- Koran-zentrierte Gelehrte: Viele Gelehrte, die den Koran als primäre Quelle betrachten, legen mehr Wert auf die allgemeine Beschreibung des Paradieses als Ort der ewigen Freude und Zufriedenheit und sehen die Erwähnung der Huris im Koran symbolisch. Sie betonen, dass Details wie die „72 Jungfrauen“ nicht im Koran vorkommen und daher keine zentrale Glaubenslehre darstellen.
- Hadith-zentrierte Gelehrte: Andere Gelehrte, die auch Hadithe als wichtige Quelle akzeptieren, sehen die Überlieferung mit den „72 Jungfrauen“ im Zusammenhang mit bestimmten Belohnungen, z. B. für Märtyrer. Sie interpretieren diese Aussage jedoch oft nicht wörtlich, sondern als Hinweis auf die umfassende Freude und Fülle, die im Paradies herrscht.
- Moderne Sichtweisen: Einige zeitgenössische Gelehrte lehnen die wörtliche Interpretation dieser Hadithe ab und argumentieren, dass solche Überlieferungen im historischen und kulturellen Kontext ihrer Entstehung verstanden werden sollten. Sie betonen, dass der Kern des Paradieses nicht in materiellen Belohnungen, sondern in der Nähe zu Gott liegt.
- Authentizität der Hadithe: Nicht alle Hadithe haben die gleiche Zuverlässigkeit. Einige Gelehrte betrachten den Hadith über die „72 Jungfrauen“ als schwach (da'if) oder weniger zuverlässig.
- Symbolik: Zahlen wie 72 könnten metaphorisch gemeint sein, um die unzähligen Freuden des Paradieses zu illustrieren, und nicht als buchstäbliche Aussage.
Im Islam ist der Koran die zentrale und unveränderliche Quelle der Offenbarung, die als Wort Gottes betrachtet wird. Alles im Glauben und in der Praxis des Islam basiert auf dem Koran. Er gibt jedoch nicht für jede Einzelheit im Leben spezifische Anweisungen.
Beispiele:
- Der Koran gebietet das Gebet (Salat), gibt aber keine genauen Details, wie es durchgeführt werden soll. Diese Details stammen aus der Sunna und den Hadithen.
- Auch praktische Regelungen, wie die genauen Anteile bei der Erbschaft oder die Durchführung der Pilgerfahrt (Haddsch), werden oft durch die Sunna erklärt.
Die Hadithe sind Überlieferungen über die Worte, Taten und Zustimmungen des Propheten Muhammad. Sie dienen als Ergänzung und Erklärung des Koran und sind daher wichtig für die islamische Rechtsprechung und Lebenspraxis.
- Authentifizierung der Hadithe: Muslimische Gelehrte haben im Laufe der Jahrhunderte Systeme entwickelt, um die Authentizität von Hadithen zu überprüfen. Hadithe werden in Kategorien wie „authentisch“ (sahih), „gut“ (hasan) und „schwach“ (da'if) eingeteilt.
- Bedeutung: Sie werden als zweite Quelle des Islam angesehen, stehen aber immer hinter dem Koran in Autorität.
Es gibt auch innerislamische Strömungen, wie die sogenannten Quranisten, die nur den Koran als Quelle akzeptieren und die Hadithe ablehnen. Sie argumentieren, dass der Koran vollständig und ausreichend ist. Die Mehrheit der Muslime und Gelehrten akzeptiert jedoch Hadithe als eine wesentliche Quelle, solange sie authentisch sind.
Fazit- Die 72 Jungfrauen: Die Mehrheit der Gelehrten sieht diese Überlieferung nicht als zentrale Glaubenslehre, und viele interpretieren sie symbolisch oder lehnen sie als nicht-authentisch ab. Der Koran selbst erwähnt keine Zahl.
- Warum Hadithe? Hadithe ergänzen und erklären den Koran, insbesondere in praktischen und rechtlichen Fragen. Dennoch steht der Koran immer über den Hadithen, und die Authentizität der Hadithe wird kritisch geprüft.
