Ab welchem Jahr stand es in Europa fest, dass es einen großen Krieg geben wird?

7 Antworten

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Letztlich begann das Unheil mit der Thronbesteigung Wilhelms II. und der Verabschiedung Bismarcks als Reichskanzler durch denselben. Bismarck hatte sich immer bemüht, diplomatischen Ausgleich zu finden, das war Wilhelm II. weniger wichtig, im Gegenteil, der hatte Sendungsbewusstsein und Großmannssucht, wie fast alle Herrscher seiner Zeit, dazu kamen die immer stärker werdenden Nationalismen auch innerhalb der Staaten; zusammen mit immer schneller werdender Nachrichtenübermittlung, was die Reaktionszeiten schrumpfen ließ, war es letztlich nur eine Frage der Zeit, wann die Wahrung des (nationalen) Gesichtes verbunden mit Herrschaftsansprüchen auf der Welt zur Katastrophe führen würde ...

Übrigens ist es in diesem Kontext egal, ob man über Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Russland oder auch das Osmanische Reich spricht, dieses Virus grassierte überall.

Lag an der Machtverteilung nach Bismark. Der hat immer schön die Verträge gemacht um nen Zweifrontenkrieg zu verhinden und hat so das Mächtegleichgewicht gewahrt. Dann wurde der abgelöst von Wilhelm II. und der hat das nt für nötig angesehn das so fortzuführen.

Der Rest ist Geschichte :)

Sarajevo war damals Österreich,und Serbien ein Provinz Staat,der immer wieder versuchte,die ganze Region zu stabilisieren,insbesondere das Habsburgsche Reich,mit der vermeintlichen Rückendeckung Russlands und Frankreichs. Österreich und Deutschland dachten ,es wäre ein Kinderspiel,Serbien in die Knie zu zwingen,jedoch planten damals bereits Frankreich und auf der anderen Seite Russland,ihren Einfluss und ihre Vormachtstellung auszuweiten,und Deutschland und Österreich klein zu halten

Viele Menschen erwarteten damals einen großen europäischen Krieg. Der war aber keineswegs ausgemachte Sache.

Die Forderungen Österreichs an Serbien in Folge des Attentats waren so gemacht, dass man sie nicht annehmen konnte und doch hat Serbien sie beinahe angenommen.

Das russische Zarenreich hätte Österreich den Krieg vielleicht nicht erklärt, wenn die schneller reagiert hätten. Man sah die Trägheit der österreichischen Reaktion als Zumutung.

Kaiser Wilhelm II hat noch bis in die ersten Tage des Krieges versucht ihn zu verhindern. In einem der Bücher die ich zu dem Thema lies hieß es, er liebte es seine Soldaten in den hübschen Uniformen anzusehen, er wollte nicht, dass sie totgeschossen werden.

Man darf ja nicht vergessen, dass die Könige/Kaiser/Zaren von Großbritannien, Deutschland, Österreich und Russland untereinander verwandt und verschwägert waren.

Es ist schon eine Weile her, dass ich darüber las deshalb kann ich die Details nicht mehr wiedergeben, doch glauben moderne Historiker überhaupt nicht mehr an die Unausweichlichkeit des Krieges. Tatsächlich mussten die Sterne sehr ungünstig stehen, damit es so kam. Christopher Clark nannte sein Buch über das Thema vor ein paar Jahren "Die Schlafwandler" weil die europäischen Mächte fast wie auf Autopilot in den Krieg geschlittert sind, ohne dass der Krieg wirklich gewollt worden wären. Neill Ferguson sprach vom "Falschen Krieg".

Wann stand also fest, dass es zu einem großen Krieg kommen würde? Am 28. Juli 1914. Das war der Moment an dem es zu spät war. Hätte Serbien am 27. Juli 1914 eingelenkt, wäre es zu keinem Krieg gekommen (womit ich Serbien auf keinen Fall die Schuld geben möchte).

Außer du bist ein Determinist, dann stand es am Anfang der Zeit fest. 😉

Es sind in den letzten Jahren ein paar exzellente Bücher zu dem Thema erschienen: Der Falsche Krieg von Niall Ferguson, Die Schlafwandler von Christopher Clark und der Große Krieg von Herfried Münkler (in dieser Reihenfolge lesen).

Das 20. Jahrhundert wäre ohne den Ersten Weltkrieg völlig anders verlaufen. Die Ideen einer kontrafaktischen Geschichte sind vielfältig.

Wie würde eine Welt aussehen, in der nach 1918 das deutsche Kaiserreich, Österreich-Ungarn und das russische Zarenreich weiter existiert hätten?

