De Physiker Normalität und Wahnsinn Drama, Dürrenmatt?

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Im Drama »Die Physiker« von Friedrich Dürrenmatt ist die Krankenschwester Monika Stettier der festen Überzeugung, der Physiker Johann Wilhelm Möbius sei nicht verrückt/geisteskrank.

Möbius erdrosselt schließlich Monika mit einer Vorhangkordel, weil er dies für nötig hält, um seine Tarnung als Verrückter und die Geheimhaltung seiner physikalischen Erkenntnisse aufrechtzuerhalten. Der genannte Grund der Tötung ist daher nicht falsch, sondern trifft etwas Richtiges.

Möbius sagt dazu im Gespräch mit den beiden anderen Physikern: „Jeder von uns tötete seine Krankenschwester für einen bestimmten Zweck. Ihr, um eure geheime Mission nicht zu gefährden, ich, weil Schwester Monika an mich glaubte. Sie hielt mich für ein verkanntes Genie. Sie begriff nicht, daß es heute die Pflicht eines Genies ist, verkannt zu bleiben. Töten ist etwas Schreckliches. Ich habe getötet, damit nicht ein noch schrecklicheres Morden anhebe.“

Die Krankenschwester hat Möbius zwei Jahre lang gepflegt und sich in ihn verliebt. Sein Verhalten ist nach ihrem Eindruck planmäßig. Aufgrund des langen engen Kontakts und aufgrund von Intuition hält sie Möbius nicht für verrückt/geisteskrank („Ich weiß einfach, daß Sie nicht krank sind. Ich fühle es.“).

Monika sagt, sie glaube daran, dass König Salomo dem Physiker Möbius erscheint und ihm Erkenntnisse mitteilt. Sie ist dabei auch von ihren Gefühlen und Plänen einer gemeinsamen Zukunft motiviert und insofern emotional nicht in einem neutralen Normalzustand, aber sie ist nicht selbst verrückt. Ihre Bereitschaft, ein tatsächliches, nicht nur eingebildetes Wunder anzunehmen, beruht auf ihrer Überzeugung, Möbius sei nicht verrückt/geisteskrank und er habe geniale Erkenntnisse erreicht.

»Herr Möbius, ich halte Sie nicht für verrückt.«

MÖBIUS (lacht, setzt sich wieder): »Ich mich auch nicht. Aber das ändert nichts an meiner Lage. Ich habe das Pech, daß mir der König Salomo erscheint. Es gibt nun einmal nichts Anstößigeres als ein Wunder im Reiche der Wissenschaft.

SCHWESTER MONIKA: »Herr Möbius, ich glaube an dieses Wunder.«

MÖBIUS (starrt sie fassungslos an): »Sie glauben?«

SCHWESTER MONIKA: »An den König Salomo.«

MÖBIUS: »Daß er mir erscheint?«

SCHWESTER MONIKA: »Daß er Ihnen erscheint.«

MÖBIUS: »Jeden Tag, jede Nacht?«

SCHWESTER MONIKA: »Jeden Tag, jede Nacht.«

MÖBIUS: »Daß er mir die Geheimnisse der Natur diktiert? Den Zusammenhang aller Dinge? Das System aller möglichen Erfindungen?«

SCHWESTER MONIKA: »Ich glaube daran. Und wenn Sie erzählten, auch noch der König David erscheine Ihnen mit seinem Hofstaat, würde ich es glauben. Ich weiß einfach, daß Sie nicht krank sind. Ich fühle es.«

Möbius versucht in dem Gespräch, sie von ihren Plänen abzubringen, aber vergeblich.

Monika will eine Liebesbeziehung, ihn heiraten und Kinder bekommen. Sie hat mit Mathilde von Zahnd gesprochen. Weil diese Möbius für ungefährlich und erblich nicht belastet erklärt, dürfen sie heiraten. Monika hat eine Stelle als Krankenschwester in Blumenstein angenommen und will mit Möbius in einem Zug dorthin fahren. Sie drängt darauf, er solle seine Möglichkeiten ausschöpfen und sich mutig für die Anerkennung seiner Erkenntnisse einsetzen.

Monika will seine Manuskripte von Professor Scherbert, seinem Lehrer, prüfen lassen. Sie hat mit diesem schon gesprochen. Dieser hat eine unvoreingenomme Prüfung zugesagt. Damit verschärft sich für Möbius das Problem. Die Geheimhaltung der physikalischen Entdeckungen ist hochgradig  gefährdet.

