Wie ist das Subjekt bei Schopenhauer zu verstehen?

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Subjekt und Objekt sind allgemein, nicht nur bei Arthur Schopenhauer, als Begriffspaar aufeinander bezogen. Sie stehen sich als Wahrnehmendes/Denkendes/Erkennendes, und das, worauf sich das Wahrnehmen/Denken/Erkennen richtet, gegenüber.

Die Aussage, Objekte existierten nach Schopenhauers Auffassung nicht wirklich, ist einzuschränken. Die Wirklichkeit hat bei ihm zwei Seiten. Es gibt die Wirklichkeit, wie sie erscheint und erfahren wird. Dies ist die Welt als Vorstellung. Die Welt als Vorstellung bei Schopenhauer ist Anschauung für einen Anschauenden. Es gibt aber auch die Wirklichkeit, wie sie wesenhaft/dem Wesen nach ist. An Immanuel Kant anknüpfend wird dies als Ding an sich bezeichnet und in einer spekulativen Deutung Schopenhauers ist es die Welt als Wille. Der Wille als Ding an sich sei grund- und ziellos (ohne Beweggrund), ein blinder Drang, und er liege jeder Vorstellung zugrunde (jeder Willensakt sei ein Streben, aber einzelne individuelle Willensakte hätten einen Ursprung, eine Motivation). Die Welt bestehe aus Objektivationen des Willens.

Aus Gründen der Darstellbarkeit behandelt Schopenhauer zunächst in einer Erkenntnistheorie die Welt als Vorstellung und dann ergänzend in einer Metaphysik auch die Welt als Wille. Die Aussage, Objekte existierten nicht wirklich, seien von einem Subjekt abhängig, gilt nur für Dinge, insofern sie Erscheinung sind. Etwas Zugrundeliegendes bei einer Vorstellung gibt es nach Schopenhauers Auffassung wirklich.

mehrere Subjekte?

Als Erscheinung, in der Welt als Vorstellung, gibt es viele Individuen und damit eine Vielzahl an erkennenden Subjekten. Dem Wesen nach sind die vielen Subjekte aber alle Objektivationen des einen der ganzen Wirklichkeit zugrundeliegenden Willens. Schopenhauer hält das principium individuationis, das Prinzip der Individuation, des Einzeldaseins alles Lebendigen, für eine Täuschung, die unter bestimmten Umständen durchschaut werden kann. Ein und dasselbe Wesen sei es – die eine Welt als Ding an sich – , das sich in allen Lebewesen darstelle und leide.

Vereinbarkeit von Vorstellungen mehrerer Subjekte

Als empirische Charaktere haben die Individuen keine Wahl (anders als beim intelligiblen Charakter). Außerdem ist die Verschiedenheit und Vielheit von Objekten von Kategorien bestimmt, ideellen Konstrukten, die im Erkennen a priori (jeder Erfahrung vorausgehend) vorausgesetzt werden. Das Subjekt begegnet Gesetzmäßigkeiten seines Erkennens. Es gibt Formen aller Erscheinung, sie sind an Zeit, Raum und Kausalität gebunden und deren Gesetzen unterworfen. Es gilt der Satz vom zureichenden Grund. Eine Vorstellung ist bei Schopenhauer ein kategorial verarbeiteter, allgemeingültiger Erfahrungsinhalt, nicht ein Trugbild der Einbildungskraft.

wirkliche Existenz der Subjekte?

Eine Entscheidung gegen den Willen ist in der Willensverneinung möglich.

zu dem Problem der Freiheit:

https://www.gutefrage.net/frage/intelligibler-charakter-empirischer-charakter-nach-schopenhauerkant

https://www.gutefrage.net/frage/schopenhauer-aussage-was-ist-mit-dem-zitat-gemeint

Eine wirkliche Existenz vieler individueller Subjekte gilt als vordergründige Erscheinung. Arthur Schopenhauer knüpft an die Transzendentalphilosophie Immanuel Kants an, versucht aber das Ding an sich näher zu bestimmen und setzt eine bestimmte Art von Identitätsphilosophie ein. Der Mensch habe in der Leiberfahrung (mit einer Innenseite, in der er sich als dem Wesen nach Wille darstellt, und einer Außenseite) unmittelbaren Zugang zu sich selbst, er sei sich seiner bewußt, als Träger von Vorstellungen. Also sei er sich selbst keine Vorstellung, in der Selbsterkennntnis (Selbstvergewisserung des eigenen Geistes), und es müsse dabei etwas anderes zugrundeliegen, nämlich der Wille. Der menschliche Geist als Subjekt erscheint nach Deutung Schopenhauers sich selbst als Wollendes. Die Vielzahl der Subjekte hält Schopenhauer allerdings für eine Täuschung.

nach der Willensverneinung Zurückbleibendes

Die Willensverneinung bringt vor allem Aufhebung. Solange der Mensch lebendig ist, bleibt der Leib. Es gibt erscheinende Freiheit und Erlösung. Das angeschaute einzelne Ding erhebt sich zur Idee seiner Gattung, das erkennende Individuum erhebt sich zum reinen Subjekt des willenlosen Erkennens (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. 3. vermehrte und verbesserte Auflage 1859. Band 1. § 38).

Michael Karskens, Subjekt/Objekt; subjektiv/ objektiv II. 5. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 10: St –T. Basel : Schwabe, 1998, Spalte 425 – 426: „Im transzendentalen Idealismus A. SCHOPENHAUERS wird die Welt als Vorstellung oder das Bewußtsein vom S./o.-Gegensatz als grundlegendem Verhältnis: «Kein O. ohne S.». Zu Anfang wird das S. als die konstituierende Kraft oder das Prinzip dargestellt, von denen das O. völlig abhänge, in der Folge wird dagegen die Korrelation von S. und O. betont: «Wie nämlich kein O. ohne S. sein kann, so auch kein S. ohne O., d. h. keine Erkenntnis ohne ein von ihm Verschiedenes, welches erkannt wird.» das O. kann jedoch in keinem Fall als Ursache für das S. angesehen werden; seine Realität und Wirkung «ist … immer durch den Verstand bedingt … Die ganze Welt der O.e ist und bleibt Vorstellung, und eben deswegen … in aller Ewigkeit dutch das S. bedingt.»

Nur der eigene Leib hat als unmittelbares O. einen besonderen, von allen anderen, mittelbaren verschiedenen Status. Seine unmittelbaren sinnlichen Empfindungen gehen der Anwendung des Verstandes voraus, d. h. der Anwendung des Kausalitätsprinzips, so daß der Begriff ‹O.› hier nicht richtig angewendet ist. Das S. wird im allgemeinen mit dem erkennenden oder wollenden Individuum in eins gesetzt. In den ‹Philosophischen Vorlesungen› allerdings wird das S. als transzendentales Prinzip vom Individuum unterschieden."  

O. = Objekt

S. = Subjekt

Volker Spierling, Schopenhauer-ABC. Originalausgabe. 1. Auflage. Leipzig : Reclam, 2003 (Reclams Universal-Bibliothek ; Band 20052), S. 212 – 213 (Subjekt und Objekt)

„Worauf es Schopenhauer im wesentlichen ankommt, ist: Subjekt und Objekt treten nur gemeinsam auf. Wo ein Objekt ist, also wo erkannt wird, da ist auch ein Subjekt, ein Erkennender, und umgekehrt; wo ein Subjekt ist, da ist auch ein Objekt. Dies drücken die beiden komplementär aufeinsander bezogenen Sätze aus: «Kein Objekt ohne Subjekt» und «Kein Subjekt ohne Objekt». Für Schopenhauer ist die gegenseitige Verwiesenheit von Subjekt und Objekt, die er in seiner Erkenntnistheorie Vorstellung nennt, von ausschlaggebender Wichtigkeit, da sie seine «idealistische Grundansicht» ausmacht: «Die Welt ist Vorstellung: und Vorstellung setzt einen Vorstellenden voraus. Was wir Daseyn nennen, heißt Vorgestelltwerden: solches Daseyn ist also durchgängig mit einer Bedingung behaftet, dem Subjekt, für welches es allein da ist.» (VN I, Kap. 1, 127). Schopenhauer beruft sich bei dieser extremen Auffassung wesentlich auf den irischen Bischof und Philosophen George Berkeley (1685 – 1753). Durch die ergänzende Formulierung «Kein Subjekt ohne Objekt» ist in Schopenhauers Philosophie aber zugleich ein radikaler realistischer Grundzug eingeschrieben, da das Erkennen als Funktion eines Objekts, des Gehirns, ausgewiesen wird. Hier beruft sich Schopenhauer auf den französischen Physiologen Pierre-Jean Cabanis (1757 – 1808).

