Darf man sich als Christ verteidigen?

4 Antworten

Jesus hat gesagt, dass wir die andere Backe hinhalten sollen, wenn wir geschlagen werden...

Behauptung: Diese Aussage von Jesus ist genial und wird in taktischen Selbstverteidigungsseminaren als beste Taktik überhaupt gelehrt!

Das hört sich erst einmal komisch an, aber die genannte Stelle wird häufig falsch verstanden und noch falscher ausgelegt.

Denn: Sollten Christen sich überall verprügeln lassen, ohne sich zu wehren? Sollten sie zuschauen, wenn andere Christen verprügelt werden und sich darüber freuen, dass diese die andere Backe hinhalten können? Das ergäbe doch irgendwie nur wenig Sinn und würde die gesellschaftliche Ordnung gefährden.

Zu der Bibelstelle mit dem "Hinhalten der anderen Backe" ist zu sagen, dass es dabei nicht um Selbstverteidigung oder körperliche Angriffe, sondern um Rache und Beleidigungen geht.

Im griechischen Urtext steht das Wort "rhapizo", das einen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht bedeutet. Dies war eine Geste, die z.B. ein Herr gegenüber seinem Knecht tun durfte. Bei Gleichgestellten galt sie als schwere Beleidigung, die nach rabbinischem Recht doppelt bestraft wurde. Deshalb soll man sich durchaus beleidigen lassen, ohne sich zu wehren. Und man soll sich nicht rächen, was wohl die Kernaussage dieser Bibelstelle ist.

Deshalb ist der Vorschlag, auf Beleidigungen nicht zu reagieren und auf Rache zu verzichten, die beste Taktik, um Streit zu deeskalieren und schlimmere Auseinandersetzungen, die über verbale Angriffe hinausgehen, zu vermeiden.

In taktischen Selbstverteidigungsseminaren, in denen es um Notwehr und Nothilfe geht, wird diese Strategie durchaus als wichtige Möglichkeit der Deeskalation und Prävention gelehrt.

An diesem Beispiel sieht man wieder, wie lebensnah und -praktisch Jesus die Menschen belehrte.

chrisbyrd  11.08.2023, 10:57

Dazu zitiere ich noch ein paar interessante Aussagen des bekannten reformierten Pfarrer Dr. Peter Vogelsanger, der zum Thema "Christentum und Selbstverteidigung/ Notwehr" interviewt wurde:

"In Römer 13, also im Römerbrief des Paulus, finden sich die ganzen Ausführungen über die Schwertgewalt des Staates. Da wird gesagt: Der Staat ist die Ordinatio Dei - die Ordnung Gottes -, die eingesetzt ist auf dieser Welt zur Eindämmung des jederzeit lauernden und Macht an sich reißenden Bösen: "Sie trägt das Schwert nicht umsonst," (die Obrigkeit) "... sondern zur Bestrafung der Bösen und zur Belohnung der Guten." Das heißt, es ist die primäre Aufgabe des Staates, dem Bösen in dieser Welt Widerstand zu leisten, und Paulus sagt in diesem Zusammenhang: Es ist Pflicht des Christen, den Staat in dieser Funktion zu unterstützen...

..."Du sollst nicht töten" im Alten Testament heißt ganz eindeutig: "Du sollst nicht MORDEN". Also nicht einfach ein absolutes Tötungsverbot, so daß man keine Fliege und kein Kaninchen töten dürfte. Es ist damit auch kein absolutes Tötungsverbot in Bezug auf das menschliche Leben gemeint. Das kennt nämlich das Alte Testament nicht. Das Alte Testament kennt ja auch die Todesstrafe, und so weiter, und damit ist sicher auch die Notwehr inbegriffen. Wenn aus diesem alttestamentlichen Gebot eine Verneinung der Notwehr abgeleitet würde, wäre das nicht textgernäß...

