Wer wurde Arzt bei den Gladiatoren?
Lese gerade einen Roman über einen griechischen Medicus, welcher Leibarzt des Kaisers in Rom wurde. Dabei kommen auch die Ärzte der Gladiatoren zur Sprache.
Ein Thema, welches weder groß in Büchern noch Filmen noch Reportagen angesprochen wurde. Daher die Fragen:
- Wie war der Status?
- Wer wurde es?
- Wie waren die Bedingungen?
Und bitte:
Beantwortet die Fragen nur, wenn ihr wirklich Ahnung habt. Möglichst mit Quellenangabe.
1 Antwort
Es gibt zu dem Thema nur wenig Informationen.
Für die Gladiatoren hat es Ärzte gegeben. Das geht aus ein paar Textstellen in Schriftwerken und ein paar Inschriften hervor. Eine Untersuchung an Skeletten eines antiken Gladiatorenfriedhofes von Epheos hat Befunde ergeben, die auf eine für den damaligen Stand professionelle medizinische Versorgung schließen lassen.
Bekannt ist als Gladiatorenarzt hauptsächlich Galen(os) (griechisch: Γαληνός; lateinisch: Galenus), der von 157 – 161 n. Chr. in Pergamon für die Behandlung/Versorgung/Pflege/Heilung (griechisch: θεραπεία [therapeia]) zuständig war.
Siehe dazu:
Galenos, Peri syntheseos pharmakon ton kata gene (griechisch: Περὶ συνθέσεως φαρμάκων τῶν κατὰ γένη; Über die Zusammensetzung der Arzneien nach ihren Arten; lateinischer Titel: De compositione medicamentorum per genera) 3, 2 (13, 599 – 601 Kühn)
Galenos, De optimo medico cognoscendo (Wie man den besten Arzt erkennt) 9, 4 -7 (nur in arabischer Fassung erhaltene Schrift)
Galen(os) wurde im Alter von 28 Jahren (29. Lebensjahr noch nicht vollendet) vom Oberpriester/Hoheprister (griechisch: ἀρχιερεύς) der Provinz Asia eingestellt, der die Gladiatorentruppe hielt. Das Pristeramt wurde jährlich neu besetzt. Die Beschäftigung von Galen(os) als Arzt wurde mehrfach verlängert.
Galen(os) ist nach ärztlicher Ausbildung in seine Heimatstadt Pergamon zurückgekehrt. Er beschäftigte sich danach unter anderem mit Sehnenverletzungen. An Ärzte in Pergamon un der ländlichen Umgebung gab er Rezepte, um ihre Wirksamkeit praktisch prüfen zu lassen.
Galen(os) hatte einen öffentlichen Auftritt, bei dem er einem verletzten Affen den Bauch aufschnitt, anwesende Ärzte aufforderte, die Organe richtig hineinzubekommen und dies, als kein anderer es wagte, selbst ausführte. Er konnte mit Fachkenntnissen, Geschicklichkeit und Schnelligkeit der Hand beeindrucken. Neben gelungener Selbstdarstellung könnte auch seine Familie mit ihren Beziehungen zur lokalen Elite eine Rolle gespielt haben, dem jungen Arzt nehmen.
Galen(os) hebt an einer Stelle hervor, in seinen ersten zwei Jahren sei kein verwundeter Gladiator gestorben, davor dagegen viele der verwundeten Gladiatoren, an einer anderen Stellen, während seiner Tätigkeit als Arzt seien nur zwei verwundete Gladiatoren gestorben, bei seinem Vorgänger dagegen sechszehn.
Galen(os) ist allerdings in einigen Hinsichten kein typischer Gladiatorenarzt (er war von Anfang ein freier Mann und gesellschaftlich verhältnismäßig hochstehend, er wurde danach in Rom einige Jahre lang Arzt vornehmer Leute).
Manche anderen Informationen betreffen den Bereich der Tierkämpfer (bestiarii) und Jäger/Tierhetzer (venatores), die nur in einem weiten Sinn zu den Gladiatoren gezählt werden können.
Claudius Agathocles, ein Freigelassener des Kaisers (Augusti libertus), ist ein Arzt des Ludus Matutinus (medicus ludi matutini) gewesen, einer Gladiatorenschule in Rom, in der wahrscheinlich Tierkämpfer (bestiarii) und Jäger/Tierhetzer (venatores) trainiert wurden. Er hat ein Grab mit einer Inschrift für sich und weitere Mitglieder (Funktionsträger bzw. Kämpfer) der Gladiatorenschule errichten lassen (den Leiter [lanista] Claudius, einen Angestellten namens Primitivus und einen Netzkämpfer [retiarius] Thelesphoros).
