Übertreibe ich mit der Einstellung gegenüber meinem Vater?
Hallo,
ich merke momentan immer mehr, wie mir die Lust auf meinen Vater vergeht (falls er nach einem Treffen fragt), obwohl er kein schlimmer Vater war. Ich möchte mal die Lage erklären und von euch wissen, ob ich übertreibe bzw. was ich denn machen kann:
seit meinem 11. Lebensjahr hat uns mein Vater alleine - also ohne Mutter - erzogen. Er hat sich stets materiell und finanziell um uns gekümmert. Essen stand immer auf dem Tisch, Taschengeld etc. war alles da. Soweit so gut. Allerdings hat das soziale bzw. psychologische gefehlt und jetzt, mehr als ein Jahrzehnt später, fange ich an das so richtig zu spüren.
Er hat uns (also Schwester und mich) nie ernst genommen und tut es auch heute nicht, auch, wenn wir fest im Leben stehen (ich bin zB Vater, berufstätig usw.). Er hört auch nicht zu. Stellt er zB eine Frage, antwortet man ihm und im selben Moment redet er mit einer anderen Person. Ich bin mir sicher, dass er das nicht aus Provokation macht, er war einfach schon immer so. Bei Leuten, die er ernst nimmt, wie zB seine Freundin, scheint das nicht der Fall zu sein.
Auch kritisiert er sehr viel und es scheint uns, als sucht er bewusst nach Fehlern. Ich mag ihn auch gar nicht mehr anrufen um ihn zu fragen wie es ihm so geht, da er wie gesagt meistens etwas bemängeln möchte oder leicht 'ausrastet', wenn man bei irgendeinem Thema nicht seiner Meinung ist.
Vor allem bei Gruppentreffen mit Freunden von ihm habe ich keine Lust, mitzukommen, wenn er mich einlädt, da ich das Gefühl habe, dass er da mit denen leicht herabwürdigend über mich reden wird und das ist dann halt einfach Zeitverschwendung für mich. Ehrlich gesagt denke ich auch, dass er mich nicht einlädt, weil er mich wirklich da haben will, sonder eher, um den Ruf als guten Vater beizubehalten (im Sinne von "meine Kinder möchten mich ja immer noch besuchen"). Aber er 'zwingt' uns da auch eher hin als uns da wirklich einzuladen.
Vor allem bei der letzten Aussage kann ich natürlich nicht versichern, dass das wirklich seine Gründe sind, aber es kommt halt so rüber und in meiner Familie und auch Kultur ist der Ruf nach außen halt schon sehr wichtig.
Mit ihm reden ist sehr schwer, da er erstens nicht wirklich zuhört, zweitens einen nicht ernst nimmt und drittens eher ausrastet, wenn man sagt, was einem nicht passt. Ich habe immer im Hinterkopf, dass er uns zwei Jugendliche alleine erzogen hat und uns materiell und finanziell zur Seite stand, aber so sehr ich das respektiere, so sehr möchte ich mich einfach nicht gezwungen fühlen, mich mit ihm treffen zu müssen. Ich wünschte, ich hätte eine erwachsenere und lockerere Bindung mit ihm, aber das ist leider nicht der Fall, weswegen ich dann lieber selten Kontakt mit ihm hätte, so sehr es auch schmerzt dass zu schreiben.
Wie oft finden denn Treffen zwischen euch statt?
Etwa zwei Mal im Monat. Meistens kommt er zu uns vorbei, aber nur so für 15 Minuten, weil er zu tun hat
4 Antworten
Ich verstehe dich. Du bist es leid, von deinem Vater vor anderen heruntergemacht und bevormundet zu werden und hast schon ein ungutes Gefühl vor dem Treffen. Das ist okay. Nimm dir ruhig Mal eine Auszeit.
Auf der anderen Seite glaube ich, dass dein Vater in der Erziehung nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Möglicherweise hat er Dinge wie Liebe und Zuneigung zeigen, Gespräche, euch ernst nehmen von daheim nicht mitbekommen. Alleinerziehende haben mehrfache Last zu tragen, neben Job und Haushalt für die Kinder da zu sein, niemals eine Schwäche zeigen zu dürfen, da der andere Elternteil fehlt, um einen Part zu übernehmen.
Wie wäre es, wenn ihr mal nur zu zweit etwas unternehmt, einen Ausflug oder eine Wanderung zum Beispiel, ohne Menschen, denen er glaubt etwas beweisen zu müssen? Sag ihm mal, dass du ihn gern hast und dankbar bist für seine Bemühungen. Verzeihe ihm die Dinge, die nicht optimal waren. Solche Dinge aufzulösen geht nicht auf einmal. Gib ihm die Chance, sich mitzuteilen.
