Warum ist Anne Frank so berühmt geworden?

10 Antworten

Sehr viele junge Menschen haben das Tagebuch nicht deshalb so sehr geschätzt, weil es Anne Frank besonders schlecht gegangen wäre, sondern weil man sich sehr gut in ihre Situation einfühlen kann, weil sie sehr ins Einzelne gehend die Verhältnisse im Versteck schildert und die psychologischen Probleme, die dabei entstehen.

Ich habe viele Tagebücher gelesen, davon auch mehrere, die von Juden geschrieben wurden, die verfolgt und getötet wurden. Ähnlich ausführlich und psychologisch genau habe ich kein anderes gefunden.

Es kommt aber etwas Wesentliches hinzu: 

Das Tagebuch ist das erste, das eine weitere Verbreitung fand.

Es stammte von einer Jüdin aus Deutschland, die in Holland verfolgt wurde.

Otto Frank hat Passagen, die in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts als anstößig hätten empfunden werden können, herausgenommen.

Das Wichtigste: Das grauenhafte Schicksal, das ihr bevorstand, kommt im Tagebuch nicht vor. Sie hat Mitleid mit den anderen, die in Lager kommen.

Sie schreibt, dass sie trotz aller Verfolgung, der die Juden ausgesetzt sind, an das Gute im Menschen glaubt. Und der Schluss des Tagebuchs handelt davon, wie sie darunter leidet, dass sie nicht so gut ist, wie sie gern wäre. Keine Klage über ihre Lage, sondern der Kampf einer Jugendlichen auf dem Weg zum erwachsen werden.

Das ermöglichte es Leserinnen und Lesern, sich mit ihr zu identifizieren. Und das war und ist die Chance, sich klar zu machen, dass nicht irgendwelche abstrakte Menschenmassen, sondern dass Menschen wie du und ich millionenfach das grauenvolle Schicksal erlebt haben, von dem das Tagebuch gerade nicht handelt.

Fontanefan  06.11.2017, 15:30

Vielleicht ist in folgendem Zitat etwas
von der Besonderheit dieses Textes zu spüren:

"[...] ich höre immer stärker den Donner, der auch uns töten wird, ich fühle das Leid von Millionen Menschen mit, und doch, wenn ich nach dem Himmel sehe, denke ich, daß auch diese Härte ein Ende haben muß und wieder Ruhe und Frieden die Weltordnung beherrschen werden. Inzwischen muß ich meine Ideale hochhalten; in den Zeiten, die kommen werden, werden sie
dann vielleicht doch noch ausführbar sein." (15.7.1944)

Sie gibt sich selbst einen Auftrag. Und was aus dem Munde eines Erwachsenen, der sich an die Öffentlichkeit  wendet, vielleicht etwas pathetisch klingen würde, die Hoffnung eines fünfzehnjährigen Mädchens, dem - wie Millionen anderen - die Chance genommen worden ist, das zu werden, was in ihr angelegt war, macht es schwer, ihr das Mitgefühl zu versagen.  

Und wir, die wir hier in Deutschland  gegenwärtig in diesen besseren Zeiten leben, merken etwas von der Verantwortung, die uns aufgrund unserer besseren Voraussetzung gegeben ist.

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Natürlich gab es viele ähnliche schlimme Schicksale, aber wenige davon wurden in Tagebuch-Form veröffentlicht.
Der Leser kann sich hier in die Gedankenwelt der Anne Frank hineinversetzen und ist fast mit dabei in der kleinen Kammer.
"Empathie" heißt das Zauberwort.

Ob du das Tagebuch wirklich gelesen hast, würde mich auch interessieren.

zetra  05.11.2017, 20:42

Die Frage ist doch auch berechtigt, wie viele Tagebuecher haben denn dieses Desaster ueberlebt? Somit ist das ein einzigartiges Dokument, woran man nicht ruetteln sollte.

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MisterStrange 
Fragesteller
 05.11.2017, 21:39

Ja, das Tagebuch habe ich in der Tat wirklich gelesen. Allerdings muss ich sagen, dass ich neutral zu ihrem Tagebuch bin. Heißt, es hat mich nicht gepackt, aber eine Abneigung dagegen habe ich auch nicht. Nur was ich schön beschrieben finde, sind ihre Gefühle für Peter(?)