CIL VI 10171 (CIL = Corpus Inscriptionum Latinarum [Korpus/Körper/Gesamtheit der lateinischen Inschriften])
Claudius Aug(usti) lib(ertus) Agat(h)ocles med(icus) lud(i) mat(utini) fecit sibi et Claudio lanis(tae) Aug(usti) et Primitivo curatori spoliar(ii) et Thelesp(h)oro retiario
Bemerkenswerterweise war der Arzt offenbar wohlhabend (bezahlender Auftraggeber) und ist an erster Stelle genannt. Agathokles (griechisch: Ἀγαθοκλῆς) ist ein griechischer Name.
Eutychus Neronianus, ein Freigelassener des Kaisers (Augusti libertus), ist Arzt des Ludus Matutinus (medicus ludi matutini) gewesen. Eutychos (griechisch Εὐτύχος) ist ein griechischer Name.
CIL VI 10172 und 10173 https://amphi-theatrum.de/1711.html
Titos Ailios Asklepiades (griechisch: Τίτος Αἴλιος Ἀσκληπιάδης; lateinisch: Titus Aelius Asclepiades), ein Freigelassener des Kaisers (griechisch: Σεβαστοῦ ἀπελεύθερος; lateinisch: Augusti libertus), ist ein Arzt (griechisch: ἰατρός; lateinisch: medicus) und Chirurg (griechisch: χειρουργός; lateinisch: chirurgus) des Ludus Matutinus gewesen.
IG XIV 1330 (IG = Inscriptiones Graeci [Griechische Inschriften])
https://epigraphy.packhum.org/text/187916
Es ist eine Ehreninschrift von Tierkämpfern in Korinth für einen Arzt namens Trophimos erstellt worden.
IG IV 365
https://epigraphy.packhum.org/text/27861
Eine Inschrift aus dem Jahre 177 n. Chr. (ILS 5048 [ILS = Inscriptiones Latinae selectae; Ausgewählte lateinische Inschriften]) nennt unter den Mitgliedern einer Gladiatorenschule einen „Unctor Pirata“ (also einen „Salber“ mit einem Namen, der „Pirat“/„Seeräuber“ bedeutet). Vielleicht handelt es sich um einen ehemaligen Gladiator, der zum Sportmediziner geworden ist.
Status
Ein Gladiatorenarzt war ein angestellter Fachmann. Er war aufgund seiner Spezialisierung gewissermaßen eine Art Facharzt. Wenn er einigermaßen tüchtig war und meistens erfolgreich behandelte, konnte er Ansehen innerhalb der Gladiatorenschule aufbauen. Der Gipfel einer Ärztelaufbahn war eine Tätigkeit als Gladiatorenarzt allerdings nicht.
Werdegang und Auswahl
Voraussetzung war anscheinend eine ärztliche Ausbildung mit praktischer Tätigkeit. Wahrscheinlich wurde gute Fähigkeit bei Muskel-, Knochen- und Sehnenverwundungen erwartet. Die Anstellung hat anscheinend jemand, der die Leitung der Gladiatorenschule hatte, durchgeführt.
Im römischen Reich hatten viele Ärzte eine griechische Herkunft oder kamen zumindest aus dem von hellenistischer Kultur geprägten östlichen Mittelmeerraum.
Ärzte sind zum Teil zu Beginn ihres Lebens Sklaven gewesen, später Freigelassene.
Bedingungen
Ein Gladiatorenarzt ist wohl oft für längere Dauer angestellt gewesen. Inschriften zeigen eine engere Verbindung und ein Vertrauensverhältnis. In Fällen, wo die Leitung mit einem jährlich neu besetzten Amt verknüpft war, konnte jedes Jahr ein Nachfolger über eine weitere Zusammenarbeit entscheiden. Der Gladiatorenarzt hatte zur Verfügung zu stehen (wahrscheinlich auch für Fragen der Ernährung und sonstigen Lebensweise), eine daneben betriebene eigene Praxis am Ort scheint allerdings nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Bezahlung ist vermutlich nicht schlecht gewesen. Erwartet wurde, möglichst viele Gladiatoren bei Erkrankung oder Verwundung am Leben zu erhalten und wieder in einen guten Zustand zu bringen.
