Was ist der Unterschied zwischen 'Normaler' Demonstration und Volksaufstand?

4 Antworten

Eine Demonstration ist eigentlich jede Versammlung, in der mind. 3 Menschen eine gemeinsame öffentliche Forderung bekannt geben.

Zu einem "Volksaufstand" - einem Begriff mit einer Menge Pathos - gehören m.E. ein paar Elemente, ohne die er eine lächerliche Überhöhung ist.

Der Teilbegriff "Volk" setzt voraus, dass die Gesamtheit eines Volks hinter ihm steht und das m.E. auch durch Teilnahme ausdrückt. Gesamtheit heisst, dass verschiedene Milieus darin vertreten sind. Klassisch sollten diese Milieus Schichten repräsentieren, tunlichst solche, die im normalen Leben der Gesellschaft eher getrennt voneinander agieren.

Aufstand beinhaltet auch erhebliches Konfliktpotential und m.E. auch Gewalt, vor allem aber Forderungen, die im Grunde einen umfassenden Machtwechsel beinhalten.

Der "Volksaufstand" von 1953 wurde aber im Grunde ausschliesslich von einem recht abgrenzbaren kleinen Milieu getragen: Bauarbeitern, die ihre spezifischen Bauarbeiterforderungen vortrugen.

Was waren das für Forderungen? Protest gegen die Erhöhung von Arbeitsnormen. Das ist, aus realsozialistischer Sprache in unsere in der Marktwirtschaft übertragen: mehr arbeiten für dasselbe Gehalt = Senkung des Stundenlohns.

Wie protestieren sie dagegen? Nun: mit dem klassichen effektiven Mittel: sie verweigern die Arbeit, um ihre Forderungen innerhalb eines Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Konflikts durchzusetzen.

Das nennt man: einen Streik.

Von Aufstand sehe ich da nix. Die Bauarbeiter wolten nicht "den Sozialismus" abschaffen und durch die Marktwirtschaft ersetzen. Sie hatten ganz konkrete, nahe liegende Forderungen wie sie Gewerkschaften fordern. Was in der DDR unmöglich war, da die Gewerkschaft quasi eine Behörde war.

Ein Volk war auch nicht beteiligt, sondern nur ein recht erkennbares einzelnes Milieu.

Das ist von erheblicher Wichtigkeit. Wenn Du DIr echte Aufstände anschaust - meist Revolution genannt, ist da Volk in einem umfassenden Sinne dabei: Arbeiter, Angestellte, Studenten, Intellektuelle, Jugendliche, Männer und Frauen. SO war es 1789 in Frankreich, 1848 in ganz Europa, 1918 und auch in echten Aufständen in Osteuropa wie in Ungarn oder der CSSR.

Dass für Ostberlin auch später politischere Forderungen genannt wurden, ist relativ offensichtlich kein Produkt dieses Bauarbeiter-Streiks, sondern Ergebnis von Medien aus dem Westen, die das den Streikenden in den Mund gelegt haben.

Das kannst Du Dir selbst denken, wenn Du mal Dein Alltagswissen über Menschen anwendest. Wie sieht die Welt so "einfacher" Menschen wie Bauarbeiter i.d.R. aus? Sicher nicht so, dass sie Kataloge politischer Programme aufstellen. Die haben, wenn sie mal aktiv werden, immer recht naheliegende und praktische Forderungen.

Wenn allgemeinpolitische Forderungen auftauchen, die sich auf Verfassungsebene bewegen., gehen die immer von Intellektuellen aus. Das könnten Leute aus der älteren Szene sein wie Schriftsteller, Künstler uä. oder aber Studenten. Von denen ging z.B. der ungarische Aufstand in den 50er Jahren aus und Arbeiter schlossen sich ihm dann an. Es hat schon einen guten Grund, dass Universitäten von Machthabern immer mit Misstrauen beäugt werden...

Diese intellektuelle Elite hatte aber in den 50er Jahren nicht die idealistische Überzeugung, für den Adenauer-Kapitalismus kämpfen zu wollen. Der war dem Westen von den USA so übergestülpt worden wie der Realsozialismus dem Osten. DU musst Dich erinnern: die Deutschen waren besiegt worden, nachdem sie einige dutzend Millionen Menschen geschlachtet hatten. Die Schornsteine von Auschwitz lasteten noch auf dem Gewissen und Selbstbewusstsein der Menschen.

Ausgerechnet die Idealisten, die mit dem feinen Empfinden für Ethik und Gerechtigkeit, sollten aufgestanden sein gegen einen Staat, der - in welcher Form auch immer - von Opfern oder Gegenkämpfern der Nazis geführt wurde, gegen einen Staat, der von alten Nazis geführt wurde? Man denke nur an Globke...

Sehr, sehr schwer vorstellbar, oder?

Dieses Problem hatten manch andere Staaten weniger als Deutschland, und so ist in denen ein Volksaufstand auch eher denkbar. In dem Klima konnte man höhere Löhne fordern wie zu allen Zeiten. Aber der Rest?

Wenn Dir ein "Aufstand" mit einer politischen Agenda hingestellt wird, wo Du eig. nur Arbeiter siehst, musst Du schon abwinken und erkennen, dass hier etwas vereinnahmt wird.

In diesem Falle ist es die Elite Westdeutschlands, die den Anspruch erhob, das ganze deutsche Volk zu repräsentieren, das selbstverständlich von ihnen beherrscht werden will und von niemand anders.

