Was bedeutet der Satz in dieser Karikatur?

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Die Redewendung »Um Gottes willen« (ähnlich » Um Himels willen«) ist ein Ausruf des Entsetzens/des Erschreckens/der Ablehnung/der Abwehr. Sie soll hier ausdrücken: Es ist ein schrecklicher Fehltritt gegen eine gewissermaßen heilige Ordnung begangen worden, etwas, das nicht hätte geschehen sollen, und nun sofort zurückgenommen werden muss.

»Durchlaucht« ist eine Anrede für einen hohen Adligen (einen Kaiser, König oder anderen Fürsten). Ähnliche Anreden sind »Majestät« und »Hoheit«.

„Sie stehen ja auf dem Schatten Seiner Durchlaucht“ (die Abkürzung „Sr.“ bedeutet „Seiner“, wobei Großschreibung des Pronomens bei besonders hohen Anreden und Titeln [Höflichkeitsanrede] gilt) benennt den Fehler. Jemand hat (unabsichtlich) die Etikette (Benimmregeln öffizieller/förmlicher Umgangsformen) bei einer Hofgesellschaft (Hof: Wohnsitz eines adligen Herrschers und die dazugehörigen Personen) verletzt.

Das Stehen auf dem Schatten des hohen Adligen (der Durchlaucht) gilt als Mangel an Ehrerbietung, als Respektlosigkeit, als Unhöflichkeit.

Der Mann rechts, der ein wenig auf dem Schatten (bei der Stelle des Kopfes und der Mütze) steht, ist als Kammerherr im Rang niedriger als der hohe Adlige. Nach der Karikatur ist der Kammerherr der Durchlaucht dadurch zu nahe getreten (zu wenig Abstand). 

Die Sache gilt als ein Fauxpas (falscher Tritt, Fehltritt), also eine Taktlosigkeit/ein Verstoß gegen (ungeschriebene) Anstandregeln.

Ein Zermonienmeister mit Zeremonienstab erteilt eine Zurechtweisung und der Kammerherr hebt die Hände wie um zu zeigen, dies sei nicht aus böser Absicht geschehen, und hält schon ein Bein hoch, um vom Fehltritt abzurücken. 

Die Karikatur zeigt in einer Zuspitzung die große Bedeutung von hohem Adel, Hierarchie und Rang in der damaligen Gesellschaft. Der Schatten eines hohen Adligen wird fast wie dieser selbst behandelt, bekommt ein Anrecht auf Respekt und Ehrung. In der Darstellung steckt ein Stück Kritik und Ironie gegenüber übertriebenen Auswüchsen formaler Verhaltensregeln, die sich auf die Rangposition beziehen.  

Der hohe Adlige mit einem ausgeprägten dunklen Backenbart wirkt nicht wie eine persönliche Darstellung von Kaiser Wilhelm II.

Die Zeichnung stammt von dem Maler Hermann Schlittgen.

Die Bildunterschrift (fehlt auf dem verwendeten Blatt) heißt:

 „Entsetzlich! Zeremonienmeister (zum Kammerherrn): Um Gottes willen, Sie stehen ja auf dem Schatten Sr. Durchlaucht!“

Andrea Jentsch, Der unformierte Mann im Spiegel der Karikatur. In: Nach Rang und Stand : deutsche Ziviluniformen im 19. Jahrhundert ; eine Ausstellung im Deutschen Textilmuseum, 24. März bis 23. Juni 2002. Krefeld : Deutsches Textilmuseum, 2002, S. 40:

„„Entsetzlich“ ist der Titel der 1895 erschienenen Zeichnung von H. Schlittgen (Abb. 25 ). Ein Zeremonienmeister macht den Kammerherren erregt aufmerksam: „ Um Gottes Willen, Sie stehen ja auf dem Schatten Sr. Durchlaucht!“ Tatsächlich steht der Kammerherr mit einem Bein auf dem Kopfumriss des Fürsten. Dieser spricht im Vordergrund angeregt mit einer Dame, die, wie es sich gehört, den Kopf demütig leicht gesenkt hält und stillschweigend ihrem Gegenüber lauscht. Im linken Hintergrund erkennt man zwei Diener in Livree, die stramm stehend das Geschehen verfolgen. Sowohl der Zeremonienmeister wie Kammerherr sind in zivile Uniformen gekleidet, die auf ihren höfischen Rang schließen lassen. Mit hoch erhobenem Haupt verscheucht der Zeremonienmeister mit seinem Zeremonienstab den Kammerherren, der einen vermeindlichen Faux-Pas begangen hat. Übertriebenermaßen lässt Schlittgen der Etikette entsprechend den Zeremonienmeister seines Amtes walten, damit kein Untergebener seiner Durchlaucht im wahrsten Sinn „zu nahe tritt“. Uniformen machen Hierarchien und Ränge deutlich sichtbar.“

Der Mann ist wahrscheinlich Kaiser Wilhelm II. Sein Führungsstil war sehr autoritär und militaristisch. Ehre und Respekt spielten eine große Rolle. Wenn jetzt einer auf dem Schatten des Kaisers steht, dann wird das auch schon als respektlos gewertet. "seiner Durchlaucht" bezieht sich auf den Kaiser. "Durchlaucht" ersetzt hier seiner Majesät. Durchlaucht ist dann logischerweise ironisch zu verstehen und kritisiert die oben genannten punkte.

Woher ich das weiß:Hobby