War die Demokratie im Athen des 5.Jh nur durch die Einrichtung der Sklaverei möglich?

4 Antworten

Es sind Gesichtspunkte zu unterscheiden, ob die Sklaverei für die athenische Wirtschaft und damit nur für die wirtschaftliche Grundlage der athenischen Demokratie oder für die Demokratie selbst (also die Verfassung, die politische Ordnung) große Bedeutung hatte.

Dabei kann jeweils eine Beurteilung zum Ausmaß, in dem die Wirtschaft bzw. die Demokratie Athens im 5. Jahrhunderts v. Chr. von Sklavenarbeit abhängig war, vorgenommen werden.

Der Marxismus (Historischer Materialismus) vertritt ganz allgemein eine Auffassung von antiker Gesellschaft als Sklavenhaltergesellschaft, bei der Einsatz von Sklaven für die Produktionsweise wesentlich ist, und eine Lehre von der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse als Basis und Einrichtungen, Gedanken und Vorstellungen als Überbau.

Eine Ermöglichung der Demokratie nur durch Sklaverei, Sklaverei also als notwendige Voraussetzung der athenischen Demokratie im 5. Jahrhundert v. Chr. ist eine sehr weitgehende Behauptung.

Diese Behauptung ist überzogen. Es kann ihr mit guten Gründen entgegengehalten werden, die athenische Demokratie im 5. Jahrhundert v. Chr. hätte auch ohne Sklaverei existieren können. Es hat keine so weitgehende Abhängigkeit gegeben, notwendig auf Sklavenarbeit zu beruhen und anders überhaupt nicht möglich gewesen zu sein.

1) Wirtschaft

Sklavenarbeit hat für Athen im 5. Jahrhunderts v. Chr. eine erhebliche Bedeutung gehabt.

Es mangelt aber an antiken Quellen mit zuverlässigen und genauen Zahlen als Informationsgrundlage. Daher können Abschätzungen zum Ausmaß der Bedeutung unterschiedlich sein.

Athenaios, Deipnosophistai (griechisch: Δειπνοσοφισταί; Gelehrtengastmahl; lateinischer Titel: Deipnosophistae) 6, 272 c nennt als Angabe eines Autors Ktesikles für eine Zählung/Musterung der Bevölkerung Attikas, die Demetrios von Phaleron irgendwann zwischen 317 und 307 v. Chr. durchführen ließ, 21000 Bürger, 10000 Metöken und 400000 Sklaven. Die Zahlen der Bürger und Metöken beziehen sich dabei wahrscheinlich auf die Wehrfähigen (Männer von 18 – 59 Jahre). Die Sklavenanzahl wird als offenbar falsch (möglicherweise ein Fehler bei der Überlieferung des Textes) und viel zu hoch beurteilt.

Die Bevölkerung des Staates Athen im 5. Jahrhunderts v. Chr. betrug wahrscheinlich insgesamt im höchsten Stand 200000 - 250000, die Zahl der Bürger (einschließlich Frauen und Kinder) 100000 - 120000, im Höchstfall 150000, die der Metöken (einschließlich Frauen und Kinder) 25000 - 35000, die der Sklaven (einschließlich Frauen und Kinder) 80000 – 120000.

Sklavenarbeit gab es in der Landwirtschaft, Bergwerken, Handwerksbetrieben, Handelsunternehmen und anderen Gewerben. In keinem Wirtschaftsbereich wurden ausschließlich Sklaven eingesetzt.

Ohne Sklavenarbeit hätten manche Athener weniger Reichtum gehabt. Zumindest vieles hätten aber auch durch Arbeit von Freien ersetzt werden können. Bei Bauten auf der Akropolis haben sowohl Freie als auch Sklaven gearbeitet und dafür gleichen Lohn bekommen. Kostengünstiger ist demnach nicht unbedingt gewesen. Auf jedem Arbeitsgebiet (Landwirtschaft/Arbeit auf dem Feld; Gewerbe/Arbeit in den Manufakturen und Bergwerken; Handel) hätten die Athener bis auf wenige Ausnahmen auch ohne Sklaven auskommen können. In Bezug auf Hausdienerschaft und körperlich schwere Arbeit im Silberbergwerk wäre Sklavenarbeit nicht einfach ersetzbar gewesen.

