Wird der Vizekanzler automatisch Kanzler, wenn der Kanzler stirbt oder muss er gewählt werden?

7 Antworten

In den USA wird der Vizepräsident automatisch zum Präsidenten. In Deutschland hingegen würde der Bundespräsident mit hoher Wahrscheinlichkeit den Vizekanzler zum geschäftsführenden Bundeskanzler ernennen, wenn der Bundeskanzler stirbt - theoretisch kann er sich aber auch für eine andere Person entscheiden. Es muss dann theoretisch aber ein neuer Bundeskanzler durch den Bundestag gewählt werden. Allerdings gibt es dafür keine Frist. Der Bundespräsident kann aber, wenn sich das Parlament nicht einig wird, dann auch den Bundestag auflösen und neue Wahlen anordnen. Wenn er möchte kann er das Ganze aber einfach auch so weiterlaufen lassen, bis zur nächsten regulären Bundestagswahl, wenn er selbst oder der Bundestag selbst den Bundestag nicht auflösen. Beim Bundespräsidenten selbst ist es so, wenn er stirbt, dass dann automatisch der Bundesratspräsident die Aufgaben des Bundespräsidenten geschäftsführend übernimmt. Da gibt es dann aber sogar eine Frist für eine Neuwahl - könnten 30 Tage oder so sein, müsste ich jetzt aber nachlesen.

Nehmen wir an, dass der fiktive Kanzler O an einem Herzinfarkt stirbt.

Dann tritt Grundgesetz Artikel 69, 2 in Kraft:

  • Das Amt des Bundeskanzlers oder eines Bundesministers endigt in jedem Falle mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages, das Amt eines Bundesministers auch mit jeder anderen Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers.
Wird der Vizekanzler R kommissarisch nur die Kanzlerschaft übernehmen oder gilt er als automatisch gesetzt für die ganze Periode?

Eine Regelung gibt das Grundgesetz Artikel 69, 3 vor:

  • Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen.

Dieser Artikel verhindert, dass die Bundesrepublik plötzlich ohne eine Regierung dastünde.

Der Bundespräsident würde den gemäß Geschäftsordnung § 8 bestimmten Stellvertreter des Bundeskanzlers mit der Leitung der Bundesregierung beauftragen sowie alle Bundesminister zur weiteren Wahrnehmung ihrer Geschäftsbereiche verpflichten.

In der Geschäftsordnung § 8 steht:

  • Ist der Bundeskanzler an der Wahrnehmung der Geschäfte allgemein verhindert, so vertritt ihn der gemäß Artikel 69 des Grundgesetzes zu seinem Stellvertreter ernannte Bundesminister in seinem gesamten Geschäftsbereich. Im übrigen kann der Bundeskanzler den Umfang seiner Vertretung näher bestimmen.

Der geschäftsführende Bundeskanzler hat also vorübergehend alle Kompetenzen des verstorbenen gewählten Bundeskanzlers.

Muss der Bundestag R dann als Kanzler wählen oder bleibt er es in der Legislaturperiode ohne eine Wahl?

Der Bundespräsident kann ggf. einen Kandidaten vorschlagen (GG Artikel 63, 1). Natürlich kann auch der Bundestag anstelle des Verstorbenen einen eigenen Kandidaten zum neuen Bundeskanzler wählen (GG Artikel 63, 2). Das genaue Vorgehen wird zwischen Bundespräsident und den maßgeblichen Politikern der Regierungsparteien abgesprochen werden. Solange die Legislaturperiode dauert, muss es eine ordnungsgemäß legitimierte Bundesregierung mit einem gewählten Bundeskanzler als Vorsitzendem geben!

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Ich habe das HIER gefunden:

Ohne einen amtierenden Bundeskanzler aber existiert keine Bundesregierung ( Art. 62  GG) und mit der Amtsbeendigung eines Bundeskanzlers verlieren auch alle Regierungsmitglieder ihre Ämter ( Art. 69 Absatz 2 GG). Streitig unter Juristen ist weiterhin, ob der Bundespräsident in solchen Situationen in der Auswahl des „neuen“ Bundeskanzlers auf die Person des bisherigen (auch als solcher nicht mehr im Amt befindlichen) Vizekanzlers beschränkt ist – die herrschende Meinung (u. a. Herzog in Maunz/Dürig Art. 69 Rn. 59) geht von einer Auswahlbeschränkung aus ( Walter Scheel war 1974 auch zuvor Vizekanzler, als er von Bundespräsident  Gustav Heinemann mit der  vorübergehenden Amtsführung betraut wurde). [23] Eindeutig ist weiterhin nicht, ob in diesen Fällen der Terminus „geschäftsführender“ Bundeskanzler rechtlich überhaupt der richtige ist: Nach wörtlicher Auslegung des Artikel 69 Absatz 3 des Grundgesetzes können nur die bisherigen Amtsinhaber zum „geschäftsführenden Bundeskanzler“ oder zu „geschäftsführenden Bundesministern“ verpflichtet werden. [24] Aus ähnlichem Grunde wird Konrad Adenauer nicht als Bundesaußenminister für den Zeitraum nach dem Rücktritt  Heinrich von Brentanos 1961 geführt, obwohl der das Amt „faktisch geschäftsführend“ wieder übernahm, aber im Gegensatz zu  Helmut Schmidt 1982 nicht offiziell Außenminister wurde. Erst eine  analoge  Auslegung des Artikel 69 Absatz 3 könnte in dieser Fallkonstellation die Bezeichnung „geschäftsführender Bundeskanzler“ rechtfertigen; ansonsten ist er rechtlich ohne Zusatzbezeichnung ausschließlich ein „Bundeskanzler“.

Der Bundespräsident bittet den Vizekanzler oder einen anderen Minister vertretungsweise die Aufgaben des Kanzlers zu übernehmen.

Es sollte dann allerdings möglichs Zeitnah im Bundestag ein neuer Kanzler gewählt werden

Es gibt offiziell keinen Vizekanzler. Der Kanzler kann einen Stellvertreter ernennen. Der wird dann in den Medien Vizekanzler genannt.

Im Fall der Geschäftsunfähigkeit des Kanzler bestimmt der Bundespräsident einen geschäftsführenden Kanzler. Das kann der Stellvertreter sein oder ein anderer Minister.

Möglichst schnell muss der Bundestag aber einen Kanzler wählen. Der geschäftsführende ist also wirklich nur ein kurzfristiger "Lückenfüller".

pblaw  04.02.2022, 17:25

NEIN. Der Vizekanzler (deshalb heißt er so) vertritt den Kanzler bei Krankheit, während einer Auslandsreise (also bei Abwesenheit) kommissarisch mit allen Rechten.

1