Lebensgefühl der DDR Bürger

11 Antworten

Ich war damals 22, Student und voller Zuversicht. Meine bis dahin so überschaubare Zukunft in der DDR schillerte plötzlich so verheißungsvoll in ganz neuen Farben. Ich verliebte mich gerade in meine spätere Frau und wohl auch deshalb erlebte ich alles so grell und intensiv. Im Sommer '89 kam Dirty Dancing in die ostdeutschen Kinos und der Film traf den Nerv jener Zeit. Es passte einfach alles. Time of my life. Mit dem Fall der Mauer im Herbst ergaben sich bis dahin ungeahnte Möglichkeiten. Aus einstigen Träumen wurden Perspektiven. Alles schien möglich. Ich spürte das Leben damals als eine Art Feuerwerk, das in mir zündete und zu immer neuen Höhepunkten kulminierte.

So war das damals. So war die Gefühlslage jedenfalls bei mir.

Inzwischen bin ich wieder Single und manche Träume von einst mussten der Realität von heute weichen. Auch wenn dieses Lebensgefühl jener Zeit mit den Jahren verlorenging, bin ich unendlich dankbar für das Erlebte.

Gelegentlich komme ich an die Orte von damals, spüre den alten Zeiten nach und bin dann für einen Moment wieder drin in diesem irren Gefühl. Auch wenn meine Jugend eigentlich Vergangenheit ist, damit hole ich sie mir für diesen Moment zurück.

Liebe Grüße Volker K.

Unbestreitbarer Vorteil heute gegenüber damals: Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, staatliches Handeln gerichtlich kontrollieren u. ggf. korrigieren zu lassen (über Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- und Verfassungsgerichte - sowas gab es in der DDR nicht).

Unbestreitbarer Vorteil damals gegenüber heute: Es gab nur in verschwindend geringem Maße die Möglichkeit, dass Leute auf Kosten anderer - insbesondere durch deren Ausbeutung - reich werden konnten.

Es ist für einen "Wessi" kaum vorstellbar, dass sich ein "Ossi" in der DDR wohlgefühlt hat. Es ist auch kaum in ein paar Sätzen zu beantworten. Ich möchte deshalb mal ein Beispiel herausgreifen. Eine existenzielle Angst für die Menschen in der DDR gab es nicht, weil in der Verfassung der DDR das Recht auf Arbeit festgeschrieben stand. Im Grundgesetz der BRD wird man so eine Formulierung vergeblich suchen. Für mich ist es eines der wichtigsten Menschenrechte, welches ich verloren habe.

Claud18  07.11.2012, 12:01

Das Recht auf Arbeit hast du jetzt auch, aber du kannst davon nicht mehr leben (400.- €- und 1-€-Jobs gibt es, gerne auch mit unbezahlter Überstundenarbeit). Es müsste eher das Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen festgeschrieben werden - ohne Schikanen wie zahlreiche Bewerbungen für die Firmen-Papierkörbe.

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semmel5mars  07.11.2012, 13:43
@Claud18

... in welchem Paragraph des Grundgesetzes ist dieses Recht verankert ? Dieses Recht gibt es im Grundgesetz nicht !

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BigTumbler  07.11.2012, 23:42
@semmel5mars

semmel5mars - claud hat hier schon mehrfach sein/ihr Unwissen demonstriert!

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Das Lebensgefühl damals ließ eines vermissen, von dem man jetzt im Überfluss hat und das viele Menschen krank macht - Existenzangst. Angst vor dem sozialen Abstieg, vor Arbeitslosigkeit, vor sozialer Ausgrenzung, weil man materiell nicht mehr mithalten kann. waren unbekannt.

Einige würden wohl gerne auf die eine oder andere "Segnung" der Konsumgesellschaft verzichten, die sie mit Hartz IV sowieso nicht in Anspruch nehmen können, wenn sie sich keine Sorgen mehr um ihren Arbeitsplatz, ihren Ausbildungsplatz, um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben machen müssten.

Von Vorteil jetzt ist natürlich die Möglichkeit, frei und relativ unbehelligt seine Meinung sagen zu können, so sie denn nicht am Arbeitsplatz und gegenteilig zum Chef geäußert wird. Da spielt es auch keine Rolle, wenn diese frei geäußerte Meinung kein Aas interessiert. Einige vermissen trotzdem die Möglichkeit aus DDR-Zeiten, seinen Chef ein A...loch nennen zu können, ohne gleich den Job und damit die Existenz zu verlieren.

Ein Leben frei von existenziellen Ängsten hatte eben auch etwas.

2012infrage  07.11.2012, 14:33

Wenn man allerdings politisch verquer wa hat man dann doch noch ein paar Sorgen mehr als nur die Sorge um den Arbeitsplatz gehabt.

