Wie würde die Welt aussehen, wenn jeder Mensch dieselbe Meinung hat?

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Meinung entsteht aus Bedürfnissen

In der Realität haben Menschen verschiedene Interessen und unterschiedliche Attribute wie zum Beispiel bei der Körpergröße: Ein 1,90 m großer Mensch hat andere Anforderungen an Schränke als jemand mit einer Größe von 1,50 m.

Die Voraussetzung, dass "jeder Mensch dieselbe Meinung hat", entspricht deshalb einer Gesellschaft, in der alle dieselben Lebenserfahrungen gemacht haben und sowohl mental als auch physisch die gleichen Eigenschaften haben.

Das ist praktisch nie der Fall, denn selbst Viren passen sich nach und nach an ihre jeweiligen Umgebungen an und die zählen noch nicht einmal als vollwertige Lebewesen.

Langeweile

"Sterbenslangweilig" klingt für mich wie eine falsche Kategorisierung, denn darin klingt die negative Bedeutung der Empfindung "Ereignislosigkeit" mit und außerdem ist das ein Wort, das aus unserer menschlichen Verständniswelt heraus entstanden ist und deshalb erstmal auch nur für Menschen eine Bedeutung hat. Ein Ameisenstaat etwa dient nur der Versorgung der Königin (und derjenigen der Brut). Die "Meinung" der Arbeiterinnen, wenn ich denen mal ein Reflektionsvermögen über sich und die Welt zugestehe, ist also offenbar bei allen identisch, nämlich "der Job muss erledigt werden". Finden die ihr Leben im menschlichen Sinne langweilig? Eher nicht, sonst würden sie sich ja auf Dauer für eine andere Tätigkeit entscheiden. Dass eine Ameise andere Wünsche haben könnte als genau diejenigen Tätigkeiten auszuführen, auf die ihr Gehirn über Jahrmillionen evolutionär optimiert wurde, finde ich schwer vorstellbar. Für uns Menschen sieht das Leben einer Ameise gleichförmig und langweilig aus, aber die einzelne Ameise selbst existiert genau zu dem Zweck, das zu tun, was sie nun einmal tut, nämlich der Königin zu dienen. Die Evolution würde eventuelle negative Gefühle in der Ameise vermutlich längst wegoptimiert haben, weil diese die Effizienz beeinträchtigen würden.

Friedlich oder aggressiv

Eine friedliche Welt wäre im Wesentlichen eine, in der alle miteinander kooperieren, um sich selbst und der Gemeinschaft als Ganzem ein möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen. Abgesehen davon, dass die meisten Ameisenarten gegen andere Lebewesen und oft auch gegen andere Staaten derselben Art vorgehen, kommt der Ameisenstaat meiner Vorstellung einer friedlichen Gesellschaft, in der alle (mehr oder weniger) dasselbe denken, schon recht nahe.

Wenn du eine friedliche Welt annimmst, liegt es aber nahe, auch das Gegenteil auszuloten.

Wenn Menschen also grundsätzlich sehr aggressiv gegeneinander wären (und das alle für völlig normal hielten), wäre das eine Welt überwiegend voller Einzelgänger. Stell dir vor, wir würden uns in so einer Welt treffen und wären uns absolut einig darin, dass wir uns jetzt solange gegenseitig auf die Mütze geben, bis einer von uns nicht mehr stehen kann. Der Gewinner bekommt dann den Besitz des Verlierers. Diese Welt wäre sicher brutal und Fortschritt würde eher für den eigenen Vorteil stattfinden (wer baut die stabilere Keule oder den besseren Jagdbogen), und gemeinschaftliche Anstrengungen wie der Bau großer Schiffe zur Überquerung von Meeren wären seltener. Aber einige dieser aggressiven Menschen könnten sich dennoch zusammenschließen und vorübergehend darauf verzichten einander anzugreifen, um ein Schiff zu bauen aufgrund der Annahme, dass sie auf anderen Kontinenten noch viel mehr Leute finden könnten, denen sie ihren Besitz wegnehmen könnten. Der kurzzeitig entgangene Gewinn ermöglicht einen wesentlich größeren in der Zukunft. Allerdings hätten auch in solch einer Welt nicht alle Menschen dieselbe Meinung, wenn zum Komplex "Meinung" auch das Vorhandensein von Informationen und Ideen zählt, denn irgendwer hatte ja die Idee, das Schiff zu bauen um andere Gegenden zu überfallen, und anschließend muss sich in der Gruppe ein Konsens herausbilden, ob das Risiko den Einsatz wert ist. Der Ideengeber hatte insofern einen Informationsvorsprung gegenüber den anderen Menschen und somit eine andere "Meinung", denn er war von seiner eigenen Idee bereits überzeugt, die anderen aber noch nicht. Das widerspräche aber genau deiner Bedingung, dass eben alle dieselbe Meinung haben sollten.

