Warum sollte ein Rettungswagen anhalten müssen um jemand wiederzubeleben?

16 Antworten

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Erstens: Wenn die im Fernsehen bei Star Trek mit WARP von Galagie zu Galaxie jetten, überlegst du dann auch, warum die Menschheit es bisher nur bis zum Mond geschafft hat? Sicher nicht, denn du hast kapiert, dass Star Trek Fiktion ist.

Eine Fernsehserie ist genauso Fiktion. Chicago Fire ist eine Dramaserie. Sie soll mit dem, was die Leute so für Probleme haben, Leute unterhalten. Das mit Feuerwehr und Ambulance gibt nur den Rahmen vor und bringt ein Bisschen Action mit. Mehr nicht! Das, was die dort in ihren "Einsätzen" tun, ist Fiktion, ausgedacht von Menschen, die zum Teil keine Ahnung haben wie so ein Einsatz in der Realität abläuft.

Außerdem hat man in den US und A ein anderes Rettungsdienstsystem als bei uns. Überspitzt gesagt lädt man dort den Patienten ein und hofft, ihn zu nem Arzt gebracht zu haben bevor er gestorben ist. Während man bei uns möchte, dass die Lebensgefahr möglichst erstmal behoben oder gemildet ist, bevor man sich auf den Weg macht. Und dafür bringen wir den Arzt zum Patienten.

Soweit ich weiß, werden auch in den USA Reanimationspatienten nicht eingeladen und unter Reanimationsbedingungen transportiert, sondern es wird eher eine Sternfahrt von Rettungskräften zum Patienten hin veranstaltet. Die Amerikaner sind in Reanimationsfragen Vorreiter und haben mit als erste erkannt, dass eine pausenlose und gute Herzdruckmassage entscheidend ist... das kannst du aber während des Transports händisch eigentlich nicht leisten.

Allein schon, weil du ja alle zwei Minuten den Helfer auswechseln solltest, weil man sich einfach nicht so lange darauf konzentrieren kann, gut zu drücken... und nein, man kümmert sich nebenher um nichts anderes! Wenn eine schlechte Herzdruckmassage durchgeführt wird, kann man es eigentlich auch gleich bleiben lassen.

Der einzige Fall, in dem es sinnvoll ist während der Fahrt zu reanimieren, ist wenn

  • Die Atemwege schon gesichert sind (intubiert)
  • Die Klinik nur noch wenige Minuten entfernt ist
  • man weiß, dass in der Klinik jemand bereitsteht um die Reanimation zu übernehmen und
  • als Ursache für den Kreislaufstillstand etwas angenommen wird, das ohnehin nur in der Klinik therapiert werden kann.

Das heißt also, wenn man ohnehin schon mit "Polytrauma, kreislaufinstabil, intubiert" im Schockraum oder mit "STEMI, kreislaufinstabil, intubiert" im Katheterlabor angemeldet ist und schon dorthin jettet. Das sind ohnehin schon recht seltene Fälle, und dass der Patient dann ausgerechnet in den paar Minuten vor Eintreffen noch solche Faxen macht, ist noch seltener.

Und wenn man dann unter Reanimation transportiert: Während der Fahrt auf der Trage über dem Patienten zu knien ist keine Option: wenn der Fahrer mal in die Eisen steigen muss, segelst du schnurstracks an ihm vorbei durch die Windschutzscheibe. Man braucht während der Fahrt definitiv einen sicheren Stand und muss sich regelrecht im Patientenraum verkeilen, um zwei Hände frei zu bekommen. Und dann ist es wirklich, wirklich schwierig, ordentlich zu drücken.

Über den Patienten auf die Trage gekniet habe ich mich bei einem solchen Einsatz nur einmal, um auf der Strecke zwischen Liegendeinfahrt und Intensivstation drücken zu können. Das war auch nicht ungefährlich, ich habe mir an der Tür des Aufzuges den Hinterkopf angeschlagen. Aber nebenher laufend, mit dem Patienten etwa auf Brusthöhe, kannst du halt gar keinen Druck auf die Brust aufbauen.

