Synthetische Evolution und Präziptintest?

1 Antwort

Die synthetische Evolutionstheorie ist eine Erweiterung der klassischen darwinistischen Evolutionstheorie. Sie erweitert Darwins Ausführungen zur Evolution durch natürliche Selektion, indem sie die Erkenntnisse aus den anderen Teildisziplinen der Biologie, z. B. der klassischen Mendel-Genetik(Vererbungslehre), der Populationsgenetik, der Molekularbiologie, der Ökologie und der Verhaltensforschung (Soziobiologie) sammelt und ineinander vereint. Davon leitet sich auch der Name ab, denn es handelt sich um eine Zusammenführung (Synthese) der verschiedenen Disziplinen zu "einem großen Ganzen".

Der Serum-Präzipitin-Test ist eine heute fast schon veraltet wirkende molekulariologische Methode, mit der sich die Abstammungstheorie (Deszendenztheorie) belegen und erweitern lässt. Denn die eine Evolutionstheorie von Darwin gibt es eigentlich nicht. In Wahrheit hat Darwin unter dem Begriff "Evolution" eine ganze Reihe von Theorien vereint, die sich thematisch alle mit den Fragen nach der Artentstehung beschäftigen. Die bekannteste ist sicher die Theorie von der Evolution durch natürliche Selektion. Die Deszendenztheorie besagt, dass alle heute lebenden (rezenten) Arten sich aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben. Mit anderen Worten: alle heute lebenden Arten sind miteinander verwandt und diese Verwandtschaftsverhältnisse lassen sich in einem Stammbaum des Lebens darstellen.

Darwin und seinen Zeitgenossen blieb zum Erstellen dieses Stammbaums nur die Möglichkeit, die Baupläne der rezenten Arten miteinander zu vergleichen und Verwandtschaftsgruppen durch gemeinsame abgeleitete Merkmale (Synapomorphien) zu begründen. Das ist manchmal nicht immer leicht, denn morphologische Merkmale können auch in die Irre führen, wenn nämlich in zwei Verwandtschaftslinien unabhängig voneinander als Anpassung an eine ähnliche ökologische Nische ganz ähnliche Merkmale entstanden sind. Man spricht dann von konvergenter Evolution und die Annahme, dass konvergente Merkmale von einem gemeinsamen Vorfahren stammen müssen (Homologie), führt zur Rekonstruktion von falschen Verwandtschaftsverhältnissen.

Die Molekularbiologie hat nun die Palette, mit der es möglich ist, die Verwandtschaftsverhältnisse zu untersuchen, deutlich erweitert und in vielen Fällen auch sehr viel einfacher gemacht.
Grundsätzlich gilt: je näher zwei Arten miteinander verwandt sind, umso ähnlicher sind sie einander. Denn je näher die Verwandtschaft ist, umso kürzer ist ja die Zeit, in der zwei Arten unabhängig voneinander evolviert sind und umso weniger Merkmalsunterschiede konnten sich anhäufen. Im Umkehrschluss sind die Unterschiede bei Arten, die nur entfernt miteinander verwandt sind, größer.

Beim Serum-Präzipitintest nutzt man dieses Prinzip aus. Untersucht werden die Blutserumproteine. Denn jede Art besitzt in ihrem Blut charakteristische Proteine. In einem Organismus einer fremden Art werden diese als "fremd" erkannt und es kommt zur Bildung von Antikörpern (ähnlich wie bei einer Immunreaktion auf ein Pathogen) gegen die fremden Proteine.
Wird nun z. B. Blutserum eines Menschen einem Kaninchen injiziert, bildet das Kaninchen nach einiger Zeit ganz spezifische Antikörper gegen die menschlichen Blutserumproteine aus. Diese Antikörper können aus dem Kaninchen nun gewonnen werden und man stellt daraus ein Testserum her.
Gibt man dieses Testserum nun zu einer Blutprobe eines Menschen, binden die Antikörper des Testserums an die Serumproteine im Menschenblut, sie verklumpen und werden ausgefällt. Gibt man das Testserum nun zu Blutproben von z. B. Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, kommt es auch hier zu einer Ausfällung der Blutbestandteile, denn die Blutserumproteine der Menschenaffen sind ja mit den menschlichen verwandt und jenen daher ähnlich. Je näher die Menschenaffenarten mit dem Menschen verwandt sind, umso größer sind die Übereinstimmungen mit den menschlichen Blutserumproteinen, weil ihre Aminosäuresequenz einander ähnlicher ist. Das bedeutet, dass zwei Arten umso näher miteinander verwandt sein müssen, je höher der Grad der Ausfällung ist. Der Test mit menschlichem Blut führt, welch Überraschung, zu einer Ausfällung von 100 % (logisch, denn Antikörper und Antigen (Serumproteine) passen ja exakt zueinander). Gibt man das Testserum zu Schimpansenblut, liegt die Ausfällung bei 85 %, bei Gorillablut bei 64 % und bei Orang-Utan-Blut bei 42 %.

Nun ist die Aminosäuresequenz eines Proteins bekanntlich abhängig von der DNA-Sequenz. Denn der in der DNA gespeicherte genetische Code wird bei der Proteinbiosynthese ja in RNA umgeschrieben (Transkription) und dann an den Ribosomen in die Aminosäuresequenz übersetzt (Translation). Das heißt also, dass die genetische Übereinstimmung der DNA-Sequenzen größer ist, wenn die Aminosäure-Sequenzen sich auch sehr ähnlich sind.
In jüngerer Zeit haben deshal die verschiedenen Methoden, mit denen man DNA-Sequenzen miteinander vergleichen kann, den Serum-Präzipitin-Test abgelöst. Im Fall unserer Menschenaffen haben Vergleiche der DNA-Sequenzen übrigens den Serum-Präzipitin-Test bestätigt, d. h. auch nach Auswertung der DNA-Vergleiche ist der Schimpanse der nächste Verwandte des Menschen. Demnach hat sich also der Orang-Utan schon recht früh von den anderen Menschenaffen getrennt. Danach erfolgte die Aufspaltung in die Gorilla-Linie einerseits und in die Mensch-Schimpansen-Linie andererseits. Und zuletzt trennten sich vor etwa 7 Mio. Jahren Menschen und Schimpansen voneinander.
Der Vergleich der DNA hat gegenüber dem Vergleich von Aminosäuresequenzen noch einen weiteren Vorteil: man kann damit auch "stumme" Mutationen identifizieren. Viele Mutationen sind synonym, d. h., ein Austausch eines Nukleotids verändert nicht die Aminosäure, die an dieser Stelle in ein Protein eingebaut wird. Wie du sicher weißt, gibt es 20 kanonische Aminosäuren, also Aminosäuren, die genetisch codiert werden und aus denen die Proteine aufgebaut werden. Der genetische Code ist ein Triplett-Code, d. h. eine Abfolge von 3 DNA-Nukleotiden (von denen es vier Stück gibt: A, G, T und C) codiert für eine Aminosäure. Somit gibt es insgesamt 64 mögliche Triplett-Kombinationen, aber eben nur 20 Aminosäuren. Deshalb werden manche Aminosäuren von mehreren Tripletts codiert, die sich häufig nur in der letzten Nukleotidposition unterscheiden. Eine Mutation an dieser Stelle wird dann nur sichtbar, wenn man die DNA vergleicht. Würde man sich nur die Aminosäuresequenzen anschauen, blieben solche Mutationen (und damit Belege für eine eigenständige Evolution) unsichtbar.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Black59 
Fragesteller
 09.06.2021, 00:30

Vielen danke das hat echt weiter geholfen !

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