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adabei  05.11.2017, 21:42
@MisterStrange

Bei mir ist es schon so lange her, dass ich es gelesen habe (bestimmt 45 Jahre). Als Teenager war ich aber davon beeindruckt und habe es an einem Nachmittag gelesen.
Von deiner Frage dazu angeregt, habe ich es mir gerade bei Amazon bestellt, um es jetzt als Erwachsene "reiferen Alters" noch einmal zu lesen. (Damals hatte ich es mir bestimmt in der Schulbibliothek ausgeliehen.)

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MisterStrange 
Fragesteller
 05.11.2017, 21:55
@adabei

Ja, es kann sicher nicht schaden, auch im Erwachsenen - Alter das Tagebuch nochmal zu lesen.

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tanztrainer1  06.11.2017, 19:52
@adabei

Dann war das aber die Ausgabe, bei der Otto Frank stark eingegriffen hat und noch dazu meiner Meinung nach mit einer "grottenschlechten" Übersetzung. Außerdem hat Otto Frank 5 Seiten ganz unterschlagen, die dann erst ich glaub in den 90ern auftauchten!

Unbedingt also eine neuere Ausgabe lesen (Übersetzerin Mirjam Pressler).

Hab vor kurzem eine Gesamtausgabe gelesen, so etwa 800 Seiten!

Die Biographie von Melissa Müller ist auch sehr interessant!

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adabei  06.11.2017, 22:23
@tanztrainer1

In der Ausgabe, die ich bestellt habe, wurde besonders die Uebersetzung gelobt, auch von jemandem der holländische spricht. Es dürfte sich also um eine relativ neue Ausgabe handeln.

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mychrissie  07.11.2017, 09:56
@MisterStrange

Die Schilderung einer jungen Liebe ist doch ein gutes Beispiel. Die ergreift den Leser ja nicht, weil sie so schön ist, sondern weil man weiß, dass sie unweigerlich von Gestapo- oder SS-Stiefeln zertreten wird. Ich lese das Tagebuch der Anne Frank als erschütterndes Dokument über die Unschuld und die Jugend, die sich vor dem Unrecht verstecken muss, anstatt unbeschwert und fröhlich aufwachsen zu dürfen.

Nimm als Beispiel mal den Film "The Day After" von 1983, in dem das Grauen eines totalen Atomkrieges beschrieben wird. Da hat mich auch am meisten die Szene von dem Pferd berührt, das ausgelassen auf der Weide herumspringt und dem kleinen Kind das fröhlich spielt. Aber nicht weil es so schön und niedlich war, sondern weil man wusste, dass die Atomrakete schon unterwegs war, und die Lebensfreude noch 20 Minuten Frist bis zum Verlöschen hatte.

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Das Tagebuch von Anne Frank steht stellvertretend für das schreckliche Leid, das damals unzählige Menschen - vor allem Juden, aber auch viele andere, erlitten haben. Es berührt besonders, weil es ein junges Mädchen betrifft. Wer die Fähigkeit zum Mitgefühl hat, kann da nicht hart bleiben. Das heißt keineswegs, dass man die Leiden anderer Menschen geringer achtet, sondern nur, dass man die Leidensbotschaft dieses Mädchens auch für alle anderen gelten lässt, die gelitten haben, aber keine Möglichkeit hatten, das der Welt mitzuteilen. Anne Frank ist gewissermaßen die Botschafterin der Unschuld, die leiden muss, und das gilt heute ebenso wie damals.

Es geht dabei ja nicht um einen "Wettbewerb", wer in der schrecklichen Nazizeit mehr Leid erfahren hat. Anne Frank hat es in ihren Tagebüchern eben besonders gut nachvollziehbar dargestellt.

Wer sagt denn, dass nicht morgen auf irgend einem Dachboden ein Tagebuch aus dieser Zeit gefunden wird, das so mitreißend ist, dass es ebenfalls Millionenauflagen erreicht?

Und wer sagt, dass nicht irgendwann Gemälde eines unbekannten Malers aus der Zeit van Goghs gefunden werden, der sich sogar beide Ohren abgeschnitten hat, und die noch toller sind, als die von van Gogh?

Hier geht es doch nicht um das in Wirtschaft und Finanzen vorherrschende Prinzip: "Wer ist größer, reicher, schneller, besser", sondern einfach um ein bewegendes Tagebuch und nicht um einen Wettbewerb um das medienkompatibelste Tagebuch.

Mein Lehrer hat mir erklärt dass sie so berühmt wurde weil , sie die einzige war die sich mit ihrer und noch einer anderen Familie in so eine Art Schrank versteckt hat .
Sie soll das Tagebuch auch sehr gut geschrieben haben , die meisten fiebern immer bei den Schreibstil mit .