Was sollte man über Hannah Arendt wissen?

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Für Hannah Arendt ist politische Theorie auf das Handeln bezogene Theorie und Philosophie reine Theorie.

Hannah Arendt selbst hat sich als politische Theoretikerin verstanden, nicht als Philosophin.

Trotzdem hat sie Gedanken zur politischen Philosophie beigetragen und auch andere philosophische Themen berührt.

Politik ist der Bereich der Freiheit, nicht der des Herrschen und Beherrschtwerdens. Sinn von Politik ist Freiheit, die mit der menschlichen Fähigkeit in Erscheinung tritt, immer wieder etwas Neues zu beginnen (Vermögen des Anfangs), die Initiative zu ergreifen.

Menschen existieren in einer Vielheit (Pluralität). Der Mensch findet sich mit anderen vor. Zwischen den Menschen besteht Gleichheit und Verschiedenheit, was Verständigung einerseits erfordert, andererseits ermöglicht. Menschen sind zur Politik befähigt, weil sie über Sprache verfügen. Durch Konsens erreichen sie Legitimation.

Langfristig schließen ein Allmächtigkeitsstreben ideologischer Systeme mit Anspruch auf totale Welterklärung für alle Zeiten und ein fortbestehender Nationalismus persönliche Freiheit und Frieden zwischen den Menschen aus.

Totalitäre Regime verwirklichen das radikal Böse, indem sie den Menschen als Menschen überflüssig machen.

Das radikal Böse ist:

a) unstrafbar, da es dafür keine angemessene Strafe gibt

b) unverzeihlich

c) sich aufgrund seiner völligen Niederträchtigkeit dem menschlichen Verständnis entziehend

Hannah Arendt unterscheidet die Begriffe «Macht» und «Gewalt»: Macht ist etwas, das zwischen Menschen entsteht. Macht ist eine Fähigkeit gemeinsamen kommunikativen Handelns, auf eine Vielzahl von Menschen und Organisationen gegründet. Auf einen mehrheitlich gefundenen Willen abzielend und als Garant einer Freiheitserhaltung in Form einer konstitutionellen Macht wird sie zur eigentlichen Grundlage des politischen Gemeinwesens. Gewalt wird von jemand ausgeübt, kann vernichten, aber keine schaffenden, schöpferischen Züge annehmen.

Handeln steht an oberster Stelle, der Bereich der Freiheit, der Politik, der Möglichkeit zum Beurteilen zugeordnet. Menschen begegnen sich im öffentlichen Raum als grundsätzlich Gleiche und Freie.

Arbeiten und Herstellen liegen im Bereich der Notwendigkeit, der Mühe und Plage.

In dieser Welt sind Sein und Erscheinen dasselbe. Jedes Sein setzt die Existenz eines Zuschauers voraus, der das Seiende wahrnimmt.

Eine phänomenologische Untersuchung ist das Buch „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ („The human condition“).

Als Grundbedingungen menschlichen Lebens nennt Hannah Arendt:

a) den biologischen Prozeß eines Körpers mit Wachstum, Stoffwechsel und Verfall, wobei dem Organismus Naturdinge zugeführt werden

b) die Weltlichkeit, nämlich das Angewiesensein auf Gegenständlichkeit

c) eine Pluralität, nämlich die Existenz einer Vielheit von Menschen, die alle Individuen sind und also einzigartig, einander nicht ganz gleich

Ganz allgemeine Bedingtheiten menschlichen Lebens sind Natalität (Gebürtlichkeit, Geborenwordensein) und Mortalität (Sterblichkeit).

Hannah Arendt gibt keine Menschennatur an, kein Wesen des Menschen, das verwirklicht wird. Denn sie bezweifelt die Annahme, der Mensch besitze so etwas wie ein Wesen oder eine Natur im gleichen Sinn wie alle anderen Dinge. Sofern es aber so etwas wie ein Wesen des Menschen gebe, könnten Menschen es nicht erkennen und definieren.

Ein tätiges Leben besteht in der Anwendung von Fähigkeiten. Dabei kommt es zu einer Gestaltung der Welt. Womit Menschen in Berührung kommen, wird in eine (selbstgeschaffene) Bedingung menschlicher Existenz verwandelt.

Menschliche Grundtätigkeiten sind Arbeiten, Herstellen und Handeln. Eine Enthüllung der Person in ihrer Individualität geschieht im Handeln (einschließlich des Sprechens, der Kommunikation, bei der einen Person gleichsam auf die Bühne der Welt tritt). Handeln fängt etwas an, setzt etwas in Bewegung, ergreift die Initiative. Die Person tritt so in Erscheinung.

Albrecht  31.05.2013, 06:29

Arbeiten ist mit der Notwendigkeit der Erhaltung des Lebens verbunden, wiederholt sich ständig. Der Mensch tritt in einen Stoffwechsel mit der Natur/Materie ein und verbraucht Dinge. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben selbst.

Das Herstellen produziert eine künstliche Welt von Dingen. In dieser Dingewelt ist menschliches Leben zu Hause, das von Natur in der Natur heimatlos ist, und die Welt bietet Menschen eine Heimat in dem Maße, in dem sie menschliches Leben überdauert, ihm widerstrebt und als objektiv-gegenständlich gegenübertritt. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Herstellens steht, ist Weltlichkeit, nämlich die Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität.

Das Handeln ist die einzige Tätigkeit, die sich ohne die Vermittlung von Materie und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt. In Sprechen und Handeln stellt sich die Einzigartigkeit des einzelnen Menschen dar, sein Menschsein. Die Grundbedingung, die dem Handeln entspricht, ist das Faktum der Pluralität, nämlich die Tatsache, daß nicht ein Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern. Für Menschen heißt Leben soviel wie »unter Menschen weilen« und Sterben soviel wie »aufhören unter Menschen zu weilen«.

Eine Ergänzung und Fortsetzung (indem zur Vita actica die Vita contemplativa hinzukommt) ist „Vom Leben des Geistes“ (das Werk wurde von ihr selbst nicht ganz vollendet), in dem die geistigen Tätigkeiten des Denkens, Wollens und Urteilens dargestellt sind. Mit der Fähigkeit des Geistes, eigene Gedankendinge zu erschaffen, befreit sich dieser von der natürlichen Welt und steigt zu Höhen des Denkens, Wollens, und Urteilens auf.

Denken ist eine Vorbereitung des Handelns und bestimmt die Lebensführung Denken ist eine Funktion der Vernunft.

Der Wille ist selbstbestimmt, jedoch in der Erfahrung der Welt verwurzelt. Der Wille schafft die Person und macht sie für ihr ganzes «Sein», ihren Charakter, verantwortlich.

Urteilen bedeutet, einen Standpunkt einzunehmen. Es ist auf Vergangenheit angewiesen und besitzt keinen Erkenntniswert. Denn die Urteile kommen logisch weder durch Deduktion noch durch Induktion zustande. Die reflektierende Urteilskraft ist wichtig, Urteilen ist aber eine eigenständige Kategorie, nicht einfach an Rationalität gekoppelt, sondern Gefühle des Gefallens und Mißgefallens enthaltend. Ästhetisch ist das Urteilen «Geschmack», moralisch «Gewissen».

eine verhältnismäßig kurze Gesamtdarstellung, die auf die wichtigsten Gedanken eingeht (mit einer verhältnismäßig großen Wahrscheinlichkeit in einer Bibliothek zu finden):

Heike Kaltschmidt, Hannah Arendt. In: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Herausgegeben von Julian Nida-Rümelin und Elif Özmen. 3., neubearbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart : Kröner, 2007 (Kröners Taschenausgabe ; Band 423), S. 43 - 51

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