Deine Frage bringt einen wichtigen Punkt auf: Für viele Muslime ist es entscheidend, die Harmonie zwischen Koran und Hadithen zu verstehen und gleichzeitig kritisch mit Überlieferungen umzugehen, die den Geist des Korans nicht widerspiegeln.
Die Idee, dass mit den „72 Jungfrauen“ tatsächlich Trauben gemeint sein könnten, stammt aus einer modernen alternativen Interpretation. Diese Ansicht wurde von einigen Forschern und Islamkritikern vorgeschlagen, aber sie ist unter traditionellen muslimischen Gelehrten nicht weit verbreitet. Lass uns die Hintergründe und Argumente dazu betrachten:
1. Die Quelle des Arguments- Die Theorie basiert auf sprachlichen Untersuchungen der arabischen Sprache und der Beschreibung des Paradieses im Koran. Einige Gelehrte und Forscher weisen darauf hin, dass das Wort „huri“ (حُور) nicht unbedingt „Jungfrauen“ bedeutet, sondern von der Wurzel „hawr“ (حَوَر) stammt, was auf „Reinheit“ oder „strahlendes Weiß“ hinweist.
- Im Koran werden die „Huris“ oft als „Gefährtinnen“ beschrieben, aber die genaue Bedeutung ist offen für Interpretation. Es gibt keine eindeutige Zahl von „72 Jungfrauen“ im Koran.
- Philologische Argumente: Einige Forscher argumentieren, dass die Beschreibung der „Huris“ im Kontext des Paradieses möglicherweise falsch interpretiert wurde. Statt „Jungfrauen“ könnte sich das auf „weiße Trauben“ oder eine ähnliche paradiesische Frucht beziehen.
- Ein Hinweis darauf ist, dass im Koran (z. B. in Sure 56:20) Trauben tatsächlich als Teil der paradiesischen Freuden erwähnt werden:
- „Und Früchte von der Art, die sie auswählen, und Fleisch von Vögeln, das sie begehren“ (56:19-20).
Die überwiegende Mehrheit der islamischen Gelehrten lehnt die Trauben-These ab. Sie halten an der klassischen Interpretation fest, dass „Huris“ sich auf paradiesische Wesen bezieht, die den Gläubigen als Gefährten versprochen sind.
- Begründung der klassischen Sicht: Der Begriff „huri“ wird oft im Zusammenhang mit „Azwaj“ (Ehepartner) verwendet, was darauf hindeutet, dass es sich um Gefährten handelt, nicht um Früchte.
- Symbolik: Selbst in der traditionellen Interpretation ist umstritten, ob die Huris wörtlich oder metaphorisch zu verstehen sind. Viele sehen sie als Symbol für die Reinheit und Vollkommenheit des Jenseits.
- Die Trauben-Interpretation wird vor allem von Autoren vertreten, die versuchen, den Koran mit neuen Augen zu lesen, oft unabhängig von der islamischen Tradition.
- Für diese Sichtweise sprechen Übersetzungsfehler oder Missverständnisse bei der Überlieferung der Begriffe. Es gibt jedoch keine belastbaren Beweise, dass der Prophet Muhammad oder die frühen Muslime „Huris“ als Trauben verstanden hätten.
Die Deutung, dass die „72 Jungfrauen“ eigentlich Trauben sind, ist eine moderne, unkonventionelle These, die philologisch interessant, aber innerhalb der klassischen islamischen Theologie nicht anerkannt ist. Die Mehrheit der Muslime und Gelehrten sieht „Huris“ als Gefährtinnen im Paradies, wobei die genaue Natur und Bedeutung dieser Beschreibung weiterhin ein Thema der Interpretation bleibt.
Am Ende ist entscheidend, dass der Fokus im Islam auf der Nähe zu Gott und der vollkommenen Glückseligkeit im Jenseits liegt – die konkreten Details des Paradieses sind weniger wichtig als die Bemühung, ein rechtschaffenes Leben zu führen.