Fazit

Perfekt einer Meinung zu sein, ist also aus mindestens zwei Gründen nicht möglich:

  • Im Fall einer sozialen Gruppe wäre dadurch schon das Vorhandensein einer neuen Idee komplett ausgeschlossen, bzw. das Konzept "Idee" als solches wäre vollständig unmöglich.
  • Auf biologisch-chemischer Basis würde das wie im Beispiel mit den Viren voraussetzen, dass alle Individuen exakt dieselben Erfahrungen gemacht haben, was zwangsläufig zu dem Schluss führt, dass sich alle dauerhaft an derselben Position aufhalten und jederzeit dasselbe denken und tun müssten. Das wäre gleichbedeutend damit, dass es nur genau ein Individuum geben könnte.

Annähernd einer Meinung zu sein, ist dagegen die Realität:

Die meisten Menschen sind über etliche Dinge im Wesentlichen einer Meinung, sehen vieles aber im Detail etwas unterschiedlich (sonst gäbe es keine politischen Parteien und auch keine Diskussionen über jegliches Thema) und handeln entsprechend nicht immer identisch (Konkurrenz). Große Teile der Weltbevölkerung sind allerdings über bestimmte Dinge sehr einig, z.B. dass das Vorhandensein atembarer Luft eine ganz tolle Sache ist oder dass zwei Tage ohne Wasser nicht erstrebenswert sind. Auch etwa Farben werden überwiegend konsistent bezeichnet, wobei es aber subtile Unterschiede in der kulturellen Wahrnehmung gibt (z.B. werden die Grenzen zwischen "blau" und "grün" verschieden gezogen oder entfallen komplett, wie im Fall des blauen Lichts bei Ampeln in Japan).

Unsere Freiheit, die durch die voneinander abweichenden Meinungen entsteht, besteht darin, dass wir uns je nach (wahrgenommener) Situation entscheiden können, ob wir mehr von unseren kooperativen oder mehr von unseren konfrontativen Optionen nutzen, um unsere Ziele zu erreichen.

Ist unsere Welt friedlich? Teilweise, aber nicht überall.

Ist sie von Aggressivität geprägt? Teilweise, aber nicht überall.

Ist die Welt langweilig? Eindeutig nein. Wobei mir ein wenig mehr Langeweile in der Weltpolitik ganz gut gefallen würde.

Hey,

Sehr friedlich - ist aber auch eine unrealistische Überlegung da es unmöglich ist, dass alle Menschen als Individuen gleich denken und die selben Ansichten teilen.

LG

Da müsste schon ein "übernatürliches Wesen" diese Meinung in die Köpfe aller Menschen verpflanzen. Anders würde es nicht gehen.

Dann stellt sich die Frage, ob dieses Wesen Gutes oder Böses im Sinn hat.

Schwierige Frage, weil sehr hypothetisch. Grundsätzlich würde ich sagen, dass Vielfalt einer der Motoren des Lebens ist. Man sagt zwar auch, dass Einigkeit stark macht, aber zu viel Einheit macht auch bequem. Uneinigkeit zwingt zur Auseinandersetzung und zur Diskussion über den richtigen Weg. Dadurch beleuchtet man die Dinge von verschiedenen Seiten und wird vielleicht auf Sachen aufmerksam, die man von seiner eigentlichen Position gar nicht gesehen hat.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann halte ich Meinungsvielfalt für existenziell. Meinungseinheit tötet den Diskurs, die Kreativität und die Anstrengung Dinge zu verbessern, bzw. zu verändern. Alles Sachen die uns als Spezies stark gemacht haben.