Ich gehe sogar noch weiter als die Bundeskanzlerin, halte einen Militärschlag gegen Syrien generell für falsch.
1) Es gibt nicht nur Argumente für, sondern auch gegen die These, das Assad erneut einen Chemiewaffeneinsatz angeordnet hat
Seine militärische Lsge hat sich, seitdem er von Russland unterstützt wird, sehr verbessert. Er hat überhaupt keinen Grund, die USA zu einem Eingreifen zu provozieren und damit seine Position wieder zu verschlechtern.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurden Kriegsgegner der USA bereits mehrfach mit z.T. perfiden Fälschungen diffamiert. Als der Irak 1990 in Kuwait einmarschierte, behauptete eine Kuwaiterin vor laufender Kamera unter Tränen, dass irakische Soldaten Babys aus Inkubatoren gerissen hätten. Einige wenige Schauspielexperten schöpften frühzeitig Verdacht und behielten am Ende Recht, dass die vermeintliche Zeugin gelogen hatte. Während des jugoslawischen Bürgerkriegs zeigte das ZDF Bilder von angeblich bis auf die Knochen abgemagerten Häftlingen in serbischen Konzentrationslagern. Später musste das ZDF eingestehen, dass es auf eine Fälschung hereingefallen war und es sich in Wahrheit um Puppen gehandelt hatte. 2003 marschieren die USA erneut in den Irak ein und stürzten Saddam Hussein unter dem Vorwand, dass er immer noch Chemiewaffen besäße. Nur 1 Jahr später erwies auch das sich als Fälschung. Ich bin daher sehr skeptisch, wenn Assad mit so atemberaubender Schnelligkeit bereits als überführter Täter dargestellt wird, wo doch Untersuchungen und Strafprozesse bei Mord - wenn sie rechtsstaatlicher Qualität folgen sollen - in der Regel Monate bis Jahre in Anspruch nehmen.
2) Die Präzedenzfälle Irak, Libyen und Jemen (und schon 1990 Somalia) haben gezeigt, dass viele Staaten nach der plötzlichen Beseitigung der Zentralregierung nicht mehr lebensfähig sind.
Würde Assad gestürzt, würde in Syrien keine Demokratie entstehen, sondern ein Chaos einander befehdender, größtenteils von Extremisten regierter Kleinstaaten. Ein halbes Jahr nach dem Sturz Qhadafis zeigten sich in einer Umfrage in Libyen zwar noch 80% der Befragten mit der Revolution zufrieden. Zugleich lehnten aber ebenfalls 80% ein westliches politisches System ab, weil ein solches zu schwach sei, die vielen Stämme des Landes zusammenzuhalten. Die Libyer selbst brachten es damit auf den Punkt, worauf es bei einer Demokratie ankommt: Die Schwelle vom Stamm zur Nation muss überschritten sein. Die Verbreitung von Demokratie ist zwar wünschenswert, doch müssen auch die kulturellen Vorraussetzungen dafür gegeben sein.
Ich bin kein Sympathisant von Assad und er sollte langfristig nicht mehr regieren. Um einen völligen Zusammenbruch Syriens zu vermeiden, ist das Land aber noch auf ihn angewiesen. Er muss bis zum Ende des Bürgerkrieges und für die erste Phase danach noch das Land leiten.
3) Gerade England und Frankreich sollten sich in besonderem Maße im Nahen Osten zurückhalten.
Die beden Mächte haben die Araber im 1.Weltkrieg gegen das Osmanische Reich zunächst unterstützt. Als sie nicht mehr auf ihre Verbündeten angewiesen waren, haben sie alle Versprechen den Arabern gegenüber, diesen einen geeinten unabhängigen Staat zu ermöglichen, gebrochen und in einem Geheimabkommen (Sykes-Picot 1916) den Nahen Osten in die bis heute bestehenden völlig willkürlichen Grenzen unter sich aufgeteilt. Die politische Instabilität der Region geht in erheblichem Maße darauf zurück.
Nach dem 2.Weltkrieg gab es mehrere Versuche der Araber, das Sykes-Picot-Abkommen zu revidieren. Eine Zeitlang arbeiteten irakische (wurde nach dem Sturz Saddam Husseins aufgelöst) und syrische Baath-Partei (dieser Zweig wird bis heute von Assad angeführt) zusammen, doch dann brachen die Gegensätze zwischen schiitisch (alawitisch) regiertem Syrien und (bis 2003) sunnitisch dominiertem Irak auf. Auch der sogenannte Islamische Staat versuchte mit dem Versprechen, das alte koloniale Diktat aufzuheben, Sympathien zu gewinnen.
4) Die USA sollten sich von ihrer Vorstellung, ihr Gesellschaftsmodell sei allen anderen überlegen, verabschieden.
Die USA versuchen seit Anbeginn ihrer Existenz immer wieder, diese Haltung auch mit Gewalt durchzusetzen. Damit zeigen sie, dass sie nur innenpolitisch ein demokratischer Staat sind, nicht aber außenpolitisch. Die USA verweigern immer wieder anderen Völkern das Recht, ein abweichendes Gesellschaftsmodell zu realisieren.
Viele Völker sind um eine ganze Größenordnung älter als die USA, z.B. China und der Iran. Diese stehen seit Jahrtausenden meist in der vorderen Reihe der Hochkulturen und widerlegen so eindrucksvoll, dass andere Gesellschaften weniger leistungsfähig seien als westlich strukturierte. Das China im 20.Jh. Entwicklungsland war, muss bei 4000 Jahren fast ununterbrochener Zugehörigkeit zur Weltklasse als kleiner Durchhänger betrachtet werden. Der Iran kann immerhin fast 2500 Jahre hoher kultureller Leistungen vorweisen.