Am Ende ist es dein Vater. Der irgendwann nicht mehr da sein wird.
Alles Gute und viel Glück!
Danke für deine Antwort. Ich möchte gerne eine Auszeit nehmen, aber er zwingt mich mehr oder weniger zu solchen Treffen. Also nicht direkt zwingen, aber er ist dann schon wütend, wenn ich nicht komme.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das für ihn schwer war damals und ich bin ihm auch nicht direkt böse wegen der Vergangenheit, sondern der Gegenwart. Jetzt hat er ja sozusagen seine Ruhe und ist ja nicht gezwungen, uns zu sehen, aber er gibt uns ein schlechtes Gefühl, indem er uns auf unsere Fehler aufmerksam macht, und das ziemlich oft, anstatt einfach mal schön Kaffee zu trinken und lockerer zu reden.
Zu zweit machen wir schon ab und zu was. Das mit dem runterziehen passiert unabhängig von einer Gruppe, zu zweit eigentlich sogar eher als in einer Gruppe, da er schon in einer Gruppe auch einen guten Ruf bewahren möchte (so denke ich).
Ich sage ihm gerne, dass ich ihm für alles dankbar bin. Wenn ich ihm Dinge verzeihen würde, also wenn ich das so Wort für Wort sagen würde, wäre er eher aufgebracht, da es seiner Meinung nach wahrscheinlich nichts zu verzeihen gibt.
Aber es geht mir gar nicht darum, ob er mal irgendwas einsieht oder nicht, ich möchte einfach nur entweder in Ruhe gelassen werden oder respektiert werden. Die Vergangenheit ist vergangen und jeder macht Fehler, aber ich will die selben 'Fehler' (ich rede nicht gerne von Fehlern, aber der Einfachheitsheit halber nenne ich das so) nicht weiterhin in der Gegenwart erleben.
Dein Vater hat es sicherlich nicht leicht gehabt und hat, seiner Ansicht nach, sein Bestmöglichstes gegeben.
Heute weißt du, dass das nicht genug war, dass es an tiefsinnigen, wertschätzenden und zwischenmenschlichen Gesprächen gemangelt hat. Das war wohl nicht so seine Stärke, bzw. er dachte vlt., dass das Kindern nicht auffällt oder dass es sie später nicht vermissen werden.
Heute bist du erwachsen und selbst Vater und kannst deinem Vater Paroli bieten, weil du dich auskennst. Rede doch einfach offen, aber dennoch stets respektvoll mit ihm darüber. Sage ihm deine Meinung oder teile ihm dein Gefühl mit. Frage ihn, ob er dich einladen will, um deiner selbst Willen oder nur wegen den Anderen, damit er gut da steht. Sage ihm, dass du keine Lust zu kommen hast, weil er nur deine Schwächen anspricht und niemals deine Stärken.
kommt als Antwort, dass ich einfach zu viel Zeit zum Nachdenken hatte
Ich habe aktuell wieder einen Therapeuten. Der sagte kürzlich "Sie gehen mir auf die Nerven! Ich glaube, Sie psychologisieren zu viel!" Das war die Reaktion auf meine Nachfrage, warum meine Therapiestunde zuletzt nur eine halbe Std. ging und allgemein zu spät beginnen.
Ich habe das jetzt eine Weile setzen lassen und sehe JETZT darin eine natürliche Reaktion. Ich habe sein Verhalten indirekt kritisiert und er weiß, dass ich grundsätzlich im Recht bin (Therapiestunde geht 50 Min.) und ärgert sich in erster Linie über sich selbst. Statt nun aber zu sagen, dass er zwischen zwei Patienten einfach manchmal mehr als diese 10 Minuten braucht (oder andere Gründe), schiebt er mir die Schuld zu - und das als Facharzt für Psychiatrie mit 65 Jahren!). Es ist okay, ich habe daraus gelernt. Und ich werde das in der nächsten Stunde mit ihm nochmals besprechen, denn auch er muss da noch etwas lernen, denn mich hat das ziemlich verletzt. Aber ich bin aufgestanden und letztendlich daran stärker geworden :)
Genau so ist es. Dieser Therapeut muss seinen Fehler einsehen und sich auch mal was von einem Patienten kritisieren lassen. Wenn er dazu nicht fähig ist, ist er in meinen Augen kein guter Therapeut.
Meine Lernaufgabe liegt wohl darin, WIE ich eine Kritik verpacke. Ich bin oft sehr klar und direkt, weil ich lernen musste, mich zu schützen.
