Blickwechsel 18. Januar 2023
Deine Fragen an eine depressive Person
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Depressionen existent?

16 Antworten

Ich finde das schon sehr extrem und auch eine schlimme Meinung, ehrlich gesagt. Ich persönlich bin nämlich psychisch krank, nehme ein Antidepressivum und war auch schon in der Psychiatrie.

Zuerst einmal muss man da rangehen, wie an alles, was man selbst nicht versteht. Sich fragen, ob Leute wirklich nur aus Fun all diese Dinge auf sich nehmen würden, wenn es ihnen doch gar nicht so schlecht geht. Medikamente mit massiven Nebenwirkungen und Risiken nehmen, Monate lang auf Therapieplätze warten, in eine Klinik gehen und dafür mitzuzahlen usw. Denkst du, das würden wir tun, wenn wir das am Ende nur für uns selbst ausnutzen wollen? Was soll man denn dadurch Positives erhalten? Das Outing in der Gesellschaft, dass Leute erfahren, man wird behandelt, die möglichen Probleme im Job danach, die ganzen Kosten...meinst du, das ist es wert, nur dafür dass man eine Ausrede für Sachen hat, auf die man keinen Bock hat?

Ich kann dir nur erzählen, wie ich meine Erkrankung erlebt habe:

Mein Zusammenbruch kam relativ plötzlich und schnell. Ein traumatisches Erlebnis unter akuter Todesangst hat mir eine sehr starke Angststörung beschert. Ich hatte Angst, überhaupt aufzustehen, ein paar Schritte zu gehen, alleine die Treppe im Treppenhaus hochzulaufen, duschen zu gehen usw. Geschweige denn irgendetwas darüber hinaus. Ich hatte wirklich Todesangst, Panikattacken, Herzrhythmusstörungen (Herzaussetzer, Doppelschläge, plötzliches anfallsartiges Herzrasen), Schwindel usw. Es wurde alles medizinisch abgeklärt, aber ich war körperlich gesund.

Durch diese enorme Belastung der ständigen Todesangst bin ich schnell schwer depressiv geworden. Wie sich das angefühlt hat:

Ich war physisch nicht mehr dazu in der Lage, positive Gefühle wahrzunehmen und zu fühlen. Es ging nicht mehr, es war wie ausgelöscht. Als hätte man mir alle Glückshormone aus dem Körper geraubt. Es war absolut unmöglich, auch nur das kleinste gute Gefühl zu empfinden. Dazu kam eine unheimliche körperliche Erschöpfung. Ich dachte zwischendurch, ich hab das chronische Erschöpfungssyndrom. Ein Einkauf hat sich angefühlt, wie 8 Stunden arbeiten, danach musste ich mich unten auf die Treppe setzen und durchatmen, bevor ich die paar Stufen ein Stockwerk hoch laufen konnte, weil ich so erschöpft war. Ich hatte überhaupt keine Energie, wie als wäre man chronisch krank. Dazu kam dann eine dauernde innere Unruhe. Wie fühlst du dich direkt vor einer Präsentation oder einer Klausur oder sowas? Genauso habe ich mich jede Sekunde gefühlt, über Wochen hinweg, und zwar einfach so. Panikattacken dazu, also immer wieder anfallsartig schwere körperliche Symptome und Todesangst. Herzrasen, Atemnot, Druck auf der Brust, Schwindel. Das Gefühl zu sterben. Und dann habe ich noch durchgehend einen sehr starken emotionalen Schmerz gefühlt. Wie gesagt, es gab nichts Gutes mehr, nur noch Angst und Schmerz, auch über eigentlich längst vergessene Sachen.

Insgesamt war das alles so übermächtig, dass ich selber gar keine Handlungsmöglichkeiten hatte, das irgendwie selbst aufzuhalten. Es hat mich wie eine riesige Welle getroffen, da war nichts mit Gegenhalten. Ich hab es wirklich versucht, aber das Ganze liegt 0 in der eigenen Kontrolle. Ich habe eigentlich nur noch schwarz gesehen und habe gar nicht mehr an einen guten Ausgang geglaubt. Hätte man mich gefragt, hätte ich eh geglaubt, dass mein Herz kein ganzes Jahr mehr schlagen wird, ohne stehenzubleiben. Ich dachte ja eh die ganze Zeit, ich bin am Sterben.

Ich hab mich da rausgekämpft, hat lange gedauert und war unfassbar hart, aber ich hab es geschafft. Das Antidepressivum hat es mir überhaupt erst wieder ermöglicht, physisch positive Gefühle empfinden zu können.

Es sind Krankheiten, und zwar schwere, gegen die man alleine so überhaupt keine Chance hat.

Solche Fragen machen mich aggressiv!

Schon alleine deine Aussage, dass du für diese Krankheit prädestiniert wärest, zeigt mir, dass du über den Auslöser, das erlittene Trauma bzw. den jahrelangen Aufbau einer Depression wenig Wissen hast, so dass du ins Blaue vorträgst. Es gibt keine Prädestination in Bezug auf die Entstehung einer psychischen Krankheit.

Deine sogenannten Vorwürfe sind in gewisser Weise lächerlich. Schon allein deine Erzählungen, was dir alles passiert ist, dass du an physischen Krankheiten leidest, hat nichts mit einer Depression zu tun.

Auch deine Vorwürfe sind nur Vorwürfe ohne jedes Hintergrundwissen. Von Symptomen einer Depression, den psychischen und physischen Einschränkungen schreibst du nichts. Ich gehe davon aus, dass du auch hier über wenig bis überhaupt kein Wissen verfügst.

Es kommt auf die Schwere einer Depression an, welche Symptome vorliegen!

Und genau deine Aussage, man kann betreffend diese Krankheit nichts nachweisen, ist durch Ignoranz, Unwissenheit, Intoleranz und Desinteresse geprägt.

Wie beurteilst Du einen depressiven Menschen, der wegen Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Antriebsminderung, teilweise extremer Vergesslichkeit, gestörtem Essverhalten, Schlafstörungen bis hin zu komatösem Schlafen, nicht mehr in der Lage ist, die tägliche Körperhygiene durchzuführen, seinen Haushalt nicht mehr erledigen kann, mit den täglich zu erledigenden Aufgaben völlig überfordert ist, ihm alles egal ist und wird uvm.?

Viele Depressive werden von heute auf morgen aus dem Berufsleben gerissen, können nicht mehr arbeiten, müssen teilweise schon in jungen Jahren Erwerbsminderungsrente beziehen, so dass sie dadurch am Existenzminimum leben müssen.

Wenn sie nach einem Marathon von Arztterminen und Gutachten ungewollt „Frührentner“ geworden sind, dürfen sie sich dann beleidigen, ausgrenzen, mobben, anfeinden mit Unwissenheit, Besserwisserei, als Sozialschmarotzer titulieren lassen.

Ich hoffe sehr, dass ich deinen Blick bezüglich Depression erweitern und ändern konnte und du deine Meinung dadurch wenigstens etwas wechseln wirst.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit 34 Jahren an Depression und Dysthymia erkrankt.
AriRosh  18.02.2023, 21:41

Whou, schon 22 Likes. DAS spricht für sich.

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Ramboline  18.02.2023, 22:23
@AriRosh

Dankeschön, mich ärgert nur, dass der Fragesteller, der sich darüber in einem Kommentar beschwerte, welcher von gf gelöscht wurde, dass ich es tatsächlich nicht geschafft habe, 140 Fragen in 150 Minuten zu lesen und zu beantworten, dass genau dieser es nicht einmal für nötig hält, Antworten und Kommentare auf seine Frage zu bewerten und/oder zu kommentieren.

Auch DAS spricht für sich.

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AriRosh  19.02.2023, 03:44
@Ramboline

Nachvollziehbar. Hatte bei meinen Blickwinkel ähnliche Probleme. Manche Frager sind einfach unverschämt. Doch schauen wir nicht auf diese, erfreuen uns an den Leuten die es ehrlich meinen.

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SANY3000  27.02.2023, 19:49

Danke für diese tolle Antwort.

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Ramboline  27.02.2023, 19:56
@SANY3000

Sehr gerne! Ich habe nur das geschrieben, was ich aus eigener Erfahrung kennenlernen musste und weiß.

Danke für deine positiven Bewertungen.

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Ratlose45  16.05.2023, 22:23

Niemandem steht eine Meinungsäusserung zu, der es nicht erlebt hat.

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Hast du schon mal etwas von dem Wort Reselienz gehört?

Für einen wirklich depressiven Menschen sind deine Worte ein echter Schlag ins Gesicht. Eine Depression kann sehr unterschiedliche Gesichter haben und sogar körperliche Symptome hervorrufen, die sehr unangenehm sein können. Außerdem gibt es auch immer die Möglichkeit der genetischen Veranlagung.

Es freut mich für dich, wenn du davon trotz all deines persönlichen Leides nicht betroffen bist - sei einfach dankbar dafür und sprich nicht so von oben herab, als wenn du etwas dafür könntest, dass du nicht an Depressionen leidest!

Eine Depression ist kein Spaß und eine Schwierigkeit ist oft, dass Menschen, die darunter leiden oft nicht ernst genommen werden. Dabei führt es wahnsinnig viele Menschen in den Selbstmord.

Tut mir leid, aber nur weil du nicht daran erkrankt bist, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt... Du hast einfach mal gar keine Ahnung wie mir scheint...

Wolpertinger  22.01.2023, 18:30

Was glaubst du warum sein Herz nicht mehr kann?

Und warum er so aggressiv ist?

Das er nicht erkrankt ist, würde ich nicht sagen.
Eine Depression hat viele Gesichter, eins kann sein das man nur noch 30% Herzleistung hat und auf Depressive wütend ist und aggressiv reagiert

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Suboptimierer  26.01.2023, 12:22
@Wolpertinger

Wenn man sein Leben lang die Kacke am Dampfen hat, also beim Verteilen von Glücklslosen nur Nieten gezogen hat, dann kann ich gut nachvollziehen, dass sich Hass entwickelt. Das ist aber kein reiner Hass, sondern mehr so ein "Eifersucht-Hass".
Ich bin aber überzeugt davon, dass man nicht sein ganzes Leben lang auf diese Art hassen kann. Irgendwann wird man sich seinem Schicksal fügen und die schlechteren Lebensvoraussetzungen als gegeben akzeptieren.
Sonst müssten ja hungernde Afrikaner, Inder, Chinessen (,... ) nur hasserfüllt sein.

Es ist ja auch nicht unentscheidend, wie die Menschen in unmittelbarer Nähe gestellt sind. Teilen sie das Leid, ist das eigene Leid "normaler".

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Ich glaube Depressionen entstehen aus ungesunden Verhältnissen und ja auch im Kindesalter, wo die Eltern auch schon etwas mit sich rumtragen, gewisse Trauma oder eigene psychische Belastungen. Diese werden an die Kinder oft leider weitergegeben.... Das Modell ,, Familie '' ist heutzutage auch nicht einfach umzusetzen..viele Scheidungen...Kinder als Luxusgut... Die psychischen Erkrankungen sind oft ein Spiegel unserer Gesellschaft. Ich bin selber ein Scheidungskind, Mutter eines schwer behinderten Kindes und lebe am Rande der Gesellschaft. Oft schleichen sich depressive Gedanken ein und wenn ich mich dabei erwische,in ein dunkles Loch zu fallen, werde ich mir bewusst und kämpfe weiter. Jeder Tag ist für mich eine Herausforderung und ich versuche das beste draus zu machen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

nicht jeder depressiv wenn er schlimmes erlebt! Und auch wenn das Leben perfekt läuft kann man depressiv werden! Das hat nicht unbedingt was miteinander zu tun und deswegen ist diese Begründung auch einfach schlecht.

Ya, viele nutzen es heutzutage als Ausreden und ziehen sich aus der Verantwortung indem sie alles auf die Depression schieben, das stimmt schon, aber es ist nicht immer so.

Ich finde Depressionen ist eher ein Zustand, der auch bei jedem etwas anders ist und aus dem man alleine eigentlich nicht mehr rauskommt. Wo genau das anfängt und aufhört kann man nicht klar definieren und ist ya auch nicht wichtig. Aber nachweisen kann man es trotzdem.

In gewisser weise ist es wirklich so dass diejenigen depressiv sind die mit Druck/Stress nicht umgehen können bzw viel davon haben. Das heißt aber nicht dass diese Menschen schwach sind!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Hatte früher Depression, sm, svv usw und dadurch Erfahrung