Literatur:
Anton van Hooff, Gladiatorenarzt. In: Antike Medizin : ein Lexikon. Herausgegeben von Karl-Heinz Leven. München : Beck, 2005, Spalte 362
Marcus Junkelmann, Gladiatoren : das Spiel mit dem Tod. Mainz am Rhein : von Zabern, 2008, S. 175 – 179
Jukka Korpela, Das Medizinalpersonal im antiken Rom: eine sozialgeschichtliche Untersuchung. Helsinki : Akateeminen Kirjakauppa, 1987 (Suomalainen Tiedeakatemia Annales Academiae Scientiarum Fennicae. Dissertationes humanarum litterarum ; 45), S. 117 und 187
Christian Mann, „Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!" : Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches und die Frage der Romanisierung. Berlin : VA, Verlag Antike, 2011 (Studien zur alten Geschichte ; Band 14), S. 104 und 108
Christian Mann, Die Gladiatoren. Originalausgabe. München : Beck, 2013 (Beck'sche Reihe ; 2772 : C. H. Beck Wissen), S. 30 – 35 und 47
Ferdinand Peter Moog, Gladiatorenärzte im Spiegel der Archäologie. In: Mathias Schmidt, Dominik Groß und Axel Karenberg (Hrsg.), Medizin- und Pharmaziegeschichte im Fokus : Beiträge des „Rheinischen Kreises der Medizinhistoriker. Düren : Shaker Verlag, 2020 (Schriften des Rheinischen Kreises der Medizinhistoriker ; Band 5), S. 35 – 60 https://www.academia.edu/45617883/Medizin_und_Pharmaziegeschichte_im_Fokus_Schriften_des_Rheinischen_Kreises_der_Medizinhistoriker_V
Heinrich Schlange-Schöningen, Die römische Gesellschaft bei Galen : Biographie und Sozialgeschichte. Berlin ; New York : de Gruyter, 2003 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Band 65), S. 101 - 133
Karl Schneider, Gladiatores. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft : RE Supplementband III. Aachen bis ad Iuglandem. Stuttgart : Druckenmüller, 1918, Spalte 776
Thomas Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren : die Macht der Spiele im antiken Rom. Aus dem Englischen von Nicole Albrecht. Darmstadt: Primus-Verlag 2001, S. 123 – 124 und 197
Auf einer Internetseite wird hingewiesen auf:
Ferdinand Peter Moog, Gladiatorenärzte im antiken Rom: In: Deutsche Medizinsche Wochenschrift 143 (25), 2018, S. 1842 - 1846
„Immerhin ein paar wenige Gladiatoren-Ärzte kann Moog außer dem bekannten Galen namentlich nennen: So berichten dem Medizinhistoriker zufolge drei Inschriften aus Rom, die einstmals wohl zu einer größeren Grabanlage gehörten, von einem gewissen Eutychos (griechisch: Glückspilz). Er war ein Freigelassener von Nero (54 – 68n. Chr.) und wirkte am Ludus matutinus (lat.: Morgenschule). Seine Kollegen Claudius Agathocles und Titus Aelius Asklepiades waren ebenfalls am Ludus matutinus beschäftigt. An der Tierkämpferschule von Korinth wirkte der Arzt Trophimos. Immer wieder erwähnt wird ein Claudius Demetrius, der am Ludus magnus (lat.: Große Schule) tätig gewesen sein soll, der wichtigsten kaiserlichen Gladiatorenschule in Rom. Ein Ludus war, wie der Historiker erläutert, eine Mischung aus Gefängnis, Trainingszentrum und Kaserne. Hier lebten die Gladiatoren und auch ihre ein Betreuer.
Was konnten die Gladiatoren-Ärzte leisten? Auch hier ist die Quellenlage vergleichsweise dürftig, Op-Berichte und sonstige Dokumentationspflichten gab es nunmal noch nicht. Eine Vorstellung davon, was die Ärzte einer "Welt ohne Narkose und Aspirin" schon zu leisten vemochten, liefern archäologische Befunde. Von etwa 68 Individuen eines Gladiatorenfriedhofes in Ephesus hatten immerhin elf (16%) gut verheilte, vor dem Tod erlittene kraniale Verletzungen. Fünf dieser elf Gladiatoren hatten multiple Verletzungen ( „Forensic Science International“ ). Die im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung weitaus bessere Ausheilung von Frakturen belege die hohe Kunst der Gladiatorenärzte, die laut Moog offenbar neben optimaler Wundversorgung und Ruhigstellung auch für eine intensive Rehabilitation sorgten. Und „zudem sollte ein Trunk von Knochenasche nach Kämpfen (zur Kalzium-Substitution oder aufgrund magischer Vorstellungen?) der Festigung der Knochenstruktur dienen und der Ausheilung von Knochenverletzungen Vorschub leisten“.“