Dagegen spricht nichts, aber manche Leute reagieren da komisch darauf. Sie wollen Kritik lieber in einem Bumenstrauß verpackt haben.
Hmmm, ich könnte mir vorstellen, das dies so ungefähr die Gedanken meiner Kinder sind, nur dass ich die Mutter bin, aber eben auch alleinerziehend war.
Verhaltensweisen manifestieren sich über einen langen Zeitraum. Der Grundstock ist die frühkindliche Konditionierung, den Rest erledigt das Leben. Eltern sind einfach auch nur Menschen und geben immer ihr Bestes - das solltest du doch als Vater wissen!
Du erwartest zu viel von deinem Vater, was er nicht erfüllen kann. Dies bewirkt in dir Defizite, die du mit hoher Wahrscheinlichkeit später an deinem Kind "abarbeiten" wirst und so wiederholen sich die familiären Muster bis zum Sanktnimmerleinstag!
Ich würde dir eine Therapie empfehlen, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, aus dem Muster auszusteigen. Es ist schwer genug! Ich habe mir Therapie gegönnt, hatte die Muster aber längst mit meinen Kindern wiederholt und jetzt ernte ich meine Saat und versuche mich stets daran, auszugleichen. Gleichzeitig melden sich aber auch immer noch meine kindlichen Defizite, so dass ich ständig zwischen "Beziehungspflege zu meinen Kindern" und "Beziehungspflege zu mir selbst" grätschen muss.
Dein Vater ist offensichtlich nicht therapiert und sucht nach wie vor im Außen die Kompensation für seine Defizite. Das tut er unbewusst. Und ja, das kostet dich Kraft und du hast das Recht, dich davon abzugrenzen. Geh ruhig deinen Weg, kümmere dich um dich und deine kleine Familie und sage ihm ab, aber bitte ohne Donner und Groll! Lass ihn aus der Ferne zuschauen, wie du es besser machst, dann kann er lernen - und letztendlich du auch.
Ich wünschte, ich hätte eine erwachsenere und lockerere Bindung mit ihm, aber das ist leider nicht der Fall
Wie soll das gehen, so lange du noch Erwartungen an ihn hast und nicht loslässt? Meine Tochter kam mit der Idee, ich solle doch bitte jetzt ihre Freundin sein. ICH bespreche mit MEINER Freundin aber auch meine Sorgen, aber die will sie nicht hören.
Das soll kein Angriff sein! Ich spüre diese unbewusste Erwartungshaltung seitens meiner Tochter. Mama sollte doch bitte anders sein. Das ist eine (teilweise) unausgesprochene Kritik und fühlt sich für mich auch nicht gut an.
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich bin nicht der Meinung, dass ich zu viel verlange, es ist ja 'nur' Respekt haben und auf Augenhöhe kommunizieren, das sollte in jeder Beziehung - ob Eltern oder Beziehungspartner - Normalität sein. Sonst verlange ich eigentlich gar nichts, weder Geld, noch Hilfe, noch Treffen oder sonstiges. Ich WÜNSCHE mir einfach nur eine lockere Atmosphäre, die ich ihm aber natürlich nicht aufzwinge. Ich zeige ihm das auch nicht, ich will ihn ja eben nicht spüren lassen, dass etwas nicht stimmt, da ich ihm eine gute Zeit gönne. Loslassen würde ich ja gerne, aber er hält mich ja sozusagen fest, daher weiß ich nicht, ob du entweder meine Frage misinterpretiert hast oder ich deine Aussage.
Theraphie suche ich momentan, leider bisher noch ohne Erfolg. Aber das wird definitiv ein Thema sein. Dein letzter Absatz ist sehr interessant, denn den Gedanken mit den Defiziten ausgleichen hatte ich bei ihm auch schon. Absagen ohne Donner und Groll ist leider kaum möglich, da er schnell wütend wird, wenn man ihm Nein sagt. Daher zwinge ich mich entweder hin oder lasse es auf mich hageln.
Ich bin nicht der Meinung, dass ich zu viel verlange, es ist ja 'nur' Respekt haben
Du willst ihn anders haben, da fehlt auch der Respekt.
Ich zeige ihm das auch nicht, ich will ihn ja eben nicht spüren lassen, dass etwas nicht stimmt
Und du glaubst wirklich, er merkt das nicht?
Loslassen würde ich ja gerne, aber er hält mich ja sozusagen fest
Ich neige dazu, zu behaupten, dass dies unbewusst passiert. Ich selbst muss da auch immer genau hinschauen, inwieweit Projektionen eine Rolle spielen.