2) Demokratie (Verfassung, die politische Ordnung)

Sklaverei steht in Spannung mit den demokratischen Grundsätzen von Freiheit und (grundsätzlicher) Gleichheit. Bei der Überlegung, ob Demokratie auf Sklaverei beruht hat, geht es darum, ob durch Sklavenarbeit Bürger wohlhabend genug wurden, um sich mit viel Zeit Führungsaufgaben im Staat zu widmen, und arme Bürger ausreichend Zeit hatten, um an der Politik teilzuhaben und ihre demokratischen Rechte tatsächlich ausüben. Möglicherweise wird auch gedacht, indem Sklaven zu Verfügung standen, ist es für die Vornehmen, Reichen und Mächtigen leichter verzichtbar gewesen, Freie in einem sehr abhängigen Zustand zu halten.

Die Zeit einer hohen Sklavenanzahl in Attika und einer voll entwickelten athenischen Demokratie fallen zusammen. Die Zunahme der Sklaverei hat aber im Kern wirtschaftliche Ursachen.

a) allgemeine völlige Abhängigkeit?

Eine ganz allgemeine völlige Abhängigkeit war nicht vorhanden. Sklavenarbeit war keine notwendige Voraussetzung in der Bedeutung einer Unersetzlichkeit. Die Arbeit von Sklaven ist nicht allgemein für die athenische Demokratie unverzichtbar und notwendig gewesen. Das System wäre nicht ohne Sklavenarbeit zusammengebrochen. Sklavenarbeit war insofern nicht eine unentbehrliche Voraussetzung, auf der athenische Demokratie beruhte.

Wenn in Komödien von Aristophanes Vorstellungen auftauchen, Sklaven sollten alle Arbeit erledigen oder, oder Sklavenbesitz bei Bauern als verbreitet erscheint sind, sind dies Darstellungen von Wunschbildern bzw. mit Idealisierung des bäuerlichen Landlebens verbundene Darstellungen, die nicht einfach als Wiedergabe tatsächlicher Verhältnisse verstanden werden dürfen. Es ist sehr zweifelhaft, ob auch Bauern mit kleinem Grundbesitz oft ein paar Sklaven besaßen. Wahrscheinlicher ist die Mitarbeit von Familienangehörigen und notfalls der Einsatz von Knechten/Tagelöhnern in einer besonders arbeitsintensiven Zeit. Nach Angabe von Angela Pabst, Die athenische Demokratie. Originalausgabe. 2., aktualisierte Auflage. München : Beck, 2010 (Beck'sche Reihe ; 2308 : C. H. Beck Wissen), S. 94 erforderte der Kauf eines Sklaven ohne besondere Fertigkeiten zwischen 125 und 300 Drachmen, was nicht nur für Tagelöhner nahezu dem Jahreseinkommen entsprach. Nach Aussage von Aristoteles 6, 8, 1323 a (im 4. Jahrhundert v. Chr. geschrieben, aber gegenüber dem 5. Jahrhundert v. Chr. ist in dieser Hinsicht kein Unterschied) anzunehmen) müssen Arme/Mittellose in Ermangelung von Sklaven ihre Frauen und Kinder als Diener verwenden.

b) förderlicher oder erleichternder Faktor?

In einer weniger weitgehenden Auffassung von Abhängigkeit kann überlegt werden, ob Sklavenarbeit ein förderlicher oder erleichternder Faktor unter anderen war, der für die Entwicklung der athenischen Demokratie vorantreibend wirkte („Agens“ war, also eine antreibende Kraft).

Auch kleine Handwerker wie ein Töpfer oder Bauern konnten, wenn sie Sklaven hatten, zur Volksversammlung gehen, ohne einen Schaden für ihren Betrieb befürchten zu müssen.

Vornehme und Wohlhabende konnten durch den Besitz und Einsatz von Sklaven reich werden (größere Vermögen erwerben) und dadurch in finanzieller Hinsicht völlige politische Unabhängigkeit erreichen.

Viele Athener konnten für längere Dauer außerhalb des Staatsgebiets für außenpolitische Ziele tätig sein und für die machtpolitische Stellung Athens eintreten, weil während ihrer Abwesenheit Sklaven weiterhin ihre Arbeit verrichteten und die Produktion aufrechterhielten.

Das Bedenkliche daran ist die Gesamtheit (Summe) der Möglichkeiten, die Sklaverei bot und wodurch der Zusammenhang nicht unerheblich ist.

Allerdings konnte die Teilnahme an einer Volksversammlung mit Besorgungen, Kauf und Verkauf in der Stadt Athen verbunden werden. Die Zeiteinteilung für die Erwerbsarbeit konnte in vielen Fällen flexibel gehandhabt werden. Ältere scheinen vielfach genug Zeit gehabt zu haben, um als Geschworene in Volksgerichten tätig zu sein.