Für diese seltenen, aber prekären Fälle haben wir mittlerweile die mechanischen Reanimationshilfen, die SaniOnTheRoad erwähnt hat.

Hi,

Bei Chicago Fire klappt das doch auch während der Fahrt

Eine fiktive Serie spiegelt nicht unbedingt die Realität wieder.

warum geht das nicht auch in Deutschland?

Es geht schon - meist aber nur mit mechanischen Thoraxkompressionshilfen à la LUCAS und nur in Ausnahmesituationen, bei denen der Patient vom Transport unter Reanimation profitiert. Das sind nicht viele.

Stehen keine mechanischen Thoraxkompressionshilfen zur Verfügung, setzt man sich auch definitiv nicht auf die Trage, sondern bleibt nebendran stehen. Die Reanimation in der Form ist allerdings hochgradig ineffizient, für's Personal gefährlich und bringt den Patienten im Endeffekt gar nichts.

Wird also nicht (bzw. kaum) gemacht, da nicht sinnvoll.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent
ozz667  12.12.2019, 17:15
meist aber nur mit mechanischen Thoraxkompressionshilfen à la LUCAS

Nur ein Hinweis. Eine normale Herzdruckmassage ist nachweislich besser als Lucas & Co. Daher sollte der Einsatz kritisch hinterfragt und der Nutzen abgewogen werden.

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SaniOnTheRoad  12.12.2019, 18:08
@ozz667

Vollkommen richtig - von der alles andere als flächendeckenden Verbreitung in der Präklinik ganz zu schweigen.

Der indizierte Transport unter laufender Reanimation wäre einer der wenigen Fälle, wo eine mechanische Reanimationshilfe ernsthaft erwogen werden kann. Aber, wie Du schon sagtest: mit strenger Risiko-Nutzen-Abwägung und Indikationsstellung.

De facto wird es nur im Einzelfall wirklich Sinn machen.

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ozz667  12.12.2019, 18:47
@SaniOnTheRoad

Daraus erklärt sich - um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kommen, wieso in vielen Fällen eben vor Ort reanimiert wird und nur in seltenen Fällen unter Reanimation losgefahren wird.

PS:

Bei Chicago Fire klappt das doch auch während der Fahrt

Chicago Fire nimmt auch nicht am Reanimationsregister teil. 🤷‍♂️

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Zwischen Film und Fernsehen und der Realität ist halt doch ein sehr immenser Unterschied.

In der Realität geht es darum, dass alle Maßnahmen effektiv durchgeführt werden, in Film und Fernsehen zählt hingegen die Show.

Dass das nicht in der Realität möglich ist, das wird mit einem Blick in die Leitlinien schnell deutlich, denn darin ist unter anderem Vorgegeben, dass die Drucktiefe 5 bis 6 Centimeter beträgt, die Druckfrequenz 100 bis 120 in der Minute und, dass die Thoraxkompressionen senkrecht mit durchgestreckten Armen erfolgen sowie, dass der Helfer alle zwei Minuten a gewechselt wird, da in Studien eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass der Helfer nach zwei Minuten merklich "ermüdet" und die Effektivität der Thoraxkompressionen nachlässt. All' diese Dinge, senkrechtes Drücken mit durchgestreckten Armen, Tiefe 5 bis 6 Centimeter, Abwechslung undsoweiter, sind während der Fahrt mit Beschleunigung, Abbremsen und Kurvenfahrten schlichtweg unmöglich.

Außerdem, sind wir bis hier hin beim Algorithmus, eine Reanimation im Rettungsdienst erfolgt aber nach dem ALS- Algorithmus, sprich es erfolgt ggf. alle zwei Minuten eine Defibrillation, es werden Medikamente verabreicht und es erfolgt eine Beatmung über einen gesicherten Atemweg. Jetzt ist deutlich, dass das ein Helfer alleine nicht leisten kann und wenn ein Helfer über dem Patienten auf der Trage kniet, müsste dieser spätestens zur Defibrillation wieder runter, da er ansonsten auch die Energie abbekommen würde, dieses ständige auf- und absteigen würde die Thoraxkompressionen jedoch zulange verzögern. Mfg.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Rettungsdienst🚑, sehr großes Interesse an Notfallmedizin.