Sehr durchschaubar.

Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 sind seit damals bis heute von Ost und West propagandistisch missbraucht und äußerst einseitig dargestellt worden. Deshalb finde ich es auch gut, dass du die Frage stellst, ob es wirklich ein "Volksaufstand" war oder ob diese Bezeichnung bloß Teil einer verzerrten Darstellung ist.

Helfen bei der Beantwortung könnten zum Beispiel folgende Fragen. Wie konnten gleichzeitig (!) die Unruhen ausbrechen und wie konnten und die selben Forderungen gestellt wurden, wenn das ganze spontan und nicht geplant gewesen sein soll? Wer hat geplant, die Kommunikation organisiert und die Forderungen ausgearbeitet? Wieso brach das Ganze nach der Korrektur der Arbeitsnormerhöhungen aus? Bei der Beurteilung muss man die Grenzen offenen Grenzen zur Bundesrepublik und Westberlin beachten, die kein ernstzunehmendes Hindernis darstellten.
Egon Bahr, damals als Journalist beim RIAS, gab in einem Interview zu, dass sein Sender Katalysator dieser Ereignisse war. Wenn er das schon zugeben muss ...

http://www.deutschlandradiokultur.de/bahr-rias-war-katalysator-des-aufstandes.945.de.html?dram:article_id=132181

1953, acht Jahre nach dem Krieg, die überwiegende Mehrzahl der jungen Leute (auch in der DDR) sind politisch im 3. Reich sozialisiert wurden. Antikommunismus und faschistisches Gedankengut steckte immer noch in vielen Köpfen. Da war der berechtigte Protest der Arbeiter gegen die verfehlte SED-Politik der willkommene Anlass, diesem Protest eine antikommunistische und auch antisowjetische Richtung zu geben.
Vielen der ehemaligen Pimpfe, steckte noch die empfundenen Schmach der Niederlage und die "Schande" von "bolschewistischen Untermenschen" beherrscht zu werden in den Knochen. Von den heimgekehrten Kriegsgefangenen mal ganz zu schweigen.

Das Wesen dieser eskalierten Unruhen war antisowjetisch und antikommunistisch, notdürftig verbrämt durch im Westen formulierte Forderungen und Losungen. Der "Volksaufstand", der ein Ruf nach (bürgerlicher) Demokratie und "Freiheit" war, ist eine Legende des Kalten Krieges.

Das war kein Volksaufstand! Das waren Unruhen, die im inneren ihre Ursachen hatten und von außen kräftig geschürt worden sind. Wenn es ein Volksaufstand gewesen wäre, dann hätte er Erfolg gehabt.

(Gerne würde ich einen funktionierenden Link einstellen, doch die dämliche Formatierung hier auf GF lässt das nicht zu.)

mineralixx  17.02.2014, 22:13

Der letzte Satz ist totaler Unsinn! Du vergisst die Rolle des sowjetischen Militärs. Und der Aufstand trug nie antisowjetische Züge, es ging immer "nur" um die verfehlte SED-Politik.

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exFlottiLotti  17.02.2014, 23:09
@mineralixx

der Aufstand trug nie antisowjetische Züge ...

Die trug er, gerade auch in Anbetracht der von der DDR zu leistenden Reparationen.

Wenn das wirklich ein Volksaufstand gewesen wäre, dann hätte er das ganze Land erfasst und hätte eine wirkliche Massenbasis gehabt.

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eka45  18.02.2014, 12:18

"dank" fehlender Mauer in Berlin, die erst 1962 gebaut wurde, wurden sogar Leute aus dem Westen mit Schußwafen und als Brandstifter aktiv in Osten. Es gab zig Ermittlungen und Verurteilungen - nur findet man sowas natürlich nicht in den Medien - nicht mal im Internet. Die Wikipedia- "Wir löschen das Wissen der Menschehit"-Fraktion hat eine unschlagbare Macht aufgebaut. Ich vermute mit INSM-Geldern o.a. Ist doch logisch, dass die Herrschenden das Wissen und die Information unter Kontrolle halten. Nur eine immunisierende Dosis wird als Feigenblatt zugelassen.

Hier ein DDR-Film über Mauer http://www.youtube.com/watch?v=0k5K_jBHbeE

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LSSBB  21.02.2014, 08:15
@eka45

eka

Mauer in Berlin, die erst 1962 gebaut wurde>

????

Wir sollten schon korrekt bleiben bei den historischen Fakten!

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Eine "normale" Demonstration findet an einem Ort (meist) einmalig zur Durchsetzung eines bestimmten Zieles statt oder um auf einen bestimmten Mißstand hinzuweisen - und stellt das politische System nicht infrage. Ein "Volksaufstand" findet (unkoordiniert) landesweit statt, oft über mehrere Tage - und stellt das bestehende politische System infrage, indem z.B. freie Wahlen gefordert werden (wo sie zuvor nicht stattfanden). Definitionsgemäß entwickelte sich aus einigen Demonstrationen vor dem 17.6. (Bauarbeiterproteste, Stalinallee) ein Volksaufstand mit Höhepunkt am 17. Juni, landesweit.

Was war denn der Auslöser? Irrationale Arbeitsnormen! Weiter nichts!

Also das selbe wie 1989: fehlende Bananen!

Das nennt sich "Volksaufstand"???

Mehr doch eigentlich "Futterneid"!