Es sind Zahlungen eingeführt worden, die auch Ärmeren besser eine Beteiligung ermöglichten, nämlich eine griechisch μισθός (misthos [Lohn, Besoldung]) genannte finanzielle Aufwandsentschädigung: Lohn/Besoldung für als Soldaten dienende Bürger und möglicherweise auch für manche Amtsinhaber (die politischen Ämter hatten gewöhnlich eine Amtsdauer von 1 Jahr), Tagegelder für Geschworene in Volksgerichten, Tagegelder für Mitglieder des Rates der 500, Tagegelder an die Teilnehmer an einer Volksversammlung, Einrichtung einer Schaugelderkasse (griechisch: θεωρικόν [theorikon]) zur Teilnahme an den Theateraufführungen während des dreitägigen Staatsfestes der Großen Dionysien.

Sklaverei hat eine athenische Demokratie mit großer außenpolitischer Tätigkeit, bei der ein Teil der Bürger auch mal längere Zeit von der Heimat abwesend war, ein Stück erleichtert. Dies ging aber nicht so weit, für das Bestehen der Demokratie unentbehrlich zu sein.

Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie. 2., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, S. 95 – 96:

„Keine griechische Stadt hatte – wenn wir von den Heloten Spartas, deren Status dem der athenischen Sklaven nicht vergleichbar ist, absehen – der absoluten Zahl nach so viele Sklaven wie Athen; nur wenige, wie vielleicht Korinth und Chios, besaßen eine auch nur relativ große Anzahl. Es verwundert daher nicht, wenn in der modernen Forschung und nicht nur von marxistischer Seite die Frage gestellt worden ist, ob nicht die Wirtschaft Athens, ja ob nicht auch die demokratische Verfassung, unter der die Sklavenzahl besonders stark zunahm, und die machtpolitische Stellung Athens von der Arbeit der Sklaven abhing. Daß die Sklaven diejenigen waren, welche die Arbeit machen sollten, hören wir jedenfalls u.a. öfter auch bei Aristophanes, und das heißt, daß Aristophanes mit derlei Gedanken beim Publikum Resonanz fand. Konnte eine der politischen Grundideen der Demokratie, daß nämlich jeder Bürger seine politischen Rechte auch ausüben können sollte und er darum für das politische Geschäft bezahlt werden mußte, nicht nur dann verwirklicht werden, wenn der Sklave die Arbeit auf dem Feld, in den Manufakturen und Bergwerken tat und er also die Produkte schuf, damit der Bürger dem politischen Geschäft nachzugehen vermochte? Konnte die gewaltige athenische Flotte, für deren Bemannung man oft den letzten Mann brachte, nicht nur deswegen in See stechen, weil es Sklavenhände gab, welche die lebensnotwendigen Produkte herstellten, und war darum nicht die athenische Seebunds- und Großmachtpolitik auf die Sklaverei gegründet? Ist die Frage so allgemein und umfassend gestellt, läßt sie sich widerlegen: Auf jedem Arbeitsgebiet, ob nun in der Landwirtschaft oder im Handel, wären de Athener mit wenigen Ausnahmen auch ohne Sklaverei ausgekommen, und in der Politik oder auf der Flotte und im Heer waren niemals alle Athener und selbst in Notlagen auch lediglich der größte Teil beschäftigt. Aber dieser Einwand ist doch nur bedingt richtig. Denn es ist gewiß nicht danach zu fragen, ob Athen der klassische Sklavenhalterstaat war, was sich eben leicht widerlegen läßt, sondern ob der Gesamtwert der Sklavenarbeit so groß war, daß die Richtung der inneren und äußeren Politik von ihm nicht völlig unabhängig war. Man braucht nicht schon bis zu dem Postulat einer Abhängigkeit der Politik von Sklavenarbeit zu gehen; für das Urteil über die athenische Demokratie ist es schon wesentlich, wenn die Sklaverei auch nur ein Agens unter anderem für die dynamische Entwicklung der Stadt gewesen wäre, etwa die Ausbildung der politischen Ordnung zu ihrer radialen Form gefördert oder den Wahn der Macht ermöglicht hätte. Ist es nämlich für die Demokratie einerlei, wenn ein kleiner Töpfer oder ein Bauer, der zur Volksversammlung gehen wollte, dies ohne Schaden an seinem Betrieb tun konnte, weil er einen oder mehrere Sklaven hatte? Spielt keine Rolle, daß nicht die ganze, aber doch ein beträchtlich Prozentsatz der Arbeit von Sklaven getan wurde, wenn die Mehrheit der Athener außer Landes war? Ist es unwichtig, daß Vornehme und Wohlhabende sich gerade durch den Besitz von Sklaven größere Vermögen und völlige persönliche Unabhängigkeit erwarben? Es ist wohl kaum der Blick auf den einzelnen Berufszweig oder die einzelne, besondere Situation, der bedenklich stimmt, sondern die Summe der Möglichkeiten, die durch den Tatbestand einer großen Anzahl von Sklaven in wichtigen Berufen gegeben ist.“

