Felge/Bremse kratzt?

 - (Auto und Motorrad, Fahrrad, Reparatur)

6 Antworten

Was da abgeht ist, so komisch es klingt, ein metallurgischer Vorgang. In vielen Bremsbelägen, beispielsweise vom Marktführer Shimano, sind keramische Hartstoffpartikel enthalten, in der Regel Aluminiumoxid (Al2O3). Da die Felge ebenfalls Aluminium enthält, besteht zwischen ihr und den Al2O3-Partikeln. eine hohe Affinität (Neigung von Atomen oder Atomgruppen, sich miteinander zu vereinigen bzw. sich umzusetzen).

Im Klartext: An den Al2O3-Partikeln lagert sich Aluminium aus der Felge an, sodass tatsächlich Metall auf Metall bremst.. Durch die Drehbewegung der Felge wird beim Bremsvorgang zwar immer wieder Aluminium aus dem Bremsbelag heraus gerissen, aber gleichzeitig lagert sich Neues Aluminium von der Felge an (ein Prozess der sog. "Kaltverschweissung") sodass der Prozess im Gleichgewicht steht. Würde man die Alu-Anlagerungen mit einem spitzen Gegenstand entfernen, wäre für kurze Zeit Ruhe, dann ginge es wieder von vorne los. Der Abrieb an der Felge ist dabei stark beschleunigt

Warum in aller Welt werden also diese Al2O3-Hartstoffpartikel dass dem Bremsbelag beigemischt? Das Problem ist dass Beläge ohne diese Partikel oft die vom Gesetzgeber geforderten Verzögerungswerte bei Nässe nicht erfüllen. Hierzu werden tatsächlich Versuche auf einem Nässe-Prüfstand mit einer definierten simulierten Handkraft am Bremshebel gefahren. Der Belaghersteller, z.B. Shimano, geht daher auf Nummer sicher und gestaltet die Belagmischung so, dass er auf der ungünstigsten möglichen Felge, einer hart anodisierten (dunkel beschichteten) und nicht spanabhebend bearbeiteten Felge noch die geforderten Werte erreicht.

Damit "frisst" der Belag aber eher weich geratene Aluminiumfelgen regelrecht auf. Wenn das beschriebene Kratzgeräusch auftritt, hilft nur der Tausch der Beläge. Besonders weich und damit felgenschonend sind Beläge der Firma KOOLSTOP. Man muss sich allerdings auch auf eine nachlassende Bremswirkung bei Nässe gefasst machen. Im Klartext heisst das, im Platzregen braucht der KOOLSTOP-Bremsbelag ein oder zwei Umdrehungen bis überhaupt Bremswirkung einsetzt.

 

Um das Problem besser zu verstehen muss man 25 Jahre zurück gehen. Damals wie heute wurde bei der Herstellung von Fahrrad-Felgen Aluminium mit extrem hohem Druck durch eine Art Nudel-Düse gepresst (Strangpressen), wodurch etwa sechs Meter lange, gerade Roh-Profile entstanden. Diese wurden dann zu einer runden Spirale gewalzt, geschnitten und zu Felgen gesteckt.

Der entscheidende Unterschied zur heutigen Fertigung von Felgen: Die Oberfläche der Bremsflanken blieb wie sie aus der Presse kam, wurde höchstens noch anodisiert oder hart anodisiert. Die Bremswirkung bei Nässe speziell bei durch Hart-Anodisierung beschichteten Felgen war eher schlecht, zudem sorgte die gesteckte Verbindung am Stoss für Pulsierendes Bremsen ("ABS-Feling").

Daher werden Felgenflanken heute spanabhebend bearbeitet (abgedreht oder abgefräst), um eine möglichst plane Oberfläche mit hohem Reibwert zu erhalten. Dadurch wird die vom Press-Vorgang stark verfestigte Oberfläche abgetragen und weicheres Alu bildet die Oberfläche der Bremsflanke. Genau hier liegt auch das Problem, man kann sich das Bildhaft vorstellen wie einen Mohrenkopf: wenn man die harte Schokolade aussen entfernt tritt das weiche Innere zu Tage.

Wenn nun der Komponentenhersteller Shimano Bremsbeläge anbietet, dann müssen diese selbst auf den älteren unbearbeiteten Felgen die geforderten Nass-Bremswerte erfüllen. Daher der Anteil an Hartstoffpartikeln. Selbst wenn diese dazu führen dass die Beläge gerade bei modernen abgedrehten/abgefrästen Alu-Felgen zu den beschriebenen Kratzgeräuschen führen.

Mit den beschriebenen Kratzgeräuschen einfach weiter zu fahren ist übrigens absolut nicht zu empfehlen. An der Felgen-Bremsflanke entstehen hoher Abrieb und tiefe Riefen, wodurch die Felgenflanke so stark geschwächt wird dass sie irgendwann durch den Reifendruck nachgibt. Auch "normaler" Felgenverschleiss führt irgendwann zu dünnen Felgenflanken, jedoch lange nicht so rapide.

Die beschriebenen Probleme mit Felgenbremsen in Verbindung mit modernen Aluminiumfelgen haben letztlich Einiges zur Verbreitung von Fahrrad-Scheibenbremsen bei getragen. Die Funktion der Reibfläche für die Bremse wird hierdurch von der tragenden Funktion der Felge entkoppelt.

Leider wird dem Fahrrad dadurch auch Einiges von seiner traditionellen technischen Überschaubarkeit genommen. Zudem sind auch Scheibenbremsen nicht ohne Probleme. Der Leerweg der Beläge bis zum Anliegen an der Scheibe ist extrem gering, sodass Ungenauigkeiten bei der Einstellung sofort zu Schleifgeräuschen führen. Quietschgeräusche beim Bremsen gehören zu den häufigsten Klagen der Kunden, selbst die Benutzung eines handelsüblichen Fahrradreinigers (mit Pflegeöl- oder Wachs-Anteilen) kann hierfür die Ursache sein.

Bezüglich der Konstanz der Bremswirkung nass/trocken und natürlich hinsichtlich der Lebensdauer der Felgen sind Scheibenbremsen jedoch nicht zu toppen. Selbst Reiseradler, die Scheibenbremsen anfangs wegen der Kompliziertheit ablehnten, haben einen wichtigen Vorteil entdeckt: Bei einem Seitenschlag im Laufrad schleift keine Bremse mehr, und die Scheibenbremse bleibt dadurch voll funktionstüchtig.

2018user 
Fragesteller
 17.11.2018, 22:34

Ich fasse zusammen : Das Metall ist von Hause aus drinne und ich muss mir jetzt einen Belag ohne Metall suchen.

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latinlover68  18.11.2018, 15:54
@2018user

Nein, nicht Metall ist drinne sondern MetallOxid, Aluminiumoxid AL2O3. Das reisst Metall aus Deiner Felge.

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treppensteiger  19.11.2018, 21:45
@2018user

Ich hab das bisher bloß bei sehr harten oder hart gewordenen Bremsgummis gesehen. Neue, weiche Bremsbeläge helfen. Eventuell auch die Bremsflanke der Felge nach Gummiwechsel noch mal mit feinem Schleifpapier glätten.

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latinlover68  19.11.2018, 22:58
@treppensteiger

Nein wir hatten in der Vergangenheit auch schon die absurde Situation dass nagelneue Beläge des Marktführers 1 (Shimano) die nicht verwendet werden konnten auf Laufrädern des Marktführers 2 (Mavic). Das hat nichts zu tun mit hart geworden, es liegt an den beigefügten Stoffen.

Scheifpapier bringt nichts. Was wohl was bringt ist die Felge mit der Flex/Gummiteller/feine Fiberscheibe an zu schleifen. Ich habe das mal gemacht, die Wirkung war verblüffend, die Bremskraft nahm zu.

Ich kann mir das nur so erklären dass durch die hohe Umlaufgeschwindigkeit beim Schleifvorgangs durch Kaltverfestigung die Oberflächenhärte zunahm.

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Du könntest die Alu-Späne aus dem Belag zupfen.

Aber neue (weichere) Beläge sind sicher keine schlechte Idee, denn wenn der Bremsgummi die Felge zerrupft, ist deren Lebensdauer sehr begrenzt.

2018user 
Fragesteller
 17.11.2018, 15:34

Alles klar, weichere Belege sind das die die z.b. bei Regen eingesetzt werden oder woran erkennt man diese? oder welche für Carbon?

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RobertLiebling  17.11.2018, 15:52
@2018user

Mit Carbon-Bremsbelägen wirst Du auf Alufelgen nicht glücklich.

Schau mal, ob auf den Bremsbelägen eine Teilenummer o.ä. steht. Shimano hatte mal eine Serie für eloxierte Alufelgen, die dafür bekannt war, auf normalen Alufelgen "spanabhebend" zu bremsen.

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erstmal schauen ,wo die späne eventuell herkommen könnten. falls es keine maßnahmen zu treffen gibt, neue beläge einbauen,bremse einstellen, testen und ab geht die luzzi

2018user 
Fragesteller
 17.11.2018, 15:36

Das erschreckende ist ja das in allen vier Bremsbelägen Späne zu sehen sind. eventuell mit Schleifpapier rübergehen?

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Das sind Steinchen, nichts von der Felge. Rauspulen und gut. Ich nehme an, du bist durch Dreck gefahren. Das mögen Felgenbremsen nicht.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Erfahrung mit Fahrrädern.