Was ist der strukturalismus?

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Der als Begründer des Strukturalismus geltende Linguist (Sprachwissenschaftler) Ferdinand de Saussure untersuchte in seinen "Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft" (Saussure 1916) die Bedingungen, die ein wechselseitiges Verstehen ermöglichen. Insbesondere beschäftigte er sich dabei mit der Sprache als einer systematischen Struktur. Bedeutung, sagte Saussure, entstammt nicht der Außenwelt, die beschrieben wird, sondern dem System der Sprache [langue] selbst. Bedeutung ist nur möglich, weil sie aus einem System abgeleitet wird, das bereits vor ihr besteht, und das unabhängig von den jeweiligen Sprechakten [parole], den jeweiligen (individuellen) Äußerungen besteht.
"Struktur" bezieht sich dabei auf die Totalität (Gesamtheit) der linguistischen Beziehungen, innerhalb derer ein sprachlicher Akt möglich ist. Sie begrenzt uns, aber sie ermöglicht auch. [Wir sind also nicht so "frei", unabhängig und autonom, wie wir üblicherweise glauben!] Man kann also in Kommunikationen nur Bestimmtes sagen, da man von Anderen, die demselben Sprachsystem angehören, verstanden werden will. Struktur wird bei Saussure synchron (bzw. statisch) verstanden. Davon unterschieden wird die zeitliche oder diachrone Dimension, in der sich die Dinge (scheinbar) verändern. Für Saussure zählte der synchrone, systematische Charakter der Sprache: Nur diese verallgemeinerbaren Regeln des (Sprach-)Systems könnten Gegenstand einer Sprachwissenschaft sein.
Bedeutungen von bestimmten Zeichen, Wörtern, Bildern oder Texten entstehen und bestehen nur in Verhältnissen zu anderen Zeichen, Wörtern, Bildern oder Texten (Beispiele: Tag–Nacht; unten–oben; heilig–säkular etc.). Diese Symbole "haben keine "eigentliche" Bedeutung, sondern eine "relationale"." (Eagleton 1992, 72). Bedeutungen sind nicht fix mit dem "Gegenstand" verbunden, den sie bezeichnen wollen (etwa: Baum / tree / arbre / etc. – Viel komplizierter und für Sozialwissenschaften relevant: Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie, Glück, Menschenrechte, Staat, Produktionsverhältnisse etc.).
Relationalität: In der strukturalistischen Theorie ist damit die These verbunden, dass alles miteinander zusammenhängt und dabei auch seinen bestimmten Platz hat. Strukturen werden als geschlossen und als in sich geordnet charakterisiert. "Strukturalismus in einem weiteren Sinne stellt den Versuch dar, diese linguistische Theorie auf Objekte und Tätigkeiten außerhalb der eigentlichen Sprache zu übertragen." (Eagleton 1992, 75) (Beispiel: Claude Lévi-Strauss für den Bereich der Ethnologie).

https://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/denkenpowi/denkenpowi-29.html

Eine philosophische Strömung, die bei ihren Forschungen über die konstituierenden Elemente eines beliebigen Fachgebiets von grundlegenden systemischen Beziehungen und Strukturen ausgeht. Der Strukturalismus denkt die Subjekte und Objekte nicht von ihrer vermeintlichen Natur her, sondern von den charakteristischen Verbindungen (zwischen ihnen, mit ihrer Umgebung, in Bezug auf das System, in dem sie sich entwickeln,...). Im Gegensatz zum Existentialismus und zu den Philosophien über das menschliche Subjekt bekräftigt der Strukturalismus also die Vorrangigkeit der Strukturen über die Figuren, des Systems über die Individuen, aus denen es besteht. Diese Denkströmung wurde anfänglich von der Linguistik Saussures inspiriert (der zeigt, dass ein einzelnes Wort nur im Zusammenhang mit anderen verständlich ist) und bevorzugt bei ihren Untersuchungen den formalistischen Ansatz gegenüber der historischen Annäherung an die Objekte, mit denen sie sich befasst. In den Humanwissenschaften hat sich diese Herangehensweise als sehr fruchtbar erwiesen, vor allem in der Anthropologie mit Levi-Strauss (dessen Arbeit sich mit den elementaren Strukturen der Verwandtschaft befasst), in der Psychoanalyse mit Lacan (für den „das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert ist“), in der Semiologie mit Barthes (der den Strukturalismus als eine ursprüngliche Methode der Literaturanalyse betrachtet und ihn zugleich noch radikalisierte), in der Philosophie mit Althusser, Foucault und Deleuze, wobei die beiden letzteren sich nicht immer in dieser Bewegung wiedererkannt haben. Der Strukturalismus erreicht in den 1960er Jahren seinen Höhepunkt und verliert zum Ende der 70ger Jahre mit dem Aufkommen einer neuen Philosophie, die erneut das menschliche Subjekt in den Vordergrund stellt, wieder an Bedeutung. Er ist letztlich nur schwer zu vereinheitlichen und charakterisieren, außer durch die lebhaften Debatten, die er angestoßen hat (wie der Streit um den Humanismus, den, gegen seinen Willen, Foucault losgetreten hat, als er am Ende seines Buches Die Ordnung der Dinge vom „Tod des Menschen“ sprach). Man kann die Bewegung aber definieren als den Versuch, „ein transzendentales Feld ohne Subjekt“ zu schaffen, d.h.: die Aktivität des Geistes und die Produkte der Kultur zu untersuchen, ohne als Voraussetzung dafür anzunehmen, dass ein bewusstes Subjekt deren Urheber ist.

https://www.philomag.de/lexikon/strukturalismus