Ist die Wehrpflicht in der Schweiz nicht ein verfassungswidriges Verfassungsrecht?

7 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Historisch gesehen war es so, dass die Wehrpflicht ja eingeführt wurde lange bevor Gleichberechtigung ein Thema war.

Als dann die Gleichberechtigung kam wurde aber darauf verzichtet die Wehrpflicht abzuschaffen.

Aus rechtlicher Sicht ist es so, dass die Wehrpflicht indem sie selbst Teil der Verfassung ist so gesehen von der Gleichberechtigung ausgenommen ist. Lex Specialis hat Vorrang gegenüber von Lex Generalis. Also als eigene Verfassungsbestimmung ist sie nicht vom Gleichberechtigungsgrundsatz betroffen.

Ich stimme dir aber zu dass die Wehrpflicht extrem sexistisch ist und abgeschafft werden sollte.

In Österreich ist es genau das gleiche.

Heutzutage wird es ja gerne mal gerechtfertigt mit "Ja aber Frauen verdienen ja weniger und kriegen dafür auch Kinder" was natürlich ein blödsinniges vorgeschobenes Argument ist, da auch Frauen die besser verdienen als Männer und die keine Kinder kriegen keinen Grundwehrdienst ableisten müssen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
saxboy 
Fragesteller
 04.08.2023, 10:52

Ach so, ist es dasselbe wie das man ein Freiheits und unversehrtheits Recht hat, dies aber durch eine Pandemie z.B. beschränkt werden kann? Steht in einem Gesundheitsartikel der Verfassung.

0
ManuelMeiste416  04.08.2023, 12:20
@saxboy

Kann man ungefähr vergleichen ja, auch da handelt es sich um verfassungsmäßig vorgegebene Rechte, die jedoch durch besondere Bestimmungen eingeschränkt werden.

Es gibt Rechte mit Ausnahmen, beispielsweise hat man ein Recht auf Eigentum, dass jedoch dadurch eingeschränkt wird dass man Steuern zahlen muss, Steuern sind ja ein starker Eingriff ins Eigentum. Oder es gibt das Recht auf Meinungsfreiheit, wo jedoch nationalsozialistische Wiederbetätigung ausgenommen und dennoch strafbar ist.

Bei der Wehrpflicht ist es so, dass diese defacto gegen die Gleichberechtigung verstößt und auch gegen das Verbot der Zwangsarbeit, welches auch in der Verfassung steht, aber eben bei beiden Bereichen eine Ausnahme dafür gemacht wird, finde ich persönlich fragwürdig, defacto ist es halt so.

Es gibt auch Verfassungsmäßig vorgesehene Rechte die ohne jede Ausnahme gelten, beispielsweise das Folterverbot kennt keine Ausnahmen.

Bei jenen Grundrechten wo es Ausnahmen gibt, kann man natürlich drüber streiten ob diese nicht ad absurdum geführt werden durch diese Ausnahmen, beispielsweise kann man sich fragen wozu man überhaupt Gleichberechtigung oder ein Zwangsarbeitsverbot braucht, wenn dann zB die Wehrpflicht eh ausgenommen werden kann.

Wobei man da entgegenhalten muss dass es besser ist wenn es zumindest diese Grundrechte mit Einschränkungen gibt, als wenn es diese gar nicht gibt.

Und im Falle der Wehrpflicht muss man ja sagen dass der weltweite Trend eh Richtung Abschaffung geht.

1

Ist in Deutschland ja auch so geregelt. Mein Rechtsempfinden sagt mir, dass es eigentlich gegen die Verfassung/Grundgesetz verstoßen müsste. Aber unser oberstes Gericht sah das damals anders: https://www.bverwg.de/de/260606B6B9.06.0

ManuelMeiste416  04.08.2023, 10:52

Wobei man hier aber dazu sagen muss, dass das ja ein Urteil von 2006 ist, das ist also 17 Jahre her.

Gut möglich, dass die Rechtfertigung hier heutzutage so nicht mehr durchgehen würde.

Insbesondere wenn man bedenkt dass heute kaum noch ein Mädchen bereits mit 18 oder 20 Jahren das erste Kind bekommt. Heutzutage ist 25 verhältnismäßig früh.

0

Die Wehrpflicht steht in Artikel 59

Art. 59 BV (Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft - 2020) (swissrights.ch)

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV)Art. 59 BV vom 2020

Art. 59 Militär- und Ersatzdienst

1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.

2 Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.

3 Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.

4 Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.

5 Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.

saxboy 
Fragesteller
 04.08.2023, 10:51

Habe ich nacher auch gemerkt und versuchte ich zu korrigieren.

0

Ein verfassungswidriges Verfassungsrecht?

Das ist natürlich ein irreführender Widerspruch. Aber ich verstehe natürlich, was Du meinst.

Ich kann jetzt nur von Deutschland sprechen. Hier gab es vor der Aussetzung der Wehrpflicht für Männer ja den Widerspruch zu einen ähnlichen Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Und das wurde hier ja ähnlich diskutiert und von führenden Verfassungsrchtlern infrage gestellt.

Ich bin kein Jurist. Aber auch ich denke hier wie Du. Ein Artikel zur Wehrpflicht dürfte im klarem Widerspruch zu einem Gleichheitsgrundsatz stehen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – interessiere mich sehr für politsche Themen
ManuelMeiste416  04.08.2023, 10:56

Sogesehen widerspricht sich die Verfassung hier, auf der einen Seite Wehrpflicht, und zwar nur für Männer, und an der anderen Stelle heißt es gleichberechtigung.

Defacto ist es aber so, dass die Wehrpflicht als sex specialis hier Vorrang vor der Gleichberechtigung als lex generalis hat.

Sprich es bedeutet, dass es jene Verfassungsbestimmungen die allgemeiner sind nachrangig sind.

In Deutschland war es auch ähnlich. Die Rechtslage war auch da eindeutig. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 - die dazu führte dass diese Verfassungsbestimmung junge Männer eh nicht mehr betrifft defacto - hatte sich die politische und gesellschaftliche Debatte darüber weitestgehend erübrigt. Theoretisch könnte man dieses "tote Recht" auch irgendwann abschaffen.

1

Auch in der Schweiz 👍🇨🇭👍 hat man als Bürger die Möglichkeit eine sogenannten Verfassungsklage beim Verfassungsgericht einzureichen.

Woher ich das weiß:Recherche
saxboy 
Fragesteller
 04.08.2023, 10:51

In der Schweiz gibt es aber kein Verfassungsgericht. Dafür könnte man eine Volksinitiative starten

1