... "Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen", und dem Zitat wegen der Ohrfeige (Bergpredigt). Ich glaube aber, daß Jesus dort gar keinen Angriff auf das Leben im Auge hat. Er hat die Feindesliebe im Auge. Das heißt, meine Liebe soll so stark sein, daß sie auch den Feind einschließt und durch das Gute zu überwinden und zu gewinnen versucht, statt durch Gewalt. Damit ist aber nicht so sehr der Feind gemeint, der mein Leben bedroht, als einfach der Feind, der mich beleidigt. Das geht ja aus der Stelle mit der Ohrfeige hervor: Es ist der Beleidiger, dem ich nicht mit der selben Waffe heimzahlen soll.Es geht um den Beleidiger. Den soll ich entwaffnen durch die stärkere Kraft meiner Liebesfähigkeit. Daß die Vertreter der Gewaltlosigkeit sich auf diese Stelle in der Bergpredigt berufen, halte ich zwar nicht für einen Irrtum, aber für eine viel zu weitgehende Folgerung aus dem, was Jesus dort meint: den persönlichen Feind, der mir Schaden zufügen will und der mich haßt. Deshalb ist diese Aufforderung nicht übertragbar auf das Problem der Notwehr...

...Liebe heiß im eigentlichen Sinne des Neuen Testaments, unter Absehung von allen sentimentalen Mißverständnissen: Schutz und Bewahrung allen Lebens, soweit dies in meinem Verantwortungsbereich liegt. Man könnte als Christ vielleicht sagen: Ich will lieber leiden, will lieber den Angriff erdulden, als daß ich Gewalt ausübe, als daß ich den Gegner vernichte, Ich könnte die Bergpredigt so auffassen. Also: Ich dulde den Angriff und nehme halt unter Umständen das Martyrium oder den Tod auf mich und habe mir damit reine Hände bewahrt...

... Ich verteidige ja nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das Leben meiner Nächsten. Man kann noch weitergehen und sagen: Indem ich mich wehre gegenüber dem eindeutig bösartigen Angreifer, tue ich zweierlei: Erstens verteidige ich mein eigenes Leben deshalb, weil dieses Leben ja nicht nur mir gehört, so daß ich es wegwerfen könnte, wenn ich angegriffen werde. Zum Beispiel als Pfarrer gehöre ich ja nicht nur mir selber, ich gehöre auch der Gemeinde, die mir zur Seelsorge anvertraut ist. Als Arzt gehöre ich meinen Patienten, als Lehrer meinen Schülern; ich bin nicht nur Individualperson, sondern ich bin immer irgendwie Mensch in der Gemeinschaft, und indem ich mein eigenes Leben verteidige, bewahre ich auch ein Leben vor der Vernichtung, das einen Schutz und einen Wert für andere darstellt...

...Das Zweite ist ein Gedanke, den Luther stark betont hat. Luther hat sich meines Wissens mit dem Problem der Notwehr mehrfach auseinandergesetzt. Und er hat gesagt, natürlich, in einer extremen Haltung kann man sich sagen: Ich will lieber Unrecht leiden und dabei untergehen, als anderen Gewalt zuzufügen. Aber das ist völlig falsch gedacht. Ich handle in dem Moment, da ich mich gegen den bösartigen Angreifer wehre, als Vertreter der Staatsgewalt, die ja in dem Moment nicht da ist, indem ich dem räuberischen Chaos entgegentrete. Es ist die Aufgabe der Staatsgewalt, das räuberische Chaos zu verhindern, sonst wird ja das ganze Leben zur Beute des Starken, und der Schwache geht dabei unter. Indem ich dem Anspruch des Gewalttätigen, des skrupellosen Kriminellen, entgegentrete, verteidige ich eine ganz bestimmte göttliche Ordnung dieses Lebens. Ich bin der Repräsentant dieser göttlichen Ordnung...