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Wie Du siehst, "kleintimon", hast du mit deiner Frage ein bis heute, und ich denke bis in weite Zukunft, kontroverses Thema losgetreten. Dein Interesse, resp. Frage kann so einfach nicht beantwortet werden, da es zu persönlich ist. Jeder Mensch fühlt in einer ähnlichen Situation unterschiedlich. Es ist schier unmöglich das Lebensgefühl von damals ca. 16 Millionen Menschen auf einen Nenner zu bringen. Oder versuch doch einmal eure Klasse zu einem Thema zu verallgemeinern. Keine Chance, dazu gibt es zu viele einzelne Meinungen, die von vielen Faktoren abhängen. So auch die Einstellung in der ehem. DDR.

Da du aber mit meiner Antwort auch nicht weiterkommst, empfehle ich dir, dich mit entsprechender Literatur zu beschäftigen. Hhm, nicht mehr viel Zeit dazu? O.K.

Da würde ich dir gern ein Taschenbuch empfehlen: "Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus", von Friedrich Christian Delius. Hier ein kleiner Auszug aus einer Rezession von H.Mattias: "...Paul Gompitz ist ein "abgestürzter Intellektueller", dem die Akademikerkarriere in der DDR verwehrt blieb, weil er den Militärdienst verweigerte. Ein großer Widerstandskämpfer ist er deshalb aber nicht. Es geht ihm ja auch ganz gut in der DDR. Er arbeitet in den Sommermonaten als Kellner in verschiedenen Orten an der Ostsee und verdient dabei so gut, dass er sich im Winter ausruhen und dem Leben mit seiner Freundin Helga widmen kann. Doch materieller Wohlstand alleine kann ihm seinen Wunsch, einmal in den Westen und insbesondere nach Syrakus zu reisen, nicht austreiben. Nachdem er den Entschluss gefasst hat, seine Reisepläne zu verwirklichen, vergehen volle sieben Jahre. Die Planung seines illegalen Grenzübertritts ist langwierig; das Beschaffen eines Bootes, das Einfärben des Segels (es muss dunkelfarbig sein, damit es während der nächtlichen Flucht nicht sofort entdeckt wird), das Streichen des Masts - all das sind kleine Kunststücke der Täuschung, die sorgfältige Überlegung erfordern. Die totalitäre Überwachung der DDR-Bürger wird so deutlich genug ins Bild gerückt. Dass es für den Helden trotzdem nie in Frage kommt, der DDR dauerhaft den Rücken zu kehren, wird manche selbstgerechte Wessis vielleicht stören. Es ist aber menschlich und psychologisch überzeugend und zeigt, dass auch in einem totalitären Staat Gefühle wie Heimatverbundenheit existieren; und dass auch Leute, die keine lautstarken Systemkritiker waren, in kleinen Gesten ihre Freiheit und Selbstbestimmung zu affirmieren versuchten. So wie sein Held ist auch das Buch: eine kleine, ruhige, unaufgeregte, dabei aber umso eindringlichere Erzählung, die dazu auch noch spannend zu lesen ist...."

Ich bin selbst in der DDR gross geworden und habe ähnlich Erfahrungen machen müssen wie der "Romanheld". Da dieses Buch sehr realistisch geschrieben ist, habe ich es dir empfohlen. Möglicherweisse musst du es auch zwei mal lesen, aber ich garantiere dir einen ziemlich guten Einblick in die Lebensweisen und das Denkverhalten in der ehemaligen DDR.

Schreib mir doch bitte deine Erfahrungen mit dem Aufsatz und die Reaktionen deiner Mitschüler und Lehrpersonen dazu.

LG Ramon

BigTumbler  07.11.2012, 23:41

ramon - EIN Sujet EINES Buch EINES Autoren, der nicht mal selbst aus der DDR kommt, als"sehr realistisch" zu bezeichnen, zeugt von sehr viel Selbstvertrauen!

Es könnten ja auch die Phantasien eines v. Däniken über Landungen von Aliens auf der Erde als "stark realistisch" bezeichnet werden.

Ich fürchte nur, dass ich dann in der Klapse lande!

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ramon46  25.11.2012, 19:27
@BigTumbler

Hallo BigTumbler

Danke erst einmal für ihren Beitrag. Bezüglich des Selbstvertrauen, würde mich interessieren wie sie das gemeint haben. Zu dem Buch, kann ich nur wiederholt bestätigen, es ist ausgezeichnet geschrieben und absolut realistisch. Ich kann es ihnen nur empfehlen, zumal es nach einer wahren Begebenheit geschrieben wurde.

Viele Grüsse

ramon

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