S. 475:

„Die Abhängigkeit des Wirtschaftslebens und insbesondere auch der demokratischen Ordnung von der Existenz einer großen Sklavenanzahl wird in der Forschung verschieden beantwortet; es dürfte jedoch eher die Ansicht überwiegen, daß weder die Wirtschaftsblüte Athens noch die Demokratie auf Sklavenarbeit beruhte. JONES (459, bes. S.18ff.) ging so weit zu behaupten, daß in einem Athen ohne Sklaven lediglich die Wohlhabenderen ihren Haushalt hätten allein besorgen müssen und darüber hinaus nur ein paar sehr Reiche ruiniert worden und eine etwas größere Schar Bessergestellter um einen Teil ihres Einkommens gekommen waren. FINLEY (481) hingegen ist skeptisch, ob Wirtschaft und Demokratie in Athen ohne Sklavenarbeit in derselben oder auch nur ähnlicher Weise hätten existieren können. Auch HUMPHREYS (203, S.136ff.) schätzt die Bedeutung der Sklaven im Produktionsprozeß Athens hoch ein und glaubt sogar, ohne ihre Ergebnis jedoch als sozialen Desintegrationspozeß hochzustilisieren, einen inneren Widerspruch der athenischen Gesellschaft, beruhend auf der Spannung zwischen der – Interessen und Kräfte absorbierenden – politischen Aktivität der Bürger und der relativ starken Rolle von Metöken und Sklaven im Wirtschaftsleben, zu erkennen. Man hat sich jedoch hier wie bei allen anderen Arbeiten zur Sklaverei zu vergegenwärtigen, daß sowohl die christlich-humanitäre Gesittung der bürgerlichen Gesellschaft als auch die politische Ideologie der Marxisten die Bedeutung der Sklaverei eher überzeichnen (in diesem Sinne STARR, 480). Angesichts der Quellenlage, die für unterschiedliche Interpretationen viel Spielraum läßt, dürfte auch dieser Umstand in der Zukunft zu einem vielfältigen Meinungsbild beitragen.“

die Veröffentlichungen, auf die Bezug genommen worden ist:

Sally C. Humphreys, Economy and society in classical Athens. In: Annali della Normale Superiore di Pisa serie seconda 39 (1970), S. 1 - 26; Wiederabdruck: Sally C. Humphreys, Anthropology and the Greeks. London : Routledge & Kegan Paul, 1978, S. 136 - 158

A. H. M. Jones, The economic basis of the Athenian democracy. In: Past & Present 1 (1952), S. 13 – 31; Wiederabdruck: A. H. M. Jones, Athenian Democracy. 6th impression. Oxford: Blackwell, 1975, S. 3 – 20

Chester G. Starr, An overdose of slavery. In: The journal of economic history 18 (1958), S. 17 - 32; Wiederabdruck: Chester G. Starr, Essays on ancient history : a selection of articles and reviews. Edited by Arther Ferrill and Thomas Kelly. Leiden : Brill, 1979, S. 43 - 58

M. I. Finley, Was Greek civilization based on slave labour? In; Historia : Zeitschrift für Alte Geschichte, 8 (1959), S. 145 – 164; Wiederabdruck: M. I. Finley, Economy and Society in Ancient Greece. Edited with an introduction by Brent D. Shaw and Richard P. Saller. London : Chatto & Windus, 1981, S. 97 - 115

Ja das ist korrekt, das hat etwas mit der Wirtschaft zu tun.

Das halte ich für eine gewagte These.

Jedenfalls war Sklaverei damals in Griechenland selbstverständlich. Fast jede Familien hatten einen Sklaven und nicht nur die Superreichen. Die aber hatten neben Arbeitssklaven auch noch Lustsklaven für ihren Harem oder ihre Knabenliebhaberei. Die Sklaven wurden auf den Märkten öffentlich gehandelt und stammten meist von Seepiraten oder waren Kriegsgefangene. Man kann sich kaum vorstellen, wie die so verscherbelt wurden und vermutlich gab es auch eine Sklaveninflation. "Verdammt, die Sklaven werden auch von Jahr zu Jahr teurer!"

Gibt es irgendwelche Thesen, die das stützen?

Ist die derzeitige Undemokratie nur durch Demokratie zu ersetzen, indem Ungleichheit und Sklaverei eingeführt werden?

Was wären gute erste Schritte? Diskriminierung von Ungeimpften? Ist das schon mal ein starker Schritt zur Demokratie?