkreis, uns allen verkündend, dass wir erwachen sollen zu Seligkeit." (Vatikanische Spruchsammlung 52)."

Belegstelle: https://www.gottwein.de/Lat/cic_rep/ref02_otium01.php

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung