Synthetische Evolutionstheorie Entstehung Arten?

2 Antworten

Ohne den Anspruch zu erheben, hier wissenschaftlich fehlerfrei argumentieren zu können, schildere ich, wie ich die Artenbildung verstehe.

Für diese Einteilung ist ja die Taxonomie zuständig.

Im Grunde ist diese aber keine exakte Wissenschaft. Artenbildung ist immer eine Frage der Perspektive.

Jedes Lebewesen lässt sich zurück bis zum ersten Einzeller in eine Ahnenreihe stellen. Eine kontinuierliche Abfolge von Generationen, in denen immer wieder allergeringste Variationen stattfanden. Artendefinition ist quasi eine Quantifizierung dieser minimalen Veränderungen.

Der Unterschied zwischen Generation 1 und 2 ist so marginal, dass er kaum darstellbar ist. Erst bei einer Betrachtung von Generation 1 mit Generation 10.000 sind Unterschiede hinreichend groß, dass in der Betrachtung vielleicht von unterschiedlichen Arten gesprochen werden kann. Ob Generation 5.000 im Verhältnis zu Generation 1 oder Generation 10.000 als eine von diesen zu unterscheidende Art betrachtet werden kann, ist wieder eine eigene Frage.

Es ist also nicht so, dass Evolution seinen Lauf nimmt und auf einmal eine neue Art da ist. Sie kann immer nur im Abstand zu Generation x definiert werden. Es gehören also immer zwei Vertreter dazu, eine Art zu definieren. Eben als Unterschied zwischen diesen beiden.

Welche Vertreter der Evolutionslinie als verglichen werden, ist völlig willkürlich. Meist allein dadurch bestimmt, was an bewertbarem Material überhaupt zur Verfügung steht.

Ein wesentlicher Unterschied zu den Möglichkeiten zu Zeiten Darwins liegt darin, dass nicht nur fossile Belege zur Verfügung stehen, sondern über die Molekulargenetik völlig andere Einblicke und Nutzbarkeiten von bewertbarem Material bestehen.

Ein "Art" ist immer ein Fenster, durch das man auf den Entwicklungsstrang schaut.

Die synthetische Evolutionstheorie greift Darwins Selektionstheorie auf und erweitert sie um neue Befunde aus den unterschiedlichsten Disziplinen der Biologie, u. a. der klassischen Formalgenetik (Mendelsche Regeln), der Populationsgenetik, der Molekularbiologie und Biochemie, der Ökologie und der Verhaltensforschung (z. B. Soziobiologie, also der Wissenschaft, die sich mit der Evolution des Sozialverhaltens beschäftigt). Es handelt sich somit um eine Zusammenführung (Synthese) der Erkenntnisse aus ganz verschiedenen Bereichen der Biologie, daher auch ihr Name. Manchmal wird synonym auch der Begriff Neo-Darwinismus gebraucht, andere grenzen den Neo-Darwinismus von der synthetischen Evolutionstheorie jedoch ab.

Wenn du die Entstehung neuer Arten aus Sicht der synthetischen Evolutionstheorie erklären sollst, musst du beschreiben, wie Variabilität zustande kommt (Mutation und Rekombination) und welche Auswirkungen die natürliche Selektion auf den Genpool hat. Dafür solltest du natürlich wissen, was der Genpool ist. Übrigens: obwohl die Population betrachtet wird, muss man sich immer klar sein, dass die Selektion letztendlich auf Ebene des Individuums geschieht! Ich versuche mal, es Schritt für Schritt zu erklären:

Die Population

Als Population bezeichnen wir eine Gemeinschaft von Individuen einer Art, die eine Fortpflanzungseinheit bilden. Das heißt, dass Individuen einer Population sich zumindest theoretisch nur mit Individuen derselben Population fortpflanzen, mit Individuen anderer Populationen jedoch nicht. In der Praxis ist aber eine Population kaum wirklich in sich geschlossen, meist findet durch Zu- und Abwanderungen aus bzw. in andere Populationen ein mehr oder weniger großer genetischer Austausch zwischen den Populationen statt. Das nennt man auch Genfluss.

