Was bedeutet "ontisch"?

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Ontisch bedeutet: seiend, seinsmäßig, das Sein/das Seiende betreffend, zum Sein/Seienden gehörend. Das griechische Wort ὄν (Partizip Präsens Aktiv Nominativ Neutrum Singular von dem Verb εἶναι = sein) heißt „seiend“, der Wortstamm ist ὄντ- (ont-), erkennbar am Genitiv ὄντος.

Die Bezeichnungen ontisch und ontologisch können gleichbedeutend sein. Ontologie ist eine Seinslehre. Sie untersucht das Seiende als Seiendes.

Erst Martin Heidegger hat in Zusammenhang mit seiner Auffassung der ontologischen Differenz ontisch und ontologisch in unterschiedlicher Bedeutung und Entgegensetzung verwendet, wobei aber eine Beziehung besteht.

Martin Heidegger, Sein und Zeit. Unveränderter Text mit Randbemerkungen des Autors aus dem «Hüttenexemplar». Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt am Main : Klostermann, 1977 (Martin Heidegger, Gesamtausgabe. Abteilung 1: Veröffentlichte Schriften. Band 2). Einleitung. Die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein. Erstes Kapitel. Notwendigkeit, Struktur und Vorrang der Seinsfrage. § 4. Seinsverständnis als ontische Auszeichnung des Daseins

„Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch ontisch ausgezeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, dass es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat. Und dies wiederum besagt: Dasein versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein. Diesem Seienden eignet, dass mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist. Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins. Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, dass es ontologisch ist.“

Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Begründet von Friedrich Kirchner und Carl Michaelsen. Fortgesetzt von Johannes Hoffmeister. Vollständig neu herausgegeben von Arnim Regenbogen und Uwe Meyer. Hamburg : Meiner, 2005, S: 471:
ontisch, Neub.[ildung] von gr.[iechisch] on (Gen.[itiv] ontos), ‹seiend›, seinsmäßig, dem Sein nach, im Unterschied zu ↑ ontologisch.“

S. 473: „ontologisch, das Sein betreffend, zur ↑Ontologie gehörig.“

Heidegger unterscheidet zwischen dem Sein und dem Seienden. Während seiner Meinung nach das Seiende als Gegenstand der Erkenntnis und als „Zeug“ im alltäglichen Umgang durch phänomenologische Analyse erschlossen werden kann, bleibt der ursprüngliche Seinsbezug des Menschen („Dasein“) einer bloß gegenstandsbezogenen Betrachtungsweise verborgen.

Bei Heidegger und der ontologischen Differenz ist „ontisch“ auf das Seiende bezogen, „ontologisch“ auf das Sein.

Albrecht  20.06.2012, 07:23

Jean Grondin, Die Wiedererweckung der Seinsfrage auf dem Weg einer phänomenologisch-hermeneutischen Destruktion. In: Martin Heidegger, Sein und Zeit. Herausgegeben von Thomas Rentsch. 2., bearbeitete Auflage. Berlin : Akademie-Verlag, 2007 (Klassiker auslegen ; Band 25); S. 5 – 6:
„Gefragt wird ganz allgemein nach dem Sein. Das Sein, führt Heidegger aus, ist aber das Sein des Seienden, muß also vom Seiendem unterschieden werden. Damit „praktiziert“ Heidegger die „ontologische Differenz“ von Sein und Seiendem, die als solche in den Schriften unmittelbar nach Sein und Zeit zentral werden. Sie ist aber bereits auf den ersten Seiten von Sein und Zeit präsent – und noch bevor das Dasein als solches eingeführt wird. Diese Unterscheidung impliziert für Heidegger vor allem, daß sich das Sein nicht durch die auf das Seiende zugeschnittene Begrifflichkeit fassen läßt. Das Sein fordert nämlich „eine eigene Aufweisungsart, die sich von der Entdeckung des Seienden wesenhaft unterscheidet“, „verlangt“ also „eine eigene Begrifflichkeit“. Läßt sich die Begrifflichkeit für und das gängige Sprechen über das Seiende terminologisch als „ontisch“ bezeichnen, wird die Rede vom Sein rein „ontologisch“ sein müssen. Die programmatische Trennung zwischen der ontologischen und der ontischen Ebene läßt sich nicht als die von zwei strikt voneinander geschiedenen Regionen fassen, weil dies wiederum zu „ontisch“ gedacht wäre. Trotz ihres unmittelbar einleuchtenden Charakters birgt die von Heidegger praktizierte ontologische Differenz enorme Rätsel in sich. Heidegger wird sich nämlich bis zum Ende seines Denkweges fragen, ob es so eine „ontologische“ Redeweise überhaupt gibt und immer neue Möglichkeiten erproben, darunter die der Dichtung und des Schweigens, um das Sein hörbar werden zu lassen. Diese Rätsel wohnen aber bereits der Einleitung zum Hauptwerk inne. Denn die dort konstruierte Seinsfrage bleibt auf das „Seiende“ auf zweifache Weise angewiesen: Zum einen besagt Sein immer Sein vom Seienden (später wird Heidegger gelegentlich das Sein noch schärfer vom Seienden unterschieden wissen wollen), zum anderen wendet sich die Frage nach dem Sein an ein spezifisches Seiendes. Dieses Seiende, das das „Befragte“ in der Fragestruktur buchstäblich verkörpert, ist nämlich das Seiende, das wir sind und das Heidegger terminologisch als Dasein fixiert. Damit fällt Heideggers wohl wichtigster und berühmtester Terminus für die Weise, in der er den Menschen anspricht. Unter Dasein soll man also zunächst gleichsam nur so viel hören wie: „Da [ist das] Sein“. Da Sein „da“ und nur da ist, wird dieses Dasein auf sein Sein hin (ab)befragt werden müssen. Die Frage nach dem Sein wird also den „Umweg“ bzw. den Königsweg einer Herausstellung des Seins des Daseins einschlagen müssen.“

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"Ontisch" bedeutet so viel wie "auf das Sein bezogen", "als Seiendes" oder "vom Sein her".