Wie einfach ist es für einen deutschen Muttersprachler Jiddisch zu lernen?

8 Antworten

Jiddisch ist diejenige Sprache, die mit Deutsch am engsten verwandt ist — wesent­lich näher als z.B. Holländisch oder sogar Niederdeutsch (Platt). Die beiden Spra­chen ha­ben sich erst im Mittelalter getrennt, so wie auch viele deutsche Dialekte. Man kann Jid­disch durch Kommunikation und Immersion aufschnappen, und nach ein paar Monaten verstehst Du es perfekt und kannst es sogar passabel sprechen, ohne es je formal gelernt zu haben. Noch besser geht es mit echtem Lernen oder viel Lesen.

Die Grammatik ist fast Deutsch, aber mit ein paar Vereinfachungen. Es gibt keinen Ge­ni­tiv, und die Deklination der Substantive ist sehr vereinfacht (man sieht den Ka­sus fast immer nur am Artikel oder Adjektiv). Plural wird ähnlich wie im Standard­deut­schen ge­bil­det, oft auch mit Umlaut z.B.

אַ האַנט ‎ a hant, הענט‎ צוויי tsvey hent
דער מאַן der man,   די מענער di mener

In bairischen Dialekten sagt man ja auch zwei Händ, nicht zwei Hände. Die Verben funk­ti­o­nie­ren praktisch gleich wie im Standarddeutschen, nur einfacher, z.B. העלפֿן helfn:

איך העלף‎ ikh helf, דו העלפֿסט‎ du helfst, ער העלפֿט‎ er helft,
מיר העלפֿן mir helfn, איר העלפֿט‎ ir helft, זיי העלפֿן zey helfn

und da hast Du auch noch gleich die Personalpronomina kennengelernt. Präteritum ist abgeschafft, stattdessen gibt es ein Perfekt (in diesem Fall aus האָבן‎ hobn ‘ha­ben’ und dem Perfektspartizip געהאָלפֿן‎ geholfn). Die einzige „neue“ Form ist das Prä­sens­parti­zip העלפֿנדיק‎ helfndik, analog einem hypothetischen **helfend-ig.

Die Orthographie ist ganz einfach: Man schreibt wie man spricht, und jeder Buch­stabe entspricht genau einem Laut. Anhand der paar Beispiele, die ich Dir gegeben habe, kannst Du Dir das halbe Alphabet selbst zusammendröseln — je nachdem, wie man zählt, sind es knapp 30 Buchstaben. Die meisten Laute kommen auch im Deut­schen vor, bis auf den Diphthong יי ey [eɪ] (wie engl. late), der in Worten auftritt, die im Deut­schen ein ei oder ie enthalten (in den Beispiel oben: zwei und die)

80+% des Vokabulars ist deutsch, der Rest setzt sich aus Polnisch, Ukraïnisch und He­brä­­isch zusammen (mache hebräischen Wörter schreibt man auch nach he­brä­i­schen Re­geln, also ganz anders als jiddische). Die Syntax folgt im wesentlichen dem Deut­schen, allerdings gibt es bei Wortbildung und Idiomatik dann doch einige Unterschiede (und auch ein paar he­­brä­­i­­sche Einsprengsel). Wenn Du Sprecher eines bairischen oder ale­man­ni­­schen Dia­lekts bist, dann wirst Du Dir bei all dem etwas leichter tun als ein Hannoveraner.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Jiddisch ist eine sogenannte Nebensprache des Deutschen, es war die Sprache der Ostjuden (Aschkenasim), weshalb sich in das altertümliche Deutsch auch verschiedene Wörter aus slawischen Sprache geschlichen haben und natürlich auch hebräische Wörter. Es gibt Literatur in jiddischer Sprache, so dass man sie sich selbst beibringen kann. Die richtiger Aussprache kann man aber nur im Kontakt mit Jiddisch-Sprechern erlernen, und die sind ja leider eher selten. Die Westjuden (Sephardim) haben in Spanien auch eine Nebensprache des Spanischen entwickelt, das Spaniolisch. Als die Juden 1492 aus Spanien vertrieben wurden, sind viele nach Bosnien gezogen, so dass Sarajewo bis zum Zweiten Weltkrieg die Stadt war, in der am meisten Spaniolisch gesprochen wurde. Das ist leider vorbei.

Ich habe mich schon mal in Jerusalem in Mea Shearim, das ist das Viertel der orthodoxen Juden, mit einem der Bewohner verständigen können.

Jiddisch ist stark mit dem Deutschen verwandt.

Nicht mit hebräisch verwechseln!

Schau mal:

Oyfn forel ligt a kelbl
ligt gebundn mit a shtrik
- hoykh in himl flit a foygl,
flit un dreyt zikh hin un ts'rik.
Lakht der vind in korn,
lakht un lakht un lakht
- lakht er op a tog a gantsn
un a halbe nacht.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, don.
Donaj, donaj, donaj, donaj,
donaj, donaj, donaj, don.
Shreyt dos kelbl, zogt der poyer:
"Ver - zhe heyst dikh zayn a kalb?
Voltst gekent, doch zayn a foygl,
voltst gekent doch zayn a shvalb!"
Bidne kelblekh tut men bindn,
un men shlept zey un men shekht.
Ver's hot fligl, flit aroyf tsu,
is bay keynem nisht keyn knekht.

https://www.tangoyim.de/lieder/dos-kelbl-donna-donna.html

Jiddisch wird NICHT in hebräisch geschrieben, einige ultra-orthodoxe Juden lehnen Israel als Staat und deren Sprache AB! Sie sprechen und schreiben nicht oder nur gezwungen hebräisch.

https://malkowsky.jimdofree.com/judentum-juden/richtungen-des-judentums/

ZiegemitBock  19.06.2021, 21:34

Jiddisch wird mit hebräischen Schriftzeichen geschrieben, das darfst Du mir schon glauben.

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Ruenbezahl  20.06.2021, 14:51
@ZiegemitBock

Man kann Jiddisch natürlich auch mit hebräischen Schritzeichen schreiben, üblicher ist allerdings das lateinische Alphabet.

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indiachinacook  19.06.2021, 23:26
is bay keynem nisht keyn knekht
ist bei keinem nicht kein Knecht

Dreifache Verneinung, wie schön.

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Jiddisch besteht zu 70 % aus mittelalterlichem Deutsch, sowie Hebräischen Bestandteilen. Könnte auch Polnisch enthalten sein, da gerade in Osteuropa diese Spreche sehr verbreitet war.

Jiddisch hätte Staatsprache in Israel werden können, da die meisten Ankömmlinge diese Sprache konnten.

Durch die vielen Deutschanteile wollte man aber nicht die "Sprache der Mörder" nehmen.

Das Sprechen und Verstehen ist sehr einfach, schreiben und lesen hingegen anfangs schwierig, falls man nicht bereits das hebräische Alphabet beherrscht.