Was wäre hierbei das Problem, unter Berücksichtigung der systematischen Einordnung unter lediglich morphologischen Gesichtspunkten?

2 Antworten

Es geht bei der Fragestellung um verschiedene Artkonzepte. Eines davon ist das morphologische Artkonzept. Es definiert eine Art als eine Gemeinschaft von Individuen mit gleichen morphologischen Merkmalen. Dieses Konzept ist aber nicht frei von bestimmten Problemen.

Ein Löwe (Panthera leo) und ein Tiger (Panthera tigris) sind von außen auf den ersten Blick leicht zu unterscheiden, ihre unterschiedlichen Fellfarben und -muster schließen eine Verwechslung praktisch aus.

Was aber, wenn wir das Fell nicht hätten, wenn wir nur auf anatomische Merkmale angewiesen wären? Wenn du dir das Bild ganz unten ansiehst, ist es dir natürlich möglich, das Tier eindeutig als Großkatze zu identifizieren. Aber du kannst unmöglich sagen, ob es eine Löwin, eine Tigerin oder gar eine Leopardin (Panthera pardus) ist (alle drei Arten kommen gemeinsam in Indien vor). Nun wird man in Wirklichkeit selten mit einer gehäuteten Großkatze konfrontiert. Trotzdem ist das Grundproblem vielen Biologen nicht unbekannt. Manchmal findet man nur noch Reste eines Kadavers, oft sogar nur wenige Knochenüberreste, z. B. den Schädel. Einen Schädel dann eindeutig einer der drei Arten zuzuordnen, ist gar nicht so leicht, selbst Experten tun sich dabei schwer. Paläontologen stehen sogar immer vor diesem Problem, für sie sind die fossilen Knochen ja die einzige Informationsquelle, mit der sie überhaupt systematische Analysen und Zuordnungen durchführen können. So erklärt sich auch, weshalb man mitunter von zwei Experten drei unterschiedliche Meinungen bekommt, obwohl doch alle die gleichen Knochen angeschaut haben. So ist z. B. bis heute noch nicht die Frage abschließend geklärt, ob es sich bei den europäischen (Panthera (leo) spelaea) und amerikanischen (Panthera (leo) atrox) Höhlenlöwen um Unterarten des heute lebenden Löwen oder jeweils um eigenständige Arten handelte.

Erschwert wird die Analyse noch dadurch, dass man stets im Hinterkopf behalten muss, dass es immer auch individuelle Unterschiede gibt. Ein Beispiel: normalerweise kann man Tiger und Leoparden gut anhand ihrer Größe unterscheiden. Wenn man im Schlamm Pfotenabdrücke findet, kann man in vielen Fällen die Spur eindeutig anhand ihrer Größe zuordnen, da Tiger größer als Leoparden sind. Es gibt aber eben auch Leoparden, die besonders groß sind und Tiger, die besonders klein sind. Das Größenspektrum kann sich daher überschneiden und wenn die Größe einer Spur in diese Überschneidungsspannbreite fällt, ist es eigentlich kaum möglich, die Spur eindeutig zuordnen zu können.

Bei den Feliden (Katzen) kommt noch hinzu, dass es sich bei den modernen Vertretern um stammesgeschichtlich junge Gruppen handelt, die quasi noch am Anfang ihrer Radiation stehen, die bis heute auch noch gar nicht abgeschlossen ist. Die Entwicklungswege der unterschiedlichen Großkatzenarten haben sich erst vor wenigen Jahrmillionen getrennt - in geologischen Maßstäben ist das ein Wimpernschlag und in dieser kurzen Zeit konnten sich kaum bedeutende morphologische Unterschiede herausarbeiten. Am ehesten kann man noch den Irbis (Panthera uncia) von den übrigen Arten unterscheiden, weil er als spezialisierter Hochgebirgsbewohner eine Reihe von Sonderanpassungen zeigt (z. B. erweiterte Atemhöhlen, um die kalte Luft zu befeuchten und zu erwärmen).

Die Evolutionsgeschichte der Katzen ist so jung, dass wir selbst mit der Methodik der modernen Molekularbiologie an unsere Grenzen stoßen. Noch immer sind viele Detailfragen im Stammbaum der Felidae offen. Die Aufspaltung der einzelnen Arten erfolgte innerhalb so kurzer Zeitabstände, dass wir sie mit den Vergleichen von Gen-Sequenzen nicht richtig auflösen können oder die Analysen unterschiedlicher Gene kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen. Lange war z. B. ungeklärt, welche Stelle der Irbis im Stammbaum der Großkatzen einnimmt. Erste DNA-Vergleiche, die auf der Analyse von Kern-Genen beruhten, ordneten ihn als Schwesterart des Tigers ein. Spätere Vergleiche der mitochondrialen DNA kamen zu dem Schluss, dass er die Schwesterart des Löwen sei, da die mitochondriale DNA viel stärker der von Löwen und Leoparden ähnelt. Neueste Studien ordnen ihn wieder als Schwesterart des Tigers ein, die Ähnlichkeit der mitochondrialen DNA führt man darauf zurück, dass die Löwen-Leoparden-Linie mit der Irbis-Linie (die sich da schon von der Tiger-Linie getrennt hatte) hybridisiert haben muss, die Ähnlichkeit der mitochondrialen DNA ist also das Ergebnis einer Introgression.