Absagen ohne Donner und Groll ist leider kaum möglich, da er schnell wütend wird, wenn man ihm Nein sagt.
Das kann er nur machen, wenn du unklar bist. Mit 21 ist das für dich auch keine einfache Sache, dich klar zu positionieren, aber du bist selbst Vater!
Theraphie suche ich momentan, leider bisher noch ohne Erfolg. Aber das wird definitiv ein Thema sein.
Das wird dein Hauptthema, denn unsere kindlichen Konditionierungen haben auf alles in unserem restlichen Leben Auswirkungen! Wenn du es dir finanziell leisten kannst, empfehle ich dir eine Hypnosetherapie, die dich zurückführt. Ich habe damit mein Mutterthema gelöst.
Du willst ihn anders haben, da fehlt auch der Respekt.
Nur, weil ich mir mehr Respekt in unserer Bindung wünsche ist das doch kein Zeichen von fehlendem Respekt meinerseits. Ich will ja nicht, dass er seine alltäglichen Erledigungen und Hobbies für mich umkrempelt.
Das kann er nur machen, wenn du unklar bist. Mit 21 ist das für dich auch keine einfache Sache, dich klar zu positionieren, aber du bist selbst Vater!
Bei uns ist es egal, ob klar oder unklar, es läuft auf das selbe hinaus, da es schlicht und einfach eine Meinungsverschiedenheit gibt.
Ich habe dir oben noch anhand eines Beispiels geantwortet.
Habe es gerade gelesen, interessante Story und schön, dass du dadurch stärker geworden bist. Mich würde deine Meinung noch zu folgender Frage interessieren, da du ja eben selber Kinder hast:
Fändest du es verwerflich, wenn es von meiner Seite aus nur noch sehr wenig Kontakt geben würde? Ich würde ihn nicht ignorieren, aber ich würde mich seltener melden, auch, wenn das schwer ist, da er quasi darauf besteht, sich häufiger bei ihm zu melden. Wäre das von mir egoistisch oder so deiner Meinung nach? Ich würde mich einfach freier fühlen, wenn ich wüsste, dass ich keinen Kontakt zu ihm haben muss
Das ist nicht einfach eine Story! Ich habe damit einen Vergleich von meinem Therapeuten zu deinem Vater gezogen.
Deine Frage möchte ich nicht beantworten, denn es wäre meine Bewertung und ich bin nicht deine Mutti, die dir etwas erlauben kann/darf/will :)
Ich verstehe aber diesen Bedarf an "Legitimation". Deshalb ist Therapie so wichtig, damit du lernst, für deine Entscheidungen eben auch die Verantwortung zu übernehmen und damit mit deinem Gewissen im Reinen zu sein. Alternativ helfen da auch gerne Pfarrer, ernsthaft!
Nur grundsätzlich:
Du bist erwachsen und hast die Verantwortung für dich und dein Leben, zu dem bereits ein Kind gehört! Um dem gerecht zu werden, musst du lernen, gut für dich zu sorgen, denn nur wenn es dir gut geht, geht es anderen auch gut mit dir!
Super, vielen Dank nochmal :) Sind einige Denkanstöße und Tipps dabei, die ich mitnehmen kann.
du musst ihn verstehen, dass er eine Familie komplett allein erzieht. Es ist nichr toll, wenn jemand dir nicht zuhört und ausrastet. Aber er ist dein Vater. Vielleicht wird er es ja irgendwann bereuen. Ich würd ihn trotzdem anrufen, zu ihm gehen, fragen, ob alles in ordnung ist. Das braucht er.
Ja, ich denke so wie du. Ich finde nur, es gehört gegenseitiger Respekt dazu. Ich würde ihn ja auch gerne öfter anrufen etc., ich mache es ja auch, bereue es aber dann manchmal hinterher weil er mich dann irgendwie schlecht fühlen lässt (eben durchs ständige Kritisieren usw.)
Jaa versteh dich :/ wünsche dir viel glück mit deinem vater
Danke für deine Antwort. Ich bin ein eher konfliktscheuer Mensch, weswegen ich ihm nur meine Meinung sage, wenn es wirklich sein muss. Themen wie Psycholgie etc. sind denke ich einfach nicht seine Welt und die nimmt er dementsprechend auch nicht ernst bzw. belächelt das eher. Wenn ich also im seltenen Fall mit ihm darüber rede, kommt als Antwort, dass ich einfach zu viel Zeit zum Nachdenken hatte und nicht so kindisch sein soll.