SCHWESTER MONIKA: »Ich habe noch mehr getan.«

MÖBIUS: »Das wäre?«

SCHWESTER MONIKA: »Mit dem berühmten Physiker Professor Scherbert gesprochen.«

MÖBIUS: »Er war mein Lehrer.«

SCHWESTER MONIKA: »Er erinnerte sich genau. Du seist sein bester Schüler gewesen.«

MÖBIUS: »Und was besprachst du mit ihm?«

SCHWESTER MONIKA: »Er versprach mir, deine Manuskripte unvoreingenommen zu prüfen.«

MÖBIUS: »Erklärtest du ihm auch, daß sie von Salomo stammen?«

SCHWESTER MONIKA: »Natürlich.«

MÖBIUS: »Und?«

SCHWESTER MONIKA: »Er lachte. Du seist immer ein toller Spaßvogel gewesen. Johann Wilhelm! Wir haben nicht nur an uns zu denken. Du bist auserwählt. Salomo ist dir erschienen, offenbarte sich dir in seinem Glanz, die Weisheit des Himmels wurde dir zuteil. Nun hast du den Weg zu gehen, den das Wunder befiehlt, unbeirrbar, auch wenn der Weg durch Spott und Gelächter führt, durch Unglauben und Zweifel. Aber er führt aus dieser Anstalt. Johann Wilhelm, er führt in die Öffentlichkeit, nicht in die Einsamkeit, er führt in den Kampf. Ich bin da, dir zu helfen, mit dir zu kämpfen, der Himmel, der dir Salomo schickte, schickte auch mich.«

Möbius hat nach seinen Angaben (im Gespräch mit den beiden anderen Physikern) die Probleme der Physik gelöst, eine Gravitationslehre und eine einheitliche Feldtheorie entwickelt, damit eine Weltformel aufgestellt, dazu als praktisches Kompendium zu seinen theoretischen Arbeiten ein System aller möglichen Erfindungen.

In den Erkenntnissen stecken außerordentliche Möglichkeiten mit gewaltigen Energien. Sie können zerstörerische Auswirkungen haben und zum Untergang der Menschheit führen. Möbius traut den Menschen keinen verantwortungsvollen und guten Umgang mit diesen physikalischen Erkenntnissen zu, er hält die Gefahr für zu groß.

Zu den beiden anderen Physikern sagt er: „Wir sind in unserer Wissenschaft an die Grenzen des Erkennbaren gestoßen. Wir wissen einige genau erfaßbare Gesetze, einige Grundbeziehungen zwischen unbegreiflichen Erscheinungen, das ist alles, der gewaltige Rest bleibt Geheimnis, dem Verstande unzugänglich. Wir haben das Ende unseres Weges erreicht. Aber die Menschheit ist noch nicht soweit. Wir haben uns vorgekämpft, nun folgt uns niemand nach, wir sind ins Leere gestoßen. Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich. Es gibt für uns Physiker nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit. Sie ist uns nicht gewachsen. Sie geht an uns zugrunde. Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen. Es gibt keine andere Lösung, auch für euch nicht.“

Möbius unternimmt keinen Versuch, Monika offen und genau diesen Grund für sein Verhalten zu erklären und sie so zu überzeugen, von ihren Plänen abzulassen und eine Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit zu bewahren. Aufgrund der von ihm gesetzten Prioritäten bleibt ihm nach seiner Auffassung schließlich kein anderer Ausweg als die Tötung, auch wenn dies ihn aufgund seiner Liebe zu Monika und der für ihn bestehenden Schrecklichkeit, einen Menschen zu töten, Überwindung kostet („Tränen in den Augen“). Nach der Tötung verbrennt er seine Manuskripte.

Nein, das stimmt. Da die Krankenschwester dahinterkommt, dass Möbius nicht verrückt ist, möchte sie ihn heiraten und aus der Irrenanstalt entlassen. Möbius hat sich aber verrückt gestellt, damit niemand an seine Erkenntnisse kommt, nämlich die Umdrehung der Gravitation. Deshalb ermordet er sie. Aus denselben Gründen morden auch die anderen Insassen, die sich als Albert Einstein und Isaac Newton ausgeben, aber Geheimagenten sind. Ich hoffe, dass ich dir helfen konnte.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung