Hallo,
Hier die Parabel von Günter Kunert - handelt es sich um Parataxen oder Hypotaxen?
Auf der Wanderung in eine entfernte Provinz und vom Abend überrascht, klopfte der greise Baalschem an die Tür einer Hütte am Fluss. Freundlich nahmen ihn die Inwohner für die Nacht auf, ihm das wenige aufdrängend, das sie besaßen. Sie forschten ihn aus, während er aß, und als sie seinen Namen hörten, verneigten sie sich ehrfürchtig, denn von seiner Weisheit hatten auch sie schon gehört. Sie flüsterten sich Mut zu, und nachdem der Baalschem die karge Mahlzeit beendet und für diese wie das Bett zahlen wollte, wiesen sie sein Geld ab, äßerten aber eine Bitte: Was Wahrheit sei, mögen er ihnen sagen. Der Baalschem ergriff ein Scheit, das vor der Feuerstelle lag, und sagte: „Gestern war es ein Baum, heute ist es ein Stück Holz und morgen wird es Asche sein. Das ist die Wahrheit.“
Damit warf er das Scheit in die Flammen, und unter dem Rost kratzte er bereits erkaltete Asche vor, die er dem Frager hinhielt, der sich scheute, den schwarzpulvrigen Staub auzunehmen.
„Das ist die Wahrheit von gestern“, sprach der Alte und ließ die Asche fallen, „keiner kann was damit anfangen, und jeder fürchtet, sich daran zu beschmutzen. Und eine Lüge ist, wenn ich behaupte, die Asche sei gutes Holz und brauchbar.“
Einer schüttelte den Kopf. „Man merkt doch die Lüge, wenn man die Asche erneut in den Herd legt. Sie brennt ja nicht mehr.“
Der Baalschem lächelte nicht. „Du irrst“, sagte er, „der Fehler liegt bei dir: Du kannst sie nur nicht entzünden!“
„Aber das kann keiner“, rief der andere aus.
Der jetzt und milde lächelnde Baalschem erwiderte: „Das, mein Freund, ist die Wahrheit von morgen.“