Epikur Tod?

1 Antwort

Ich versuche mal eine Deutung abschnittsweise.

Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur in der Empfindung gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung.

Diese (und die folgenden) Sätze werden meistens so interpretiert: wenn man tot ist, kann man nichts mehr empfinden, auch nicht Angst oder Schmerz. Daher ist es unsinnig, sich vor dem Tod zu fürchten, denn sobald er da ist, ist man selbst mit seinen Sinnesorganen und Gedanken nicht mehr da.

Daher macht die richtige Erkenntnis — der Tod sei nichts, was uns betrifft — die Sterblichkeit des Lebens erst genussfähig, weil sie nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt.

Die obige Erkenntnis kann sogar positiv gewendet werden: eine große Sorge weniger, denn ich muss mich nicht mehr um mein Leben nach dem Tod kümmern, weder positiv (quälende Sehnsucht, Erlösung vom Diesseits) noch negativ (Angst vor einer ewigen Dauer in der Hölle oder im Himmel).

Denn es gibt nichts Schreckliches im Leben für den, der im vollen Sinne erfasst hat, dass nichts Schreckliches im Nicht-Leben liegt.

Wenn es also nach dem Tod (im Nicht-Leben) nichts Schreckliches gibt, weil ich selbst mit dem Tod nicht mehr existiere, gibt es auch im jetzigen Leben für mich nichts Schreckliches mehr, vor dem ich mich fürchten müsste. Denn entweder ich bin am Leben, oder eben nicht mehr.

Darum schwätzt der, der sagt, er fürchte den Tod nicht, weil er ihn bedrücken wird, wenn er da ist, sondern weil er ihn jetzt bedrückt, wenn er noch aussteht. Denn was uns, wenn es da ist, nicht bedrängen kann uns, wenn es erwartet wird, nur sinnlos bedrücken.

Logisch gesehen darf uns also der Gedanke an den Tod nicht bedrücken; das wäre sinnlos, denn wenn der Tod da ist, bin ich nicht da, und wenn ich da bin, ist der Tod nicht da.

Das Schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn »wir« sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind »wir« nicht. Er betrifft also weder die Lebenden noch die Gestorbenen, da er ja für die einen nicht da ist, die andern aber nicht mehr für ihn da sind. Doch die Masse flieht bisweilen den Tod als das größte aller Übel, bisweilen (ersehnt sie) ihn als Erholung von allen (Übeln) im Leben. (Der Weise indes weist weder das Leben zurück), noch fürchtet er das Nicht-Leben; denn weder ist ihm das Leben zuwider, noch vermutet er, das Nicht-Leben sei ein Übel.

Hier werden die obigen Gedanken noch mal wiederholt bzw. ausgeführt.

Wie er als Speise nicht in jedem Fall die größere, sondern die am meisten Lustspendende vorzieht, so schöpft er auch nicht eine möglichst lange, sondern eine möglichst lustspendende Zeit aus. Wer nun mahnt, der Jüngling solle vollendet leben, der Greis vollendet scheiden, der ist naiv, nicht nur wegen der Annehmlichkeit des Lebens, sondern auch, weil das Einüben des vollkommenen Lebens und des vollkommenen Sterbens ein und dasselbe ist.

Es kommt im Leben darauf an, möglichst viel Lust pro Zeit zu empfinden; eine lange Lebenszeit ohne Lustempfindung ist sinnlos. Nur wer in diesem Sinne vollkommen lebt, weiß auch, "vollkommen zu sterben", d.h. wohl, jederzeit bereit sein zu sterben, weil man sich nicht ständig angstvoll mit dem Tod beschäftigt, sondern jeden Moment voll lebt.

Noch weit minderwertiger ist der, der sagt, es sei gut, nicht geboren zu sein,
»einmal geboren, dann schleunigst des Hades Tor zu durchmessen«
Denn wenn er darauf vertraut und es deshalb behauptet: warum scheidet er dann nicht aus dem Leben? Das steht ihm ja frei, wenn es doch von ihm unumstößlich geplant war. Wenn er aber bloß spottet, so ist er ein Schwätzer unter jenen, die dies nicht zugeben.

Jemand, der sagt, es wäre besser, nie geboren worden zu sein, soll sich doch das Leben nehmen, wenn er es ernst meint.

Wir müssen uns ferner daran erinnern, dass das Künftige weder ganz und gar in unserer Macht liegt noch ganz und gar nicht in unserer Macht: wir wollen weder erwarten, dass das Künftige ganz und gar so kommen wird, noch davor verzweifeln, dass es ganz und gar nicht so kommen wird.

Hier sehe ich eine Kritik am Stoizismus, der Lehre, dass man lernen muss, zu unterscheiden, was man ändern kann und was nicht, und sich nur auf das Änderbare zu konzentrieren, um sich nicht mehr mit dem Unabänderlichen zu beschäftigen. Die Kritik ist, dass man ja gar nicht wissen kann, was man ändern kann und was nicht, bevor es eingetreten ist.
Letztlich ist das auch wieder ein Argument dafür, sich nicht (ständig) mit der Zukunft zu beschäftigen (z.B. dem Tod), sondern nur mit den Genüssen der Gegenwart.

Ob du seine Argumente überzeugend findest, musst du sagen. ;-)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
Elena2510 
Fragesteller
 18.12.2022, 00:11

Vielen dank 😊😊😊👍🏻👍🏻

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