Woran mag es wohl liegen, dass Menschen sich nicht selbst reflektieren können oder gar wollen?

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Ich hab's so gelernt:

  1. Die harte Schule war meine Rolle als schwarzes Schaf. Egal, was ich tat oder sagte, zugrunde lag immer mein "schlechter" Charakter. Da fing es an mit der Selbstreflexion. Was mach ich falsch? Nach welchen Spielregeln, die ich nicht kenne, spielen die anderen? Was soll ich ändern? Bis ich endlich, nach so vielen Jahren, dahinter kam, dass nicht irgendwas an mir nicht akzeptabel war, sondern nur die reine Tatsache, dass ich existierte, der Grund war. Den Platz, den ich eingenommen hatte, wollte jemand anderer und Rufmord war seine Rache. Und der hatte funktioniert. Dabei hatte ich von alldem keine Ahnung. Aber für mich so eine Erleichterung, dass es deren Problem war und nicht meines. Und ich kann nicht einmal sagen, dass ich dennoch auf irgendeine Weise auch mit schuld dran war. Dazu hatte der "Rufmörder" eine zu hohe und achtbare Stellung in der Familie. Ich hatte keine Chance.
  2. Die angenehme Schule war das Lesen. Viele Bücher lesen, viele Charaktere kennenlernen, und damit mich in manchen Charakteren wiedererkennen, die Ursachen, die Motive in mir selber wiedererkennen.
  3. Die Erfahrungen mit anderen Menschen außerhalb der Familie, und im Ausland. Da kam ich total anders an. Bei diesen Menschen war ich "in Ordnung".
  4. Noch ein Buch: "Die Weisheit des Enneagramms" von Riso und Hudson. Darin wird davon ausgegangen, dass man die Menschen in 9 verschiedene Persönlichkeitstypen einteilen kann, bei denen kein Typ besser oder schlechter als ein anderer ist, sondern dass man innerhalb seines Typs wie auf einer Leiter charakterlich (und auch spirituell) hochklettern oder absacken kann. Und wo die Gefahren und auch die Hilfen auf dem Lebensweg liegen. Das Buch liehen mir Freunde. Ich machte den umfangreichen Test, um meinen Typ zu finden und präsentierte das Ergebnis den beiden. Die sagten, dass ich nie und nimmer dieser Typ wäre. Also begann ich wieder von vorne mit der Selbsterkenntnis. Ist gar nicht so leicht, aber es lohnt sich. Die beiden hatten Recht mit ihrer Einschätzung. Dieses Buch hat mich eigentlich am besten das Sehen meiner Schwächen und Fähigkeiten gelehrt. Und die anderer Leute. Seitdem lasse ich mich durch Ur- und Verurteilungen Anderer nicht mehr beeindrucken, sondern ich mach mir nichts draus und seh es als menschliche Komödie. Das Buch ist echt super, kann ich nur empfehlen. Selbsterkenntnis hat ja nicht nur den Zweck, dass man reibungsloser mit anderen Leuten zurecht kommt, sondern dass man auch sein eigenes Leben besser gestalten kann.

Die Gesellschaft, eigentlich die Wirtschaft und auch die meisten religiösen Institutionen legt keinen Wert darauf, mündige Bürger hervorzubringen; die wären nicht so einfach zu manipulieren, deshalb wird Selbsreflexion nicht gelehrt oder gefördert, sie wird eher verhindert.

Die Menschen werden durch Schule, Studium, Arbeit, Mode, gesteuerte Freizeitgestaltung so beschäftigt, dass kaum Zeit und Energie dazu bleibt.

Bei "Wollen" ist Freiwilligkeit Voraussetzung. Wer nicht will, kann eben gar nichts.

Manche sind aber auch so von sich überzeugt, dass die gar nicht merken, dass sie falsch agieren.

Im besten Fall lernt man die Selbstreflexion nebenbei: Hat mir dieses und jenes gut getan - hat es mir geholfen? Wie kann ich was besser machen beim nächsten Mal?

Es ist immer leicht für sein eigenes unangemessenes Verhalten eine Entschuldigung zu finden. Bei anderen lässt man Entschuldigungen nicht so leicht zu.

Banales Beispiel: Parken in zweiter Reihe. Alle finden es doof, wenn Leute in zweiter Reihe parken und die halbe Straße blockieren, aber doch hat es fast jeder mal gemacht, weil halt kein Parkplatz zu finden war und man ja nur ganz kurz stehen bleibt. Wenn halt alle nur mal kurz parken, dann ist die Straße den ganzen Tag dicht.

Ich glaube die meisten wissen schon, wenn sie etwas machen was nicht korrekt ist. Insofern funktioniert die Selbstreflektion bei vielen durchaus. Sie haben halt immer eine Ausrede, warum das bei ihnen ganz anders ist als bei anderen und sie "gute" Gründe haben.