Anblick von Unfallfahrzeugen und toten/verletzten Menschen?

9 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

An einem Einsatzort macht man zuerst mal das wofür man da ist. Man konzentriert sich auf seinen Job. Man schätzt die Lage ein und legt fest was, wann, wo und wie zu machen ist. Der Rest ist nicht wichtig und wird ausgeblendet. Ich kann dir manchmal nicht mal mit Sicherheit sagen ob die Person welche ich da grad aus dem Auto geholt hab Männchen oder Weibchen war. So lange ich meinen Job mache ist nicht wirklich Platz für Mitleid oder Traurigkeit. Das würde mich nur behindern.

Etwas anders sieht es aus wenn der Einsatz vorbei ist und man die Zeit noch mal reflektiert. Das ist die Nachbereitung. Hier hilft das Gespräch mit den anderen Kameraden oder man nimmt gleich die Angebote des Kriseninterventionsdienst in Anspruch. Das Thema ist sehr komplex und die Beteiligten sind angehalten hier auch gegenseitig aufeinander zu achten. Aber Kameradschaft ist ja ein wichtiger Prunkt welcher die Retter ausmacht.

Als Retter kann ich nicht bei jedem Einsatz ein bisschen mit sterben, das hält man nicht lange aus. Man muss sich zum Beispiel auch bewusst machen das wir nicht schuld an der Lage sind. Wir kommen um zu helfen und vertrauen da auf unsere Ausbildung. Das nicht Jedem geholfen werden kann liegt in der Natur der Sache.

War in meiner Zeit als Notarzt bei einigen Verkehrsunfällen dabei. Teilweise mit Toten.

Vor Ort reagierst du professionell und versuchst, Ordnung ins Chaos zu bringen. Dafür trainierst du und wirst entsprechend ausgebildet.

Ich kann mich an die Details der schweren Unfälle auch heute noch erinnern wie zum Beispiel, als ich das erste Mal den Totenschein einer Person ausfüllen musste, die bedeutend jünger war als ich.

Es ist halt Teil meiner Berufserfahrung. Belastet hat es mich nie.

Hi,

Wie ist es eigentlich, einen Unfall live so zu sehen, besonders wenn es ein schwerer Unfall ist? Ihr müsst es ja verarbeiten, was ihr da seht.

Im Einsatz selbst macht man sich tendenziell eher weniger Gedanken à la "Oh mein Gott, ist das schlimm!° - man hat schlichtweg genug andere Dinge zu tun, die in der Situation Vorrang haben.

Das Nachdenken fängt in aller Regel erst dann an, wenn der Einsatz abgearbeitet ist und man etwas zur Ruhe kommen kann. Wie man damit umgeht, ist individuell sehr unterschiedlich.

Man muss aber auch festhalten: das ist nicht der Alltag. Dramatische Einsätze sind auch für den hauptberuflichen Rettungsdienstler eine Ausnahmeerscheinung.

Herzinfarkte, Synkopen, Schlaganfälle, Krampfanfälle bei bekannten Epileptikern, Bauchschmerzen seit drei Wochen und Rückenschmerzen seit einem halben Jahr sind das Tagesgeschäft. Und, da bin ich ehrlich: das bringt mich weder ins Schwitzen, noch belastet es mich.

Ihr ja innerlich sicher auch traurig und habt Mitleid mit den verletzten oder toten Menschen

Man muss unbedingt Mitgefühl (= Empathie) von Mitleid unterscheiden.

Mitgefühl unterschreibe ich auf jeden Fall - Mitleid nicht. Ich leide nicht mit. Im typischen Setting hat man überhaupt keine persönliche Beziehung zu den Patienten und nach spätestens einer Stunde auch keinen Kontakt mehr.

Mitleid bringt dem Patienten nichts - den Rettungsdienstler aber ein Stück weiter in Richtung Berufsunfähigkeit.

Am Ende des Tages ist die Tätigkeit im Rettungsdienst einfach Arbeit: man ist dafür ausgebildet, ausgerüstet und hat in der Regel den Anspruch an sich selbst, den Patienten möglichst optimal zu versorgen. Man geht nicht unvorbereitet in die Situationen rein (was m.E. den größten Unterschied zu Ersthelfern macht) und hat eine klare Aufgabenstellung.

Die grundsätzliche persönliche Betroffenheit, die sehr oft angenommen wird, ist kein Teil des beruflichen Selbstverständnisses im Rettungsdienst.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent
DerLink43 
Fragesteller
 18.08.2023, 10:16

Was sagst du eigentlich dazu, dass ihr von Gaffern gestört wird, von Klimaaktivisten aufgehalten werdet und dass auf der Autobahn die Rettungsgasse nicht gebildet wird?

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SaniOnTheRoad  18.08.2023, 12:48
@DerLink43

Thema Gaffer: finde ich moralisch hochgradig verwerflich - eine direkte Behinderung habe ich bis dato allerdings nicht erlebt.

Thema Klimaaktivisten: analog zu den Gaffern keine persönliche Erfahrung; im Endeffekt ist es für das Ergebnis egal, warum der Verkehr steht. Die Protestform halte ich zwar für sinnbefreit, aber nicht für ein gesondertes Problem.

Thema Rettungsgasse: das Problem sind nicht die 97 Fahrer, die es problemlos hinbekommen, sondern nur die 3, die es nicht hinbekommen. Dass diese ausreichen, um die Rettungsgasse zunichte zu machen, ist eher das Problem, als ein generelles "Nicht bilden".

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Ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte, als Einsatzkraft zum Unfallort zu fahren,

Dann wärest du auch keine Einsatzkraft...

In unserer Stadt gibt es z.B. diesen Verein an den man sich wenden kann

https://www.hilfe-fuer-helfer-in-not.de/

Mich hat bislang nur ein Tod psychisch belastet und zwar der eines Säuglings. Den Rest arbeite ich professionell ab und rede nach dem Einsatz nochmal mit dem Team.
Ansonsten gibt es bei uns auch Notfallseelsorger speziell für Einsatzkräfte, die zu psychisch belastenden Einsätzen dazu alarmiert werden können. Genauso kann man sich nach einem Einsatz außer Dienst nehmen lassen, wenn er einen zu sehr belastet.