...Wenn ich nun die Konsequenz aus alledem ziehe, muß ich sagen: Jawohl, Notwehr ist dem Christen nicht nur erlaubt, auf Grund einer Lex naturae, sondern die Notwehr ist dem Christen sogar geboten, weil er bei Verzicht darauf die ganze Ordnung des menschlichen Zusammenlebens in Frage stellt..."

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Du darfst es.

Die Aufforderung Jesu, das Böse nicht mit Bösem zu vergelten, dem der dich auf die rechte Backe schlägt, auch noch die Linke hinzuhalten, dem der dir den Mantel wegnehmen will, auch noch das Hemd zu geben usw. bedeutet nicht passiv jede Ungerechtigkeit hinzunehmen oder das Böse gar als gut zu bezeichnen.

Es bedeutet, die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen, wo immer es geht. Es bedeutet, den Täter durch unerwartetes Verhaten zu verblüffen und aus dem Konzept zu bringen, das Prinzip seiner Gewalttätigkeit zu erschüttern.

Was stellst Du zuoberst? Deinen Glauben oder geltendes Recht?

Wenn man Dich schlägt, halte auch die andere Wange hin. Steht das nicht in der Bibel?

Ich bin da pragmatisch: Sich wehren und deutlich machen, dass ein weiterer Versuch noch schlechtere Folgen haben würden.

Keiner ist gezwungen, in meine Wohnstätte einzubrechen. Das sucht man sich aus, nimmt ein Risiko auf sich und muss nötigenfalls mit den Konsequenzen leben.

Laut dem neuen Testament darfst du dich nicht wehren, sondern sollst dich schlagen und beleidigen lassen

Matthäus 5,39 HFA

Doch ich sage euch: Leistet keine Gegenwehr, wenn man euch Böses antut! Wenn jemand dir eine Ohrfeige gibt,* dann halte die andere Wange auch noch hin!

In der Elberfelder Übersetzung steht:

Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn jemand dich auf deine rechte Backe schlagen wird, dem biete auch die andere dar;

In der Lutherbibel 2017

Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

In der New international Version steht:

Ich aber sage euch: Leistet dem Bösen keinen Widerstand. Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, so halte ihm auch die andere hin.

Hier ein Bibelkommentar zu Matthäus 5,39

Matthew Henry Commentary

5:38-42 Die klare Anweisung lautet: Ertragt jede Verletzung, die ihr ertragen könnt, um des Friedens willen

In dem Bibelkommentar Jamieson-Fausset-Brown steht:

[...]Es ist die Bereitschaft, nach einer Demütigung einen anderen nicht einzuladen, sondern sich ihm demütig und ohne Vergeltung zu unterwerfen, die diese starke Sprache vermitteln soll.

Christen sollen sich also schlagen lassen

Aber das ist noch nicht alles

Christen sollen sich nicht nur schlagen lassen sondern auch ihre Kleidung hergeben:

Lukas 6,29

Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd.

Hier noch ein Bibelkommentar diesbezüglich

Expositor's Greek Testament

Matthäus 5:39. μὴ ἀντιστῆναι: widerstehe nicht, indem du dich bemühst, das Unrecht zu verhindern, oder indem du es wiedergutzumachen suchst.

Der Satz bedeutet, dass man dem Bösen oder dem Unrecht nicht aktiv widerstehen soll. Stattdessen soll man eine passive Haltung haben, indem man sich nicht gegen das Unrecht wehrt, sondern sogar noch eine zusätzliche Beleidigung oder Ungerechtigkeit hinnimmt

In dem Bibelkommentar Expositor's Greek Testament steht außerdem

Tholuck, Bleek und Meyer vermuten, dass die rechte Wange nach allgemeinem Brauch nur zuerst genannt, nicht aber zuerst geschlagen werden soll. Achelis meint, dass die rechte Wange zuerst mit dem Handrücken geschlagen wird, dann die linke mit einem Gegenschlag mit der Handfläche, der härter ist als der erste

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