Man sagt, wenn man schneller als Licht reisen würde, dann könnte man in die Vergangenheit reisen - warum ist das so?

Wechselfreund  08.04.2022, 19:21

We ist "man"?

MuhaBier 
Fragesteller
 08.04.2022, 19:24

Die Menschheit

8 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo MuhaBier,

es gibt ein (englischsprachiges) Video zu dem Thema:

https://youtu.be/an0M-wcHw5A

Ich will allerdings auch mit eigenen Worten zu erklären suchen.

Wir müssen uns zunächst klar machen, dass Fortbewegung relativ ist. Bewegt sich relativ zu einem Körper (z.B. Raumfahrzeug) B bei x = 0 ein zweites Raumfahrzeug B' mit konstanter 1D-Geschwindigkeit*) v, so bewegt sich B relativ zu B' mit −v.

GALILEIs Relativitätsprinzip (RP) sagt aus, dass ein an B gebundenes (raumzeitliches) Koordinatensystem Σ und ein an B' gebundes Koordinatensystem Σ' physikalisch völlig gleichwertig sind. Man kann also gar nicht verbindlich sagen, welches Raumfahrzeug nun als stationär gelten soll.

Damit ist allerdings auch die "Gleichortigkeit" zweier nacheinander stattfindender Ereignisse relativ, d.h., zwei in Σ gleichortige Ereignisse E₁ und E₂ (Δx := x₂ − x₁ = 0) haben in Σ' den räumlichen Abstand Δx' = −v∙Δt', wobei Δt' der zeitliche Abstand in Σ' ist.

Umgekehrt ist das natürlich genauso.

Daher müssen wir das Konzept der Gleichortigkeit verallgemeinern zu der Eigenschaft, zeitartig getrennt zu sein.

Analog dazu verallgemeinern wir auch das Konzept der Gleichzeitigkeit zweier räumlich getrennter Ereignisse zu der Eigenschaft, raumartig getrennt zu sein. So bezeichnen wir Ereignisse, für die es ein Koordinatensystem gibt, in dem sie an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig stattfinden. In der NEWTONschen Mechanik (NM) erscheint die letztere Verallgemeinerung überflüssig, da sie Ereignisse als nicht gleichzeitig – also zeitartig getrennt – oder gleichzeitig beschreibt, unabhängig von der Wahl des Bezugssystems.

Das könnte etwa die Aussendung je eines Signals von zwei Raumfahrzeugen A und C sein, die in einer Linie mit B liegen, A bei x = −d und C bei x = +d.

Das Lichttempo c

Wir haben Σ und Σ' als physikalisch gleichwertig bezeichnet; dies heißt, dass unabhängig davon, in welchem der beiden Koordinatensysteme wir physikalischen Größen ausdrücken, ihre grundlegenden Beziehungen (nichts anderes sind Naturgesetze) dieselben sind.

Zu denen gehören freilich auch MAXWELLs Grundgleichungen der Elektrodynamik und damit auch seine elektromagnetische Wellengleichung mitsamt der Naturkonstanten c ≈ 3×10⁸ m⁄s, und das bedeutet, dass wir in Σ wie in Σ' dasselbe Lichttempo ermitteln müssen.

Im Folgenden werden wir Natürliche Einheiten verwenden, bei denen Strecken durch Zeitspannen und Tempos durch %, ‰, ppm (Millionstel) und ppb (Milliardstel) von c ausdrücken. Ein 30cm- Schullineal ist etwa 1ns lang, meine Gehgeschwindigkeit liegt etwas über 4ppb.

Relativität der Gleichzeitigkeit

Hierfür wollen wir ein Zahlenbeispiel verwenden.

Wir stellen uns vor, U sei Borduhr eines Raumfahrzeugs B, das bei x = 0 auf einer Linie mit zwei anderen Raumfahrzeugen A bei x = −d und C bei x = d liegt. Dabei kann z.B. d = 2 Lichtminuten sein.

U' sei die Borduhr eines Raumfahrzeugs B', das nacheinander A, B und C passiert, mit v = 0,6 – in Σ ausgedrückt. In Σ' ausgedrückt passieren A, B und C als Konvoi nacheinander B'.

Alle Raumfahrzeuge stehen in Sicht- und Funkkontakt. Wir interessieren uns für zwei Signale von A und C, die B und B' in dem Moment t₀ bzw. t'₀ erreichen, in dem sie aneinander vorbei kommen: Wann wurden sie abgesandt?

In Σ ist die Sache klar: beide Signale wurden zur Zeit t₀ − d⁄c abgeschickt, respektive t₀ − d, wenn man Natürliche Einheiten verwendet. Das heißt, bei Empfang sind beide Signale in unserem Beispiel 2 Minuten alt. Von B' aus wird C weiter entfernt aussehen als A, ein Effekt, den man Aberration nennt. Man kennt das vom Fahrradfahrem im Regen: Eigentlich senkrecht fallender Regen kommt für den Fahrer tendenziell mehr von vorn.

Mit Σ' als Bezugssystem müssen wir davon ausgehen, dass C zur Zeit der Absendung seines Signals um den Faktor

(2) K² := (1 + v)/(1 − v) 

– was bei v = 0,6 gleich 4 ist – weiter von B entfernt war als A. Dass C weiter entfernt aussieht, ist nach dieser Definition also nicht Aberration, sondern ein Retardierungseffekt ("retardiert" heißt so viel wie "verzögert", weil Licht mit Verzögerung eintrifft und man das Raumfahrzeug daher woanders sieht als es ist).

Genauer: Die Entfernung von A zum Zeitpunkt der Absendung beträgt d⁄K (in unserem Zahlenbeispiel also 1 Lichtminute, die von C beträgt d∙K, in unserem Zahlenbeispiel also 4 Lichtminuten. Dementsprechend unterschiedlich sind in Σ' daher die Zeitpunkte, nämlich t'C = t'₀ − d∙K bzw. t'A = t'₀ − d⁄K, in unserem Beispiel also t'C = t'₀ − 4 min, t'A = t₀ − 1 min.

Bild zum Beitrag

Abb. 1: Die Relativität der Gleichzeitigkeit in einem Diagramm dargestellt. Die dünne blaue Gerade durch EA und EC stellt die x-Achse zur Zeit tA = tC dar, die dünne rote Gerade durch EC die x'-Achse zur Zeit t'C und die dünne rote Grade durch EA die x'-Achse zur Zeit t'A.

Würden wir nun ein hypothetisches fünftes Raumfahrzeug B", das mit −v an C, B und A vorbeizieht und B ebenfalls zur Zeit t₀ passiert, als ruhend ansehen, kämen wir auf t"A = t"₀ − K∙d und t"C = t"₀ − d⁄K, d.h., EA würde 3min eher stattfinden als EC.

Insgesamt bedeutet dies, dass raumartig getrennte Ereignisse keine koordinatenunabhängige zeitliche Reihenfolge haben. Könnte man sich überlichtschnell bewegen, so würde man sich in manchem Koordinatensystem zwangsläufig auch in die (relative) Vergangenheit bewegen. So ließe sich auf diesem Weg sogar ein sog. Antitelefon konstruieren, das "über Bande" Nachrichten in die (absolute) Vergangenheit schickt.

_______

*) Geschwindigkeit im engeren physikalischen Sinne (engl. velocity) ist eine Vektorgröße, eine Größe mit Richtung. Sie lässt sich in maximal 3 Komponenten zerlegen: v› = (vx | vy | vz). Was wir im Alltag Geschwindigkeit nennen, ist eigentlich nur deren Betrag, das Tempo (engl. speed) ⎜v⎟ = √{vx² + vy² + vz²}.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
 - (Physik, Wissenschaft, Naturwissenschaft)
SlowPhil  10.04.2022, 18:55

Vielen Dank für den Stern, auch wenn der Text noch gar nicht fertig ist.

0

Ja, das ist richtig. Jede Methode, irgendetwas mit Überlichtgeschwindigkeit zu ver­senden, läßt sich mit ein paar weiteren Schritten auch dazu umbauen, dieses Irgend­etwas in die eigene Vergangenheit zu schicken. Das geht sowohl mit materiellen Ob­jek­ten (wie z.B. einem Austronauten) als auch mit jeder Art von Informations­über­tra­gung. Das wirft natürlich alle die bekannten Paradoxien von Zeitreisen auf.

Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es sowieso keine Möglichkeiten für über­licht­schnel­len Transport. Falls doch (die ART läßt da ein paar exotische Hintertürchen of­fen) wird vermutlich irgendeine noch unbekannte Physik die Paradoxien er­schla­gen und das Kausalitätsprinzip retten. Zum Beispiel könnte überlichtschneller Trans­port mit ir­gend­wel­chen komischen Zusatzeffekten verknüpft sein, die eine Mani­pu­la­tion der ei­ge­nen Vergangenheit ausschließen.

Falls u Dich wirklich dafür interessierst, wie überlichtschnelles Reisen und Zeitrei­sen miteinander zusammenhängen und warum das eine immer zum anderen um­ge­baut werden kann, dann müßtest Du zumindest Minkowski-Diagramme lesen kön­nen. Wenn Du diese Voraussetzng mitbringst, dann kannst Du es z.B. auf Wikipedia oder auch bei Youtube genauer erfahren, natürlich auf Englisch.

Im Kern ist das Argument das folgende: Ein sich überlichtschnell bewegendes Ob­jekt oder Signal durchläuft eine Folge von Raumzeitpunkten, die raumartig getrennt sind. Für raumartig getrennte Punkte gibt es aber keine Einigkeit zwischen ver­schie­de­nen Be­ob­ach­tern, welche früher und welche später sind. Daher kann man leicht Be­zugs­syste­me finden, in denen das, was der überlichtschnell Reisende später macht, als frü­her ein­ge­schätzt wird. Damit hat man das Paradox, und man muß es nur noch wei­ter aus­bau­en, daß es in anderen Bezugssysteme sichtbar wird.

Das stimmt allerdings nur bedingt. Nach Einstein ist es so, dass bewegte Uhren langsamer gehen, und bei Lichtgeschwindigkeit stehen bleiben. Würde man nun Überlichtgeschwindigkeit einsetzten, würd man auf eine Imaginäre Zeiten stoßen. Manche interpretieren das als "in die Vergangenheit reisen". Pyhsikalisch gesehen, gilt aber die Formel nur bis zur Lichtgeschwindigkeit, da die komplette Relativitätstheorie darauf basiert, dass alle Beobachter Licht gleich schnell wahrnehmen. Man würde also die Theorie auf einen weiteren Bereich anwenden, für den sie gar keine Aussagekraft hat. Was ein nettes Philosphischen Spielchen ist, aber nicht Physik.

Allerdings gibt es physikalische Interpretationen von "in die Vergangenheit reisen" was man darunter auch immer Verstehen mag. Man kann nämlich Antiteilchen, auch als Teilchen, die rückwärts in der Zeit laufen betrachten.

ist nicht so, weil man das nicht kann.

MuhaBier 
Fragesteller
 08.04.2022, 19:24

Aber wenn man es könnte

0
hologence  08.04.2022, 19:34
@MuhaBier

die Natur funktioniert als Ganzes oder gar nicht. Das hypothetische Ändern von Teilen führt sofort zu Widersprüchen.

1

Wenn man könnte - ja. Man kommt dann früher an, als man abgereist ist.

SlowPhil  09.04.2022, 08:01

Nur, wenn man die Richtung ändert.

0