Ich glaube, ich weiß, was du meinst, und gebe dir recht, dass die Ausdrücke "Glauben", "Intuition", "Paradox" und "Evidenz" - ganz zu schweigen von dem Syndrom - alle nicht recht passen, weil es ja nicht um den Status der Einsicht als solcher geht (die ja an sich konzeptuell und überhaupt einwandfrei ist), sondern um die Unfähigkeit, sie zu versprachlichen, die sich einem Mangel im Wortschatz des Individuums oder aber der Sprache selbst, in der die fragliche Einsicht eben nicht formuliert werden kann, verdankt. (Entschuldige, dass dies so ein Monstersatz geworden ist!) Ironischerweise gibt es meines Wissens in unserer Sprache auch keinen Ausdruck für eben dieses Phänomen, sodass es nur - bspw. wie von mir hier - umschrieben werden kann, genau wie derartige Einsichten. Dieses Phänomen ist würde ich sagen auch das Motiv schlechthin für die Neubildung von Fachausdrücken in den Wissenschaften und mehr noch in der Philosophie.

PS: Ich zweifle allerdings wiederum ein wenig daran, dass wir wirklich dasselbe meinen, wenn ich in deiner Beschreibung zur Frage lese, dass "man es [auch] nicht durch Analogien oder Metaphern erklären kann"...

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Also eine (vollständige) Interpretation als Arbeitsanweisung umfasst stets eine Inhaltsangabe, eine (Form)analyse und einen deutenden Teil. Im engeren Sinne wird unter "Interpretation" oft auch nur die Deutung verstanden, z. B. in der Struktur "Ich interpretiere, dass ...". Du wirst aber bestimmt in deiner Frage die Interpretation im ersteren Sinne gemeint haben; da darfst du also NICHT einfach deutende Gedankengänge oder Assoziationen formulieren. Eine Interpretation ist eine klar definierte Art von Sekundärliteratur und als eine solche will sie strukturiert sein. Es stimmt zwar, dass es in dem Sinne - wohlgemerkt ausschließllich, was den deutenden Teil betrifft - keine streng genommen FALSCHEN Ansichten gibt, insofern nicht negativ bewertet wird, dass du den Deutungsansatz A, und nicht B, verfolgst. Aber deine Deutungen dürfen nicht zu unschlüssig und zu wenig gestützt sein. Das heißt, du darfst (bzw. sollst sogar) deine ganz eigene Meinung haben (bzw. erst entwickeln), es wird aber erwartet, dass du sie plausibel darlegst. Dabei hilft dir, was du in deiner Analyse erarbeitet hast; daher ergeben sich mehrere mögliche Arten, eine Interpretation zu gliedern.

Zu Beginn steht immer ein Einleitungs(ab)satz, der alle verfügbaren Metainformationen des zu besprechenden Textes nennt (also Autor, Titel, Entstehungszeitpunkt und ggf. -ort, Verlag, durch den er veröffentlicht worden ist und und und.. alles, was du dem 'Arbeitsmaterial' - so nennt sich das in Klauren - entnehmen kannst). Dann folgt gewöhnlich eine sinnvoll strukturierte und reduzierende Zusammenfassung des Inhalts, also der Handlund, wobei bestenfalls auch die Beziehungen der wichtigsten Figuren zueinander beleuchtet werden sollten (das ist das Abarbeiten des sogenannten Anforderungsbereiches I: Reproduktion). Nun folgen noch Anforderungsbereich II und III: Analyse und Kommentar. Diese Teile können nacheinander, oder 'verschränkt' abgehandelt werden; geübten Interpreten würde ich Letzteres empfehlen, denn es macht Sinn, ein formales Merkmal herauszuarbeiten (Analyse) und gleich im Anschluss zu erläutern, welche Autorenintention man hinter diesem Merkmal vermutet - warum hat der Autor sich an dieser Stelle für dieses Merkmal, und nicht für ein anderes, entschieden - bzw. wie es auf dich wirkt (Deutung bzw. Kommentar). Einfacher ist es zwar, erst alle Formalia abzuhandeln und sich dann Gedanken über eine Deutung zu machen; es besteht jedoch in diesem Fall die Gefahr, dass man abschweift, seine Thesen nicht ausreichend argumentativ stützt und die Textbindung oder -nähe verliert. Es ist keinesfalls schlimm, 'textnah' zu arbeiten, wie man das nennt, also viele Zitate (ruhig in allen drei Anforderungsbereichen) zu bringen; im Gegenteil: Dies ist grundsätzlich gern gesehen und zeugt von einem souveränen Umgang mit Texten. Die 'verschränkte' Variante verleiht deinem Text viel Kohärenz und bietet noch einen weiteren Vorteil: Es gibt so viele formale theoretisch analysierbare Merkmale (besonders was die Rhetorik angeht), dass man es auch mit noch so viel Übung gar nicht schaffen kann, alles zu bedenken und zu erkennen. Daher kann es sein, dass, wenn du alle Merkmale, die dir auffallen, so runterschreibst und dann die Deutung beginnst, dein analytischer Teil zu mickrig wirkt, während die Anzahl der erkannten Merkmale nicht so sehr auffällt, wenn du ein jedes erwähntes Merkmal gleich heranziehst, um eine deutende oder kommentierende These zu begründen.

Meine Antwort soll dabei helfen, ein funktionierendes Gesamtkonzept eines interpretatorischen Textes zu errichten. Welche die von mir hier nich näher konkretisierten Merkmale sind (Analyse), ist sicher in den Links meiner Vorgänger im Einzelnen nachzulesen und wurde auch von der zweiten Antwort bereits, wenn auch nicht ganz vollständig, behandelt.

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