Hat Epikur Recht mit seiner Glückslehre?

1 Antwort

Epikur ist ein Philosoph, der wahrscheinlich als Gegenposition zu Platon und Aristoteles der letzte Vertreter mit einer Gesamtphilosophie ist, die sich einer höheren Begründung verweigert (Gottheit, autarker Geist, Vernunft). Er steht am Ende einer Linie der sogenannten „Vorsokratiker“ und Naturphilosophen. Zur (fälschlicherweise) sogenannten „Glücksphilosophie“ ist zu sagen, dass sie kein spezielles Thema Epikurs ist, sondern Hauptanliegen aller heidnischen (sprich: nicht-christlichen) Philosophen war, bei Platon, Aristoteles genauso wie bei Epikur und später dann Epiktet und Marc Aurel, den stoischen Philosophen. Dabei ging es aber nicht um ein flüchtiges Glück, wie es heute im Mittelpunkt steht, sondern um ein gelingendes Leben als Ganzes.

Das Christentum hat dann den Fokus auf „das Leben danach“, sprich die Erlö-sung gelegt und ein gutes Leben im Jetzt war nur eine gute Ausgangsbasis für das Leben danach. Am tollsten hat man es dann im Mittelalter getrieben, als man sich durch Kauf eines Ablassbriefs die ewige Seligkeit sichern konnte, auch wenn das hiesige Leben moralisch gesehen eine einzige Katastrophe war. Das Christentum hat unsere Einstellungen zu Fragen wie, was ist der Mensch, wie gehen wir um mit dem Tod, mit Leid, mit Freuden, mit Schicksalsschlägen bis heute geprägt und in der Wahl eines freiwilligen Ausstiegs aus dem Leben war man in der Antike freier als heute in unser sogenannten Demokratie. Da ist es strafbar, wenn man jemandem helfen will, unerträglichen Schmerzen ein Ende zu setzen.

Was aber macht nun das Spezielle bei Epikur aus im Blick auf die Frage, wie man ein insgesamt gelingendes Leben hinbekommt. Für die Naturphilosophen, an deren Ende Epikur steht, gibt es anders als bei Platon und seinen „idealistischen“ Nachfolgern keinen Dualismus von Materie und Geist, von Körper und Seele. Schon gar keine Höherstellung des Geistes und Ursprünglichkeit, dass ein Geistiges (z.B. Gottheit) höhere Ursache und Maß alles Materiellen ist. Meist ist ja der Dualismus von Materie und Geist kein gleichrangiger Dualismus sondern die Materie ist das niedere Element. Für die Naturphilosophen ist das Sein ein Einziges, Unendliches und Materie, Geist, energetische wie biologische Kräfte sind nur Erscheinungsformen des Seins in einem unendlichen Prozess (Heraklit: Alles ist in einem ständigen Prozess der Veränderung.). Für Epikur gibt es daher keine Verachtung oder Minderschätzung körperlicher Fähigkeiten und Freuden.

Was eigentlich noch eine Aufgabe der Forschung ist, so ist noch näher herauszuarbeiten, dass unterschiedliche metaphysische Einstellungen ein unterschiedliches Denken nach sich ziehen und auch eine verschiedene Sprache. Der Begriff „höchstes Gut“ gehört nicht in den Wortschatz der Epikureer, sondern stammt aus der Denke der Idealisten wie Platon, Aristoteles und natürlich der „paltonisch durchsetzten“ christlichen Philosophie. Epikur denkt „evolutionär“ in Entwicklungsprozessen und ein Grundprozess des Lebens generell ist, dass es auf Überleben gepolt ist. Einerseits gibt es mit Schmerzen, Unwohlsein Signale des Lebens, dass das Überleben bedroht ist, mit Freude und Wohlfühlen Signale, dass Überlebensprobleme positiv gelöst wurden. Andererseits ist höheres Leben durchaus in der Lage, diese Signale zu bewerten und z.B. auch mal Schmerzen in Kauf zu nehmen, wenn am Ende die bessere Überlebenslösung steht. Da das aber je nach Individuum und individueller Situation völlig unterschiedlich ist, kann es kein abstraktes, für alles gültiges „höchstes Gut“ geben. Epikur lehnt es ab, dass Ideen das Maß der Dinge sind sondern ist der Auffassung, dass Menschen Ideen durch Abstraktion von konkreten Erfahrungen selbst Ideen produzieren. Man sieht allein an diesem Ausdruck, dass Epikur ganz anders an die Interpretation der Welt herangeht und man vorsichtig sein muss, gleiche Einstellungen anzunehmen, nur wenn von Epikur und den Stoikern z.B. gleiche Worte wie „ataraxia“ (Gelassenheit) genutzt werden.

