Das Gut-Böse-Problem
Es gibt ethische Positionen, die behaupten, dass Gutes und Böse zusammengehören, wie
Tag und Nacht, wie Nordpol und Südpol, kurz nur im polaren Gegensatz existieren können.
Damit läßt sich folgendes Paradox erzeugen:
Da Gutes doch offensichtlich sein soll und Gutes nur mit Bösem existiert, dass dann auch
Böses sein soll.
Ausführlicher:
Ist-Satz : Gutes existiert nur wenn Böses existiert.
Soll-Satz 1: Gutes soll sein
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----------logischer Schluß
Soll-Satz 2: Böses soll sein
Der Soll-Satz 2 ist m.E. unter ethischem Aspekt sicherlich ein Paradox!
Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, die für das Zustandekommen dieses Paradoxes
verantwortlich sein könnten.
A: Der Ist-Satz ist falsch
B: Der Soll-Satz 1 ist falsch
C: Der logische Schluß ist falsch
zu A
:
Dieser Satz formuliert das sehr plausible Verständnis einer Weltsic
ht, in der nur Dinge in
einer polaren Struktur existieren: Hell-Dunkel, Warm-Kalt, Männlich-Wei
blich,
Links-Rechts etc.
Diese Denkweise ist bei vielen Vorsokratikern (Anaximander, Heraklit, tei
lweise Parmenides,
Empedokles etc.), bei vielen östlichen Philosophien (chin. Yin und Yang, indische
Philosophie etc), modernen Denkern wie Hegel, Goethe, Freud, Jung etc zu finden. Kurz: er
hat eine ganze Menge an berühmten Vertretern und an Plausibilität zu verbuchen.
Er ist jedoch meines Erachtens nicht wahr. Es ist durchaus eine Welt vorstellba
r, in der es
keine polaren, sprich konträren Gegensätze gibt, sondern 'nur' kontradiktorische. Eine
Welt,
in der nur Komplementäres herrscht. Wo es zu links nur nicht-links, zu hell nur nicht-hell
gibt usf. Dies ist jedoch unabdingbar. Eine Welt, in der es zu A kein non-A gibt, ist nic
ht
aussagbar, nicht verständlich. Einen Kreis kann es nur geben, wenn ich ihn auf einen
Hintergrund, einen nicht-Kreis zeichnen kann, eine Welt, in der es nur Kreise und keine
nicht-Kreise gibt ist vollständig undenkbar. Lernt ein Kind ein Wort, so muß es zu den
Gegenständen, die unter den Begriff (den das Wort bezeichnet) fallen, den sog. Beisp
ielen
auch Gegenbeispiele gezeigt bekommen, Gegenstände, die unter diesen Begri
ff nicht fallen.
Sonst wird es nichts verstehen können. Die Welt zu benennen, bedeutet sie zu trennen - in A
und non-A. Aber nicht nur Sprache fordert das, sondern ebenso vorsprachliches Erleben.
Ein Kind, das Hunger erlebt, erlebt ihn nur auf der Folie des gestillten Hungers, des
Nicht-Hungers, sein Ziel, sonst gäbe Hunger keinen Sinn. Denn sein Sinn ist, sich selbs
t
aufzuheben, von A zu non-A zu werden.
Also scheint der Ist-Satz im wesentlichen doch zu stimmen, in abgewandelter,
abgeschwächter
kontradiktorischer Form:
Ist-Satz 2: Gutes existiert nur, wenn Nicht-Gutes existiert.
Damit ist das Problem aber keineswegs gelöst. Das Paradox bleibt, we
nn auch abgeschwächt,
bestehen. Denn nun lautet der abgeleitete
Sollens-Satz 2: Nicht-Gutes soll sein.
Auch das ist sicherlich ethisch nicht akzeptabel. Gälte dieser Satz, höbe er
die Ethik auf.
zu B
: Dieser Satz scheint schon fast tautologisch zu sein. Denn gut ist das, was sein sol
l.
Ja nur Gutes soll sein, meint jede rationale Ethik. Nicht-Gutes soll nicht sein.
Damit scheint nur noch der
logische Schluß falsch
sein zu können.
Einen naturalistischen Fehlschluß ist in ihm nicht zu erkennen. Denn er folgert ja nicht
nur
aus einem Ist-Satz einen Soll-Satz, sondern aus einem Ist-
und
einem Soll-Satz einen
weiteren Soll-Satz. Das ist nicht nur gang und gäbe, sondern auch durchaus korrekt.
Wenn wir sagen, du sollst die Wahrheit sagen (Soll-Satz) und eine konkrete Aussage S
inhaltlich falsch ist oder eine Täuschung darstellt (Ist-Satz), so folgern wi
r ganz richtig, dass
du diese Aussage S eben nicht machen sollst (abgeleiteter Sollsatz).
Ich kann keinen Fehler an dem logischen Schluß finden. Er ist ganz und gar korrekt. Und
dennoch!
Hier liegt der
springende Punkt
. Der gefolgerte Satz : 'Nicht-Gutes ist gut' oder 'Nicht-Gutes
soll sein' ist dennoch falsch.
Ein normatives Paradoxon, das die ganze Ethik ad absurdum führt?
M.E handelt es sich hier um das Durchscheinen einer
anderen Welt
. Der Transzendenz:
Denn Ziel aller Ethik ist, daß nur Gutes ist. Das jedoch ist unmöglich, da ja Gutes nur m
it
Nicht-Gutem kohabitiern kann. Das bedeutet aber: wenn es das Ziel der Ethik ist, da
ß nur
Gutes ist, dieses Ziel nicht in unserer Welt formulierbar ist. 'Über Ethik ka
nn man nicht reden'
sagte Wittgenstein, 'Ethik ist transzendent'. Genauer gesagt das Ziel der E
thik.
Denn die vollständige Realisierung des Guten bedeutet in eins seine vollständige
'Vernichtung', seine Aufhebung, und genau das ist das Ziel der Ethik. Das Jenseits von Gut
und Böse.
Gutes, was sein Gegenpart, das nicht-Gute nicht mehr zuläßt, ist vollbracht. Die
ser Zustand,
sozusagen, das Nirwana, das 'Seyn' bei Gott, 'das weder Zukunft noch Vergangenheit ke
nnt',
bedarf dieser Begrifflichkeit nicht mehr. Denn Begriffe sind Mittel, Ziel
e zu erreichen. 'Wenn
man auf der Leiter der Sprache zum Ziel hinaufgeklettert ist, muß man die Leite
r, die nicht
mehr exisitert, wegwerfen' (Wittgenstein).
Auch hiervon gibt es Zeugnis in unserer Welt: Ein Kind, das hungerte und dessen Mutter es
stillte, wird weder Hunger noch Nicht-Hunger haben. Es ist im relativen Nirw
ana.
Nur wenn es in die Welt der endlichen Kommunikation zurückkehrt, d.h. wenn die Mutter es
beispielsweise fragt, ob es satt sei, wird es sagen können, ja es ist sat
t. D.h. es ist dann mit
einemmal wieder heruntergesaust in diese Welt. Diese Rede (von Hunger und Satthei
t) ergibt
nur einen Sinn, wenn von außen jemand eintritt und fragt. (So ähnlich wie Schrödinger's
Katze, die weder tot noch lebendig ist oder anders formuliert, sowohl tot als auch lebe
ndig,
und erst, wenn der Beobachter nachschaut, 'sich für einen Zustand entscheidet', d.h, daß die
'Wellenfunktion kollabiert' oder besser gesagt dekohärent wird.)
Die wesentliche Struktur unserer Welt ist die, daß es
mich und die Anderen
gibt: Und diese
fundamentale Trennung (u.a. der Weltschmerz der Romantik) erzeugt die kontradiktorisc
he
Dualität, die die Sprache und unser Denken spricht. Die Welt ist voll davon.
Und die andere Welt ist die unendliche, in der diese Trennung aufgehoben ist, die sich nicht
sprachlich darstellen läßt. 'Die sich nur zeigt'. :'Zeit > Ewigkeit!' et
c.
Die transzendente Welt zeigt sich in
Paradoxien des Endlichen
. Sie hält uns von ihr ab, in
Paradoxien des Unendlichen. Credo quia absurdum.
Durch solche
Brüche im Endlichen
scheint die Transzendenz hindurch, macht Platz für
Utopie.
So erzeugt das Rationale das Irrationale, sprich das Überrationale.
Eine Befreiung, die keines Befreiers bedarf, keine Ideologie etc., sondern eine Be
freiung, die
dem Menschen seine Rationalität und Würde läßt. Eine Philosophie oder Theologie des
Menschen, der die Transzendenz entdeckt aus eigener Kraft und nur Hilfe im weiteren
braucht, Hilfe für höhere Utopien. Das ist die Theologie des freien Willens wie
es in der
Schöpfung steht. Es ist der Endliche Mensch, der das Bild des Unendlichen ist und nach ihm
ist.
Auch Platon weiß das in seinem Höhlengleichnis. Nur fehlt ihm der freie Wille des
Christentums: Seine in der Höhle Gefangenen wissen nichts von der wirklichen Welt. Si
e
müssen mit Gewalt befreit werden. So kann Popper mit halbem Recht Platon verur
teilen, daß
er ein wesentlicher Ursprung der totalitären Gesinnung ist: dass man mit Waf
fen befreit.
Doch der Mensch ist vernünftiger und würdiger als Platon weiß. Sein eigenes Bild enthäl
t die
Lösung. Die Schatten - unsere Welt - sind das Abbild, das zweidimensionale Abbild der
wirklichen, transzendenten Welt. Und dies läßt sich als sinnvolle Hypothese von gefange
nen
Denkenden selbst entwickeln.
http://philmath.org/Gutboese.pdf