VN 1 = Theorie des gesammten Vorstellens, denkens und Erkennens. Vorlesung über die gesammte Philosophie. Zusammen mit: Probevorlesung, Lobrede und Diainoiologie (Band 1)

weitere einführende Literatur in Büchern:

Dieter Birnbacher, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. In: Daniel Schubbe/Matthias Koßler (Hrsg.), Schopenhauer-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2014, S. 44 – 52

Friedhelm Decher, Metaphysik. In: Daniel Schubbe/Matthias Koßler (Hrsg.), Schopenhauer-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2014, S. 53 - 60

Margot Fleischer, Schopenhauer. Originalausgabe. Herder : Freiburg im Breisgau ; Basel ; Wien, 2001 (Herder-Spektrum ; Band 49319, S. 67 – 119

Klaus-Jürgen Grün, Arthur Schopenhauer. Originalausgabe. München : Beck, 2000 (Beck'sche Reihe : Denker ; 559), S. 59 - 85

Volker Spierling, Arthur Schopenhauer zur Einführung. 4., korrigierte Auflage. Hamburg : Junius, 2015 (Zur Einführung ; 267), S. 41 – 96

Schopenhauer stützt sich ja auf Kant und er weicht von Kant's "Welt an sich", der objektiven Welt, die wir nur über funktionale Interpretation als "erfahrene Welt" miteinander austauschen, nicht dadurch ab, dass er die "Welt an sich" ablehnt, sondern ihren von Kant unterstellt vernünftigen Charakter. Schopenhauer sieht in der "Welt an sich" einen wilden Wirkgrund, der sich in unserem durchaus nicht immer rational und vernünftig gesteuerten Willen wiederfindet, wesshalb er die "unglückliche" Bezeichnung "Wille" wählt, weil er sich damit in die Gefahr der "Vermenschlichung" begibt. Unsere subjektive Vorstellung ist funktional an die objektive Welt gebunden. Subjektive Abweichungen der Interpretation werden zudem durch eine vielfältige Kommunikation der vielen subjektiv Erkennenden gegenseitig abgestimmt.

Die Vorstellung eines reinen rationalen Handelns (Kant, Hegel) lehnt Schopenhauer ab, weil der "Wille" auch in unseren Handlungsprämissen emotionale Beugungen einbringt und wir nie ganz distanziert und kontrolliert und neutral entscheiden. Die Wirrungen der Geschichte seit Kant, Hegel und Schopenhauer geben Schopenhauer recht. Da ist nirgendwo die große Linie der Vernunft erkennbar. Wir können zwar einig die Realität erkennen in dem Maße, dass wir nach Tischkarten gemeinsam erkennen, wohin uns der Tischherr setzen will, wo unsere Teller stehen und wie man treffsicher den Kaffe aus der Kanne in die Tasse bringt, doch wie wir politisch im Wohl eines gemeinsamen Fortschritts handeln sollen, bleibt auf der Strecke der Emotionen wie Machtbehauptung und Dominanzgebaren. Man schaue sich die aktuelle Weltpolitik an und es fällt schwer, außer wildem Dominazwollen einen Funken Vernunft zu erkennen.

Jedes Subjekt ist in sich und je nach Betrachtungsweise auch Objekt. Demnach dürfte es weder Willen noch Vorstellung geben. Die Welt dürfte nicht existieren. Und doch tut sie. Jedes Subjekt hat eine andere Wahrnehmung. Wenn nach Schoppenhauer die Welt nur in unserer Vorstellung existiert, müssten wir uns alle in einem kollektiven Bewusstsein - in einer Art Matrix befinden. Denn auch nach subjektiver Betrachtungsweise und unterschiedlicher Wahrnehmung empfinden Subjekte auch gleich oder ähnlich. Was beweist das Objekte tatsächlich existieren.