Die Radiation der Feliden ist bis heute nicht abgeschlossen. Erst kürzlich hat sich z. B. gezeigt, dass die Tigerkatze (Leopardus tigrinus) in Wirklichkeit ein Komplex aus mindestens zwei, möglicherweise sogar drei verschiedenen Arten ist, die sich morphologisch (z. B. anhand des Fells) nicht voneinander unterscheiden. Man spricht dann von kryptischen Arten. Erst molekulargenetische Studien haben gezeigt, dass die nördliche Population und die südliche Population zwei klar voneinander unterscheidbare Gruppen bilden, die auch nicht miteinander kreuzen, also getrennte Arten bilden. Man unterscheidet heute deshalb zwischen der Nördlichen (Leopardus tigrinus) und der Südlichen Tigerkatze (Leopardus guttulus). Bisweilen wird auch die Östliche Unterart der Tigerkatze (Leopardus tigrinus emiliae) als eigenständige Art abgegrenzt. Noch verwirrender sind sogar die Verhältnisse im Pampaskatzen-Komplex, die mal als eine Spezies (Pampaskatze, Leopardus colocola), mal als drei Arten (Nördliche Pampaskatze, L. colocola, Südliche Pampaskatze, L. pajeros und Pantanal-Katze, L. braccata) und neuerdings sogar als fünf verschiedene Arten aufgefasst werden: Nördliche Pampaskatze oder Colocolo (L. colocola), Pantanal-Katze (L. braccata), Muñoa-Pampaskatze (Leopardus munoai), Südliche Pampaskatze (Leopardus pajeros) und Garlepp-Pampaskatze (Leopardus garleppi).

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

iAmMel 
Fragesteller
 17.01.2022, 16:40

Sehr sehr sehr ausführlich und sehr hilfreich. Viele Schüler werden dir dankbar sein. Danke

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Moin,

na, schau dir doch mal die Abbildung an.

Löwin und Tigerin kannst du äußerlich anhand der Morphologie voneinander unterscheiden.

Aber anatomisch (also ohne Fell)...?

Das bedeutet, dass die abgebildeten Großkatzen anatomisch (innere Morphologie) für dich nicht unterscheidbar wären, oder doch?

LG von der Waterkant


iAmMel 
Fragesteller
 16.01.2022, 15:43

Hey, erstmal danke für alle Hilfe bisher. Ich will das echt verstehen.

Aber was hat das denn spezifisch mit der Morphologie zu tun? Klar, anatomisch könnte man das gar nicht unterscheiden, sondern nur wenn bestimmte Merkmale wie das Fell gegeben sind.

Aber bei der Morphologie geht es doch genau um Merkmale wie Fell usw. oder nicht? Somit kann man das ja dann unterscheiden und es würde dafür sprechen.

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mompf03231  16.01.2022, 15:49
@iAmMel

Ja. Problem: Morphologisch sind sie unterschiedlich, anatomisch unterscheiden sie sich kaum.

Wenn ich das richtig verstanden habe.

Wir sind gerade auf der gleichen Seite im Buch haha

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DedeM  16.01.2022, 15:52
@iAmMel

Ja, da hast du schon recht.

Offenbar beschäftigt ihr euch gerade mit dem Artbegriff.

Tja, und da gibt es vier verschiedene Konzepte, die jeweils ihre eigenen Problematiken haben, weshalb es schwer ist, eine einzige Definition für den Begriff der Art festzulegen.

Und beim Morphospezies-Konzept geht es tatsächlich um das Aussehen. Und selbstverständlich bezieht sich das zunächst einmal auf die äußere Gestalt und solche Merkmale wie Fell, Musterung usw.

Aber klassischerweise bezogen auch früher schon die Morphologen die Anatomie stets mit ein. Es geht also um die äußere Morphologie (den Phänotyp) UND die innere Morphologie (die Anatomie) bei solchen Untersuchungen.

Und dein Beispiel legt den Finger genau bei dieser Kombination auf die Wunde. Die phänotypische Morphologie mag hier anwendbar sein, die anatomische ist es nicht mehr...

LG von der Waterkant

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