Ich habe dir das doch schon in einem anderen thread beantwortet. Eine sufficente Reanimation ist der während der Fahrt extrem schwer. Es ist nicht möglich mehr zu leisten als Beatmung und Drücken. Dabei muss die tragen Federung fest gestellt werden und man drückt auf dem Patienten sitzend oder irgendwie zwischen Wand und Tragen Modul verklemmt. In dieser Situation ist es extrem schwer sicher so zu reanimieren dass auch wirklich der nötige und richtige Druck beim Herzen ankommt. Es ist unmöglich weit irgendwie zu reagieren. Zusätzliche Medikamente verabreichen funktioniert während der Fahrt nicht. Defibrillieren ist nicht. Und so weiter.

Gleichzeitig setzt man sich selbst einem enormen Risiko aus. Hast du Mal bei 30km unangeschnalt gebremst? Jetzt übertrage dass darauf dass du ein bisschen eingeklemmt stehst oder auf einer trage Kniest. Bei einer starken Bremsung fliegst du durchs Fahrtzeug und wirst dich schwer verletzen.

Und jetzt stellt sich die Frage nach dem gain für den Patienten. Es gibt nur wenige Situationen in denen der Patient davon profitiert dieses Risiko ein zu gehen. Bei einem Reanimationspflichtigen Patienten wird auch um Shockraum erstmal einfach weiter reanimiert werden. Zu gewinnen gibt es also nur etwas wenn es eine Ursache gibt die in der Klinik beseitigt werden kann präklinisch aber nicht. (Beispielsweise die schon im anderen thread genannte Einblutung in den Herzbeutel. Und selbst dort gibt es erste Ansätze präklinisch eine Clamshell Thorakotomie durch zu führen.)

SaniOnTheRoad  12.12.2019, 16:17
Und selbst dort gibt es erste Ansätze präklinisch eine Clamshell Thorakotomie durch zu führen.

Korrekt - und auch wenn die Datenlage eher dürftig ist (eine der wenigen ist von der London Air Ambulance) ist hier das Überleben und Outcome bei präklinischer Clamshell-Thorakotomie gegenüber dem Transport unter Reanimation besser.

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ThisIsJustMeHH  14.12.2019, 13:41
@SaniOnTheRoad

Danke fürs nochmal deutlicher formulieren was ich mit "es gibt erste Ansätze" meinte. Die Entscheidung welches vorgehen gewählt wird liegt hier ja auch ganz klar beim Ärztlichen Kollegen, wo bei dieser sich im Optimal Fall mit dem Team abstimmt. Ich Stelle mir den Eingriff in der stressigen Präklinischen Situation allerdings sehr herausfordernd für den Ärztlichen Kollegen vor. Er hat halt ein viel kleineres Team als im Op. Lichtverhältnisse, wenig Platz Trouble um einen herum. Da gehört schon Mut dazu zu sagen "ich schneide jetzt einfach los Hauptsache ich komme schnell ans Herz herran."

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Aus demselben Gründen, aus denen im Western einer 15x mit dem Peacemaker schießt ohne nachzuladen. Entertainment. Im TV kommt es darauf an, den Zuschauer zu unterhalten, nicht die Realität darzustellen.

Während der Fahrt ist eine ausreichende Wiederbelebung nicht möglich. Das haben Studien des ERC und auch der AHA ergeben. Das liegt schlichtweg daran, dass du in Kurvenfahrten, beim Abbremsen und Beschleunigen einfach nicht gut genug die Kraft auf den Thorax bringen kannst. Kurz, es bringt nix.

Daher wird zur Reanimation angehalten.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich weiß, wie der Körper funktioniert.