erfahrungen auslandsjahr als au pair nach abitur (gerne ausführlich)?

2 Antworten

Ich habe nach dem Abi AuPair gemacht und das war die beste Entscheidung überhaupt, obwohl nicht immer alles ideal gelaufen ist.

Ich habe mich für die USA entschieden, weil ich wirklich einen Bruch haben wollte zu Familie und zuhause um Dinge allein zu machen. England war mir zu nah, da ist man im Zweifel in einem Vormittag wieder daheim, das wollte ich nicht. Australien/ Neuseeland hätte ich gerne gemacht, aber habe da irgendwie keine überzeugenden Angebote gefunden damals, die hatten mehr Work&Travel. USA geht meines Wissens nicht ohne Organisation und auch sonst würde ich das sehr empfehlen, man kann sonst in blöde Situationen kommen, mir hat das zumindest enorm geholfen... Die regeln zB was für ein Zimmer Du bekommst (so lebst Du nicht im Besenschrank), wieviel Du arbeitest, dass Du freie Tage hast, welche Tätigkeiten Du machen darfst und vor allem hast Du einen Ansprechpartner vor Ort.

Zuerst war ich in einer Familie, die in einer Kleinstadt lebte. Ich war das einzige AuPair im ganzen Großraum und hatte meinen Community Counselor (das war jemand von der Organisation) ganz für mich allein. Da ich nicht gleich aufs College konnte (bei meiner Aupair Organisation musste man ein paar College-Credits machen) weil das Semester schon begonnen hatte gab es erstmal nicht viel zu tun für mich. Es war Winter, ich kannte niemanden, meine Familie war nett, aber das war halt auch mein Arbeitsplatz. Ich war noch nie im Leben so einsam. Das führte zu verschiedenen Aktionen: niemand wird für Dich irgendwas organisieren, wenn Du etwas unternehmen willst, dann wird es Dir nicht nachgetragen, Du musst selber aktiv werden und organisieren was Du sehen möchtest und was Du machen willst. Das war eine sehr gute Lehre für mich. Man setzt sich dann halt hin und beginnt sich zu organisieren: was gibt es für Vereine vor Ort? Gibt es irgendwelche Gruppen (was auch immer) denen man sich anschließen kann? Was gibt es vor Ort zu sehen und zu machen? Ich war dann im Chor, das half schon mal. Meine AuPair Familie hat mich dabei auch unterstützt. Wer daheim sitzt und den Kopf in den Sand steckt und sich im Selbstmitleid suhlt ist selber Schuld. Trotzdem habe ich nach einem halben Jahr die Familie gewechselt. Wir waren uns nicht unsympatisch, aber mit manchen Leuten kann man einfach nicht gut zusammenleben. Ich hatte bisher auch immer jüngere Kinder betreut und kam mit den älteren weniger gut zurecht. Die Familie hatte außerdem ein behindertes Kind und die Herausforderungen davon hatte ich vollkommen unterschätzt. Wir haben uns einvernehmlich getrennt und ich bin dann in eine neue Familie mit zwei vierjährigen Kindern in eine Großstadt gezogen. Der Wechsel wurde durch meine Organisation begleitet und es gab keine Probleme damit, da war ich sehr dankbar.

Das war dann am neuen Ort was ganz anderes! Es gab andere AuPairs mit denen ich viel unternommen habe, meine Familie dort erlaubte mir auch mit den Kindern Auto zu fahren ud wir konnten in den Zoo und zu vielen anderen Dingen hinfahren (in den USA geht ohne Auto wirklich nichts). Irgendwie fühlte ich mich da mehr als Teil der Familie. Besonders wichtig war aber wirklich das Umfeld mit mehr Leuten. Dabei sind AuPairs eine Art Zweckgemeinschaft, ich habe heute mit keiner davon noch Kontakt, wir waren alle sehr verschieden. Aber Du bist AuPair, hast das gemeinsame Interesse nicht allein sein zu wollen und da unterstützt man sich halt. Wenn jemand Neues in Deine Gegend zieht, dann meldest Du Dich bei Ihr und zeigst Ihr was es vor Ort so gibt. Trotzdem musst Du auch selbst schauen was Du machen willst, nicht immer hat jemand Zeit. Man ist gerade in den ersten Monaten abends unglaublich müde durch das ständige Denken in der anderen Sprache und die vielen neuen Eindrücke. Vokabular war anfangs ein Thema. Ich konnte mich nach dem Abi über Umweltschutz und Weltwirtschaft unterhalten, war aber völlig verloren im Haushalts- und Kindersachenvokabular. Schublade? Windeln? Schnuller? Stofftier? Buntes Haarband? Anlegbesteck? Fußabstreifer? Es lohnt sich da ein bisschen Vokabeln zu lernen vorher.

Ich habe viele Dinge gelernt in der Zeit die mir bis heute helfen. Die Sprache natürlich, die mir so keine Schwierigkeiten mehr bereitet, aber vor allem Selbstständigkeit und das Selbstvertrauen, dass ich ganz gut alleine zurecht kommen kann und auch schwierige Dinge machbar sind und ich das hinbekomme. Wenn Mama und Papa nicht da sind um zu helfen, dann merkt man plötzlich, dass man das auch so schafft. Ein Bankkonto eröffnen, einen Reifen wechseln, rausbekommen wie man in die Nachbarstadt kommt, einen Flug buchen, Zurechtkommen mit anderen Arten Dinge zu sehen und anzugehen, Leben in einem Arbeitsverhältnis, Umgang mit Personen, Lösung von Konflikten, Klärung von Unsicherheiten, Verantwortung übernehmen, mal einen wirklich miesen Tag haben und ihn gemeinsam mit anderen in zwei Kübeln Eiscreme ertränken, sich selbst Informationen beschaffen und so viele kleine Herausforderungen täglich (wie schnallt man diesen Kindersitz ins Auto? Wo bekomme ich eine neue Brille? Was kostet es eine Augenenzündung zu haben? ...).

Wenn Du mit der Erwartung ins Ausland gehst das alles nur toll sein wird und Du einfach so alles vorgesetzt bekommst und Dein Leben wie in der Schule für Dich organisiert wird, dann wirst Du vermutlich enttäuscht werden. AuPair ist Selbstständigkeit mit sicherer Basis und Deiner Gastfamilie als Hilfestellung. Es ist nicht Ferien im Ausland.

Ich würde das auf jeden Fall sofort wieder machen und jedem empfehlen. Es ist eine Erfahrung, die Dich als Person sehr beeinflussen wird und Dir eine neue Sichtweise auf Dinge eröffnet.

HANNAHu6703 
Fragesteller
 29.07.2021, 11:48

vielen lieben Dank für deine Antwort, sie hat mir sehr weitergeholfen! ich muss mir wohl noch ein paar gedanken darüber machen aber hab ja noch ein wenig zeit :)

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Hey, ich bin auch am überlegen ein Au Pair zu machen. Auch nach dem Abi (2022) also wie du. Wir können gerne in Kontakt treten wenn du möchtest :)

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung