Kritik am Doppelweg (Artusroman)?

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Wenn ein Aufsatz nicht sofort verständlich ist, ist eine Annäherung durch nähere Beschäftigung mit der Thematik möglich. Dafür bieten sich Einführungen zum mittelalterlichen Artusroman oder speziell zu den genannten Dichtungen an.

Der „Doppelweg“ oder der „doppelte Cursus/Kursus“ ist 1948 durch Hugo Kuhn in einem Aufsatz zum „Erec“ als Beschreibung des Aufbaus eingeführt worden und zu einem wichtigen, populären und einflussreichen Deutungsansatz in der Germanistik geworden. Eine bestimmte Erzählstruktur ist danach zu bemerken, hat eine große Bedeutung und gilt als typisch für diese literarische Gattung:

Der Roman besteht danach aus zwei Teilen mit einem gemeinsamen Mittelpunkt (der Artushof), die bis in Einzelheiten auf Korrespondenzen (Entsprechungen) und Oppositionen (Entgegensetzungen) angelegt sind, sich dabei relativieren und sich gegenseitig erhellen.

Erster Weg: Ein Ritter gerät in eine Krise und einen Konflikt mit seiner Umwelt (ist noch ohne großen Namen und Bedeutung oder ein Zustand der Schmach und Schande tritt ein), zieht vom Hof zu Taten aus (âventiure), gewinnt durch ritterliche Leistungen Ruhm und eine schöne Dame als Partnerin (Freundin, Geliebte, Ehefrau), kehrt zurück und erhält Anerkennung.

Zweiter Weg: Durch einen Fehler, ein Beschuldigung, eine Schulderkenntnis tritt wieder eine Krise/ein Konflikt ein. Der Ritter zieht erneut los, gewinnt durch weitere ritterliche Taten und einen Lernprozess sein gesellschaftliches Ansehen und die Zuneigung der Dame zurück (Rehabilitation und Integration) und kann das Verlorene nun nach Erreichen einer höheren Daseinsstufe als dauerhaften Besitz genießen.

Es gibt zwei Reihen von Abenteuern. Der Artusritter erlebt eine ähnliche Situation zweimal hintereinander, wobei sie sich steigert und die Bewältigung einen gelungenen Wandlungsprozess zeigt. Eine Balance zwischen individueller Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen Normansprüchen ist zu erreichen. Wichtige Ziele sind Ehre (êre) und Liebe (minne). Das individuelle Glück soll in eine übergreifende Ordnung/Gemeinschaft einbezogen werden.

Erec wird gedemütigt, weil auf einem Spazierritt mit der Königin der Zwerg des Ritters Iders eine Hofdame und ihn mit einer Peitsche schlägt (entehrend). Erec besteht Abenteuer, gewinnt ein Turnier und die Liebe der schönen Enite. Nach der Heirat gibt er sich ganz der Liebe und seinen Begierden hin, verbringt volle Tage im Bett und vernachlässigt seine Pflichten als Ritter und Herrscher. Erec erfährt dann von Klagen des Hofes über seine Bequemlichkeit und Trägheit, bricht heimlich zu neuen Abenteurern auf, bewährt sich und findet zu einem richtigen Maß als vorbildlicher Ritter, bei dem Liebe und gesellschaftliche Verantwortung in Einklang gebracht sind. Die Gliederung mit einem Doppelweg wirkt einleuchtend.

Der Doppelweg und Doppelungen werden in Deutungen in unterschiedlich starkem Ausmaß als sinnstiftendes Merkmal der klassischen Artusromane gesehen. Eine Kritik kann sich darauf richten, diesen Interpretationsansatz für zu schematisch und dogmatisch zu halten und die Romane nicht von vornherein in dieser Betrachtungsweise zu lesen. Die Kritik in dem Aufsatz enthält im Einzelnen folgende Einwände:

1) Unklarheit, was genau unter Doppelweg zu verstehen ist (Ausmaß der in diesem Konzept enthaltenen Doppelungen)

2) Zweifel, ob und welche genau unterscheidbaren Merkmale (distinkte Charakteristika) einer Makrostruktur (Aufbau der Erzählung im Großen) zu tragenden Bestandteilen (Konstituenten) und zugleich zu kennzeichnenden Zutaten (Ingredientien) einer Gattung erhoben werden können (Hartmann von Aue hat den Stoff aus den Versromanen „Erec et Enide“ und „Yvain ou Le Chevalier au lion“ des französischen Dichters Chrétien de Troyes genommen und es gibt noch weitere Werke)

3) Lektüre aus den Quellen, die für alle Beobachtungen offen ist, hat Vorrang, die Gliederung mit dem Doppelweg ist nicht plausibel

4) Ein Schema mit fester Seinsordnung (Ontologisierung, also Festschreibung von Wesenseigenschaften) und ein Strukturmechanismus übergehen einerseits Ähnlichkeiten außerhalb der Artusepik, unterschlagen andererseits implizite Prämissen (unausgesprochene Voraussetzungen) ihrer eigenen Interpretation um strukturaler Abstraktion willen

Ganz einfach: Frau Schmid will sich in guter akademischer Tradition profilieren und tut diese mit einem Argument gegen einen "Pappkameraden". Sie tut so als hätte man das Doppelwegmodell, das für die Erklärung der Handlung des Artusromans durchaus geeignet ist, verabsolutiert - aber das stimmt nicht. Niemand hat irgendeine der von ihr zugespitzt formulierten Thesen jemals aufgestellt. Da kann sie natürlich leicht polemisieren. Aber: ein besseres Strukturmodell hat sie nicht, einen besseren Zugang bietet sie nicht. Insofern ist das alles eine windige Schaumschlägerei. Akademisch im Sinne von überflüssig.