Anders als die noch vom idealistischen Denken „verseuchten“ englischen Utilitaristen findet man bei Epikur keine positiven Setzungen und Wertungsvorgaben. Epikur hat eine hohe Achtung vor der individuellen Entscheidungsfreiheit und im Wesentlichen weist er eher darauf hin, wo und wie diese Freiheit eingeschränkt, missbraucht wird und auf die schiefe Bahn geraten kann. Er zeigt, wie eine der stärksten, durchaus positiven natürlichen Emotionen durch Missbrauch zu einer Gefahr für die persönliche Entscheidungsfreiheit werden kann: Die Angst. Angst vor dem Tod und dem danach, Angst vor dem Handeln der Götter, Angst vor Schicksalsschlägen – sie alle sind unnatürlich und „erfunden“, um Menschen in Abhängigkeit zu halten. Gleiches gilt für die positive Seite, denn auch das Streben nach gutem Überleben kann außer Kontrolle geraten und uns als GIER gefangen nehmen, als Gier nach Macht, als Gier nach Werten und unkontrollierte Gier nach allerlei Genüssen.

berkersheim  11.02.2015, 12:23

Fortsetzung:

Einen Schlüssel zu Epikurs Denken findet man bei Parmenides, der bereits 200 Jahre zuvor seine Göttin die Warnung aussprechen lässt, dass die Menschen sich verführen lassen von einer Polarität des Denkens, einer Aufsplittung von Gesamtzuständen in die Extreme, wie Gut und Böse, Freude und Schmerz, Tod und Leben. Diesen Extremen werden dann Eigenexistenzen zuerkannt und das Dazwischen eines Gesamtzustandes kommt aus dem Blick. Mit diesem Denken hat man Schwierigkeiten, Epikur zu verstehen. Freude und Schmerz sind nur das Ende, die Extreme einer Emotionsskala und wenn man eine ausgewogene Mitte als „grünen Bereich“ bezeichnen kann, ist es nach Epikur auf das ganze Leben gesehen empfehlenswert, sich in diesem „grünen Bereich“ aufzuhalten. Aus dieser Sicht ist es nicht erstrebenswert, sich von der Gier nach immer mehr einfangen zu lassen, noch sind Schmerzen ausschließlich schlecht. Aus dem „grünen Bereich“ heraus lassen sich sowohl Momente der überschäumenden Freude, des flüchtigen Glücks wie auch Schmerzzustände und Tiefs einordnen und in Bezug auf das Leben bewerten.

Die Lebensphilosophie Epikurs ist also sehr ausgewogen und einseitigen Übertreibung abhold. Sprachlich gesehen sind alle Abstraktionen und vereinfachende Verschlagwortungen mit Vorsicht zu genießen. Epikur ist der Vertreter einer diesseitig orientierten, differenzierten Psychologie. Ich sehe ihn als antiken Aufklärer, dem individuelle Freiheit in ausgewogenem Rahmen zu Gemeinschaft und das selbstständige Denke und Werten besonders wichtig war. Dass er auch damit der nach Macht strebenden Kirche ein Dorn im Auge war, versteht sich. Von ihm könnte der Spruch stammen: Allzuviel ist ungesund. So gesehen ist es schade, dass 98% seiner Werke das Christentum nicht überlebt haben.

0