Der Genpool

Wie du sicher weißt, sind es die Gene, die von einer Generation an die nächste vererbt werden (das wusste Darwin noch nicht). Ein Gen ist ein Abschnitt auf der DNA (bzw. einem Chromosom), das für eine Information codiert, z. B. die Aminosäurensequenz für ein Protein. Der Ort auf dem Chromosom, auf dem sich ein Gen (oder ein anderer genetischer Marker) befindet, wird Locus genannt. Gene können in verschiedenen Varianten vorliegen, die Allele genannt werden. Es kann z. B. von einem Haarfarbengen ein Allel für braunes Haar, eins für schwarzes, für blondes, für rotes Haar geben usw. Wie du wahrscheinlich auch weißt, haben die meisten Organismen einen doppelten (diploiden) Chromosomensatz, d. h. jedes Gen besitzt ein Individuum zwei Mal. Hat ein Individuum auf einem Locus zwei Mal dasselbe Allel (z. B. zwei Mal das Allel für rote Haare), ist dieser Locus homozygot. Sind die Allele verschieden (z. B. auf dem einen Chromosom das Allel für braunes und auf dem anderen das Allel für blondes Haar), ist der Locus heterozygot. Neue Allele entstehen durch Mutationen. Durch Rekombination werden die Allele außerdem in jeder Generation neu miteinander gemischt, ähnlich wie bei einem Kartenspiel die Karten vor Beginn einer neuen Runde neu verteilt werden.

Die Gesamtheit aller Allele einer Population ist der Genpool. Die Häufigkeit, mit der ein bestimmtes Allel in der Population vertreten ist, ist dessen Allelfrequenz. Sie wird als relativer Wert. angegeben. Eine Allelfrequenz von z. B. 0.3 bedeutet, dass der Anteil des Allels am Genpool 30 % beträgt. Summiert man die Allelfrewuenzen aller Allele auf, muss logischerweise 1.0 herauskommen. Wie groß der Anteil der heterozygoten Individuen in einer Population ist, wird durch den Heterozygotiegrad ausgedrückt.

Als genetische Variabilität einer Population bezeichnet man die Vielfalt der in einem Genpool vorhandenen Allele (allelic richness) und die Vielfalt der vorhandenen Genotypen (Anteil hetero- und homozygoter Individuen). Sie verursacht die phänotypische Variabilität. Sie bestimmt alzo z. B. welche verschiedenen Haarfarben es in einer Population gibt und wie viele Individuen rote, braune, blonde, schwarze usw. Haare haben.

Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht

Anfang des 20. Jahrhunderts haben Godfrey H. Hardy und Wilhelm Weinberg unabhängig voneinander ein mathematisches Modell erarbeitet, um Allel- und Genotypfrequenzen einer Population berechnen zu können. Sie gingen für ihre Berechnung von einer idealen Population aus. Das bedeutet:

  • die Population ist unendlich groß
  • es herrscht Panmixie (jedes Individuum kann sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit mit jedem anderen fortpflanzen)
  • jedes Allel hat den gleichen Überlebenswert, es gibt also keine Selektion
  • es gibt weder Zu- noch Abwanderung.

Das Hardy-Weinberg-Modell zeigt, dass sich in einer idealen Population innerhalb der Tochtergeneration ein stabiles Gleichgewicht der Allel- und Genotypfrequenzen einstellt, das nur von den Startbedingungen (Allelfrequenzen) der Parentalgeneration abhängt. Das heißt, dass sowohl die Allel- wie auch die Genotypfrequenzen ab der 1. Filialgeneration sich nicht mehr ändern. Diesen Gleichgewichtszustand bezeichnet man als Hardy-Weinberg-Gleichgewicht (HWE). In einer idealen Population würde sich der Genpool also für alle Zeiten nicht mehr ändern, folglich fände auch keine Evolution statt.

Der Genpool ändert sich ständig

In der Realität sind Populationen aber nicht ideal und der Genpool einer Population ändert sich ständig mit jeder Generation. Durch zufällige Mutationen werden dem Genpool neue Allele hinzugefügt, d. h. die Variabilität erhöht sich. Auch Individuen, die aus einer anderen Population einwandern, können neue Allele in den Genpool bringen und erhöhen die Variabilität. Auf der anderen Seite kann dem Genpool auch Variabilität verlorengehen, nämlich durch abwandernde Individuen und durch die natürliche Selektion.

Natürliche Selektion findet statt, weil der Überlebenswert der verschiedenen Allele eines Gens nicht gleich, sondern unterschiedlich groß ist. Manche Allele bewirken einen Überlebensvorteil, manche einen Überlebensnachteil, viele wirken sich auf den Überlebenserfolg neutral aus. Welche Allele von Vor- und welche von Nachteil sind, hängt von den jeweils herrschenden Umweltbedingungen ab, d. h. es überleben die Individuen am ehesten, die zufällig am besten an ihre Umgebung angepasst (adaptiert) sind (survival of the fittest). Stell dir z. B. vor, dass ein Allel kurzes Fell und ein anderes langes Fell bewirkt. In einer kalten Umgebung (z. B. in den borealen Nadelwäldern) werden die Individuen mit dem langen Fell einen Überlebensvorteil haben, weil das lange Fell sie gut schützt. Sie werden sich deshalb auch am erfolgreichsten fortpflanzen und die Allele für langes Fell an ihre Nachkommen vererben. Die Individuen mit kurzem Fell hingegen erfrieren und pflanzen sich nicht fort. Die natürliche Selektion bewirkt also, dass fürs Überleben vorteilhafte Allele bevorzugt (selektiert) werden und ihre Allelfrequenz zunimmt, während die Allelfrequenz der nachteiligen Allele abnimmt. Im Extremfall, wenn der Überlebenserfolg stark reduziert ist, verschwinden die nachteiligen Allele aus dem Genpool sogar vollständig.

Aber auch durch Zufall können Allele aus dem Genpool verschwinden, selbst dann, wenn sie eigentlich nicht nachteilig sind. Den Einfluss, den der Zufall auf den Genpool ausübt, nennt man genetische Drift. Stell dir z. B. vor, dass ein Tier mit langem Fell, dass ja eigentlich gut an seine kalte Umgebung angepasst ist, Opfer einer Schneelawine wird. Auch ein ungleiches Geschlechterverhältnis der Population kann bewirken, dass Allele verschwinden, weil nicht alle Individuen einen Fortpflanzungspartner finden und sich fortpflanzen können.

Die Isolation

Die natürliche Selektion allein führt noch nicht zur Entstehung neuer Arten. Damit sich aus einer Art zwei neue entwickeln können, muss noch ein anderer Faktor zur Wirkung kommen: die Population muss in zwei Teilpopulationen getrennt werden und es müssen Barrieren entstehen, die eine genetische Vermischung der beiden neuen Populationen miteinander verhindern. Es muss also zur Isolation der Populationen kommen. Durch die jeweils eigenständige Entwicklung können sich so im Lauf der Zeit Mechanismen ausbilden, die eine Vermischung dauerhaft verhindern, also auch dann, wenn der eigentliche Grund, der einst zur Isolation führte, weg fällt. Wenn zwischen den Populationen dauerhaft kein genetischer Austausch mehr möglich ist, haben sie sich in zwei verschiedene neue Arten getrennt. Man unterscheidet dabei zwischen vor der Befruchtung wirkenden (präzygotischen) und nach der Befruchtung wirkenden (postzygotischen) Isolationsmechanismen. Zu den präzygotischen Isolationsmechanismen gehört z. B. dass die Geschlechtsorgane nicht mehr zueinander passen oder die Chromosomensätze sich voneinander unterscheiden aber auch, dass sich das Fortpflanzungsverhalten unterscheidet (unterschiedliche Paarungszeit) oder dass sich arttypischecErkennungsmerkmale (z. B. Gesänge von Singvogelmännchen) so stark unterscheiden, dass man einander nicht mehr als zur gleichen Art gehörend erkennt. Postzygotische Isolationsmechanismen können z. B. sein, dass die Zygote sich nicht mehr einnisten kann oder dass der Embryo frühzeitig abstirbt.

Man kann zwischen drei verschiedenen Artbikdungsprozessen unterscheiden: allopatrisch (in getrennten Verbreitungsgebieten), sympatrisch (innerhalb eines gemeinsamen Verbreitungsgebiets) und parapatrisch (in aneinander angrenzenden Arealen). Aber das ist ein ganz anderes Thema. ;-)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig