Guten Morgen in die Runde
die Frage hat jetzt natürlich insofern einen gewissen Bias, als "Cancel Culture" wenn nicht bereits ein Kampfbegriff, so doch ein politisches Schlagwort ist, das sich kaum jemand selbst auf die Fahne schreiben würde.
Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel, dennoch wird es nur wenige geben, die "Cancel Culture" als etwas positives framen würden. Vielmehr ist es eine gesellschaftliche Diagnose, die man annehmen oder ablehnen kann.
Diejenige, die sie annehmen, verweisen auf bestimmte Beispiele prominenter Personen, die aufgrund mehr oder weniger (bzw. seien wir ehrlich: meistens mehr) unglücklicher Äußerungen in die öffentliche Kritik geraten sind und sehen dies als Beleg der Diagnose. Die Gegenseite deutet Protest gegen solche Äußerungen als Zivilcourage und Einsatz für grunddemokratische Werte, bzw. lehnt Cancel Culture dann als Diagnose meistens schon insofern ab, als ihnen zufolge ein beträchtlicher Teil der angeblich "gecancelten" Personen weiterhin in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Nehmen wir als aktuelles Beispiel einfach Jan Josef Liefers und die restlichen Schauspieler mit ihrer #allesdichtmachen-Aktion. Hier wird sich eine gewisse Wahrheit auf Seiten der Gegner des "Cancel Culture"-Begriffs nicht verleugnen lassen, denn tatsächlich waren einige Akteure der Aktion derzeit recht prominent in den Medien vertreten. Jedenfalls mehr als vor der Aktion. Wenngleich es natürlich auch viel Kritik gab, aber das allein ist ja erstmal nichts falsches. Wer sich in der Öffentlichkeit äußert, muss prinzipiell mit Gegenrede rechnen.
Natürlich gibt es aber auch Beispiele, in denen wirklich Leute "gecancelt" werden - und in manchen Fällen mag das auch legitim sein. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen bei unpopulären Äußerungen natürlich damit rechnen, die Gunst der Öffentlichkeit zu verlieren. Das ist dann schlecht für die Karriere.
Um abschließend aber auch noch eine persönliche Meinung zu Cancel Culture an sich zu äußern: Ich sehe auch eine Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses, hin zu einer Debattenkultur, die doch sehr auf der Ausübung von sozialem Druck basiert. Ausgeübt wird dieser soziale Druck wiederum vor allem über sozialen Medien wie Twitter, in denen sich ein bestimmtes recht vokales und auch relativ gebildetes, jüngeres Klientel bewegt, das weiß, wie sie neue Medien wie Twitter gut nutzen und Reichweite generieren können. Wenn also ein Problem an dieser sog. "Cancel Culture" besteht, dann liegt das eher nicht darin, dass Leute für dumme Aussagen kritisiert werden oder im Zweifelsfall auch mal von etwaigen Ämter zurücktreten müssen, sondern eher darin, dass sich Shitstorms relativ häufig auch mal um Themen drehen, die der Mehrheit der Bevölkerung eigentlich ziemlich gleichgültig sind.
Soweit meine 5 Cent zu dem Thema. Ich wünsch Euch einen schönen Tag.
Mike