Das osmanische Reich wäre nicht untergegangen, jedenfalls nicht am 1. Weltkrieg.

Manche glauben die kommunistische Revolution hätte in Deutschland stattgefunden und wer diese Theorie mag glaubt, dass das kommunistische Deutschland ein sehr viel besserer Staat gewesen wäre als die Sowjetunion.

Vielleicht hätten wir auch ein 20. Jahrhundert ganz ohne Kommunismus als wichtige politische Kraft. Den Faschismus hätte es jedenfalls nicht gegeben, jedenfalls nicht in seiner Form und damit auch sicher nicht den Holocaust.

Manche sehen den Ersten und Zweiten Weltkrieg als eine Einheit, als einen einzigen Krieg mit 30 Jahren Waffenstillstand in der Mitte: In diesem Fall wäre die moderne Welt, die vom 2. Weltkrieg geprägt wurde unvorstellbar.

Vielleicht wären dann ein späterer 1. Weltkrieg oder ein anderer, kleinerer europäischer Weltkrieg passiert. Wie hätte eine Welt auf den Einsatz einer Atombombe reagiert, in der Krieg noch etwas alltägliches war. In der die Atombombe nicht der krachende Schlussstrich im schlimmsten Krieg der Geschichte gewesen wäre, sondern zum Beispiel der Startschuss in einem deutlich späteren Ersten Weltkrieg?

So viele vielleichts und könnte und wer weiß.

Kontrafaktische Geschichtsfragen sind immer schwierig.

Ich bin überzeugt, dass ein großer europäischer Krieg mit den Ausmaßen des 1. Weltkriegs zu keiner Zeit fest stand und sicher war.

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Nachtrag:

Auszug aus der Beschreibung von Neill Fergusons Buch "der Falsche Krieg" (Hervorhebung von mir:

Welche Faktoren haben 1914 den Zusammenbruch der europäischen Ordnung tatsächlich bewirkt? Wie wäre die Entwicklung verlaufen, wenn Großbritannien nicht in den Krieg eingetreten wäre? Niall Ferguson entwirft ein weitgefasstes Panorama des Krieges, verdeutlicht das komplexe Ursachengeflecht und rückt insbesondere die Kriegsschuldfrage in ein neues Licht. Auch die häufig vorgebrachte These von der »Unvermeidbarkeit« des Ersten Weltkrieges ist so nicht länger haltbar.
Ferguson geht sowohl mit der deutschen als auch mit der britischen Politik jener Zeit scharf ins Gericht: Auf beiden Seiten haben politisches Unvermögen, unverantwortlicher Ehrgeiz, katastrophale Fehleinschätzungen und der skrupellose Bruch internationalen Rechts zur »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« geführt, die Millionen Menschen das Leben kostete und in fataler Weise auf die weitere Geschichte Europas gewirkt hat.
sergius  20.07.2023, 15:53

Eine, wie ich meine, hervorragende Analyse zu der Frage, die hier gestellt wurde. Ich gratuliere dem Oppulus für seine Darstellung. Nur sollte man nie von der Frage ausgehen, wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn der Sachverhalt oder ein bestimmtes Vorkomnnis (z.B. der frühe Tod eines Monarchen. oder ein Attentat wie das von Sarajewo) nicht oder anders passiert wäre. Man kann immer nur beschreiben und analysieren, was tatsächlich und wie geschehen ist. Auch im Leben des Einzelnen könnte der weitere Verlauf völlig anders gewesen sein, wenn er an einer Strassenkreuzung links abbiegen wollte, aber dann in letzter Sekunde doch rechts abgebogen ist und z.B. dort der Frau begegnet ist, mit der er ein Jahr später eine glückliche oder unglückliche - Ehe einging. Was wäre geworden, wenn er links abgebogen wäre ? Sein Leben wäre auf jeden Fall anders verlaufen. Dies nur als Beispiel für die Zufälligkeiten allen Geschehens, beim Staat ebenso wie beim Einzelwesen. Sorry wenn dir dieser "Ausflug" ohne Sinn vorkäme !

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Oppulus  21.07.2023, 08:48
@sergius

Vielen Dank für das Kompliment.

Kontrafaktische Geschichte macht Spaß, ist aber selten wissenschaftlich. Eigentlich kann man argumentieren, dass sie nie wissenschaftlich ist, weil es unmöglich ist die eigenen Theorien zu überprüfen.

Ich mag kontrafaktische Geschichte. Die Frage "Was wäre passiert wenn es anders verlaufen wäre" liegt für mich über jeder historischen Frage.

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