Inkompatibilismus

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Inkompatibilismus ist allgemein die Auffassung, etwas sei nicht miteinander verträglich/vereinbar/zusammenpassend (lateinisch: pati = dulden, ertragen, aushalten, leiden; patibilis = erträglich; cum = mit, zusammen; die Vorsilbe in ist in diesem Fall eine Verneinung) Kompatibilismus ist die entgegengesetzte Auffassung, sei miteinander verträglich/vereinbar/zusammenpassend.

Das Begriffspaar Kompatibilismus und Inkompatibilismus wird in der Philosophie häufig im Zusammenhang mit dem Thema Willensfreiheit verwendet.

Kompatibilismus ist die Auffassung, die Determiniertheit und Existenz von Willensfreiheit (sowie Verantwortung, die Freiheit zur Voraussetzung hat, um sinnvoll behauptet werden zu können) für miteinander vereinbar hält.

Inkompatibilismus ist die Auffassung, die Determiniertheit und Existenz von Willensfreiheit für nicht miteinander vereinbar hält.

Inkompatibilisten vertreten also den Standpunkt, daß es nicht sowohl Determiniertheit als auch Existenz von Willensfreiheit geben kann, sondern sich dies gegenseitig ausschließt. In einer determinierten Welt ist nach ihrer Überzeugung die Existenz von Willensfreiheit unmöglich.

Kompatibilisten und Imkompatibilisten halten tatsächlich allerdings nicht unbedingt dieselben Phänomene für miteinander vereinbar bzw. unvereinbar. Daher ist bei näheren Untersuchung auch zu beachten, welche Bedeutung bei einem philosophischen Standpunkt die zentralen Begriffe genau haben.

Determiertheit (die Auffassung vom Vorhandensein von Determiertheit wird Determinismus genannt) meint, wenn sie Willensfreiheit gegenüber gestellt wird, üblicherweise nicht nur, etwas sei irgendwie bestimmt (determiert), sondern es sei auf völlig notwendige Weise bestimmt (determiniert in dieser Bedeutung kann necessiert genannt werden; lateinisch necesse est = es ist notwendig) und bei einem Zustand zu einem Zeitpunkt könne bei der Ausgangslage unter den gegebenen Bedingungen/Umständen und vorliegenden Gesetzmäßigkeiten nur ein einziger Zustand folgen. Wenn universale Determiertheit angenommen wird, heißt dies, der gesamte Weltlauf sei durch Anfangsbedingungen und Naturgesetze ein für alle Mal alternativlos festgelegt. Damit gibt es keine offene Zukunft in der Hinsicht, was sich ereignet (nur die beschränkte menschliche Erkenntnis kann zu einer genauen Vorausberechnung nicht fähig sein).

Willensfreiheit meint sinnvollerweise, eine Person sei als wollende/in ihrer Fähigkeit zur Willensbildung/in ihren Entscheidungen frei. Ein Wille hat ja einen Willen zu etwas zum Inhalt. Gewöhnlich wird bei Willensfreiheit von denen, die ihre Existenz vertreten, das Vorliegen von Einflüssen angenommen und nicht gemeint, eine unbedingte Willensfreiheit schwebe absolut losgelöst von allen denkbaren Einflüssen.

Von Gründen bestimmt zu sein, indem eine Selbstbestimmung aufgrund vernünftiger Überlegung stattfindet und eine Person selbst entscheidet, entspricht gewöhnlich dem Freiheitsbegriff der Vertreter der Existenz von Willensfreiheit.

Als Merkmale von in ihrem Wollen freien Personen können beispielsweise eine Fähigkeit, unter gegebenen Bedingungen sich so oder anders entscheiden zu können, eine Urheberschaft (Wollen und Handeln ist von der Person abhängig) und eine Kontrollmöglichkeit zugrundegelegt werden.

Typischerweise haben Inkompatibilisten einen starken Freiheitsbegriff, Kompatibilisten einen schwachen (die Anforderungen, um jemanden oder etwa als frei zu verstehen, sind geringer/schwächer; einigen reicht sogar schon das Fehlen von äußerem Zwang).

Die Vertreter des Inkompatibilismus teilen nur darin, Unvereinbarkeit für zutreffend zu halten, alle eine einheitliche Überzeugung. Sie haben unterschiedliche, zum Teil sehr weit auseinandergehende und gegensätzliche Auffassungen.

Zwei entgegengesetzte Richtungen, Libertarier und harte/radikale Deterministen, gibt es je nachdem, ob eine These der Existenz von Willensfreiheit bejaht und eine These einer vollständigen Determiniertheit verneint wird (Libertarianismus bzw. Libertarismus genannt) oder umgekehrt eine These der Existenz von Willensfreiheit verneint und eine These einer vollständigen Determiniertheit bejaht wird (harter/radikaler Determinismus). Harter/radikaler Determinismus ist eine Richtung einer Auffassung des Impossibilismus (der Auffassung der Unmöglichkeit der Existenz von Willensfreiheit), die andere, nach der unabhängig, ob eine vollständige Determiniertheit zutrifft oder nicht, Willensfreiheit unmöglich ist, wird Freiheitsskeptizismus bzw. Freiheitspessimismus (auch harter Imkompatibilismus) genannt.

Albrecht  27.01.2014, 04:39

einige Vertreter der unterschiedlichen Richtungen des Inkompatibilismus

Libertarianismus (Standpunkt einer Bejahung der Existenz von Freiheit bei der Willensbildung von Personen):

Thomas Reid, Essays on the active powers of man (1768)

Carl Ginet, Könnte es sein, daß wir keine Wahl haben? In: Freies Handeln und Determinismus. Herausgegeben und eingeleitet von Ulrich Pothast. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1978 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft ; Band 257), S. 115 – 133

Roderick Chisholm, Die menschliche Freiheit und das Selbst. In: Freies Handeln und Determinismus. Herausgegeben und eingeleitet von Ulrich Pothast. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1978 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft ; Band 257), S. 71 – 87

Peter van Inwagen, An essay on free will. Oxford : Clarendon Press, 1989. ISBN 0-19-824924-1

Robert Kane, The significance of free will. First issued as an Oxford University Press paperback. Oxford ; New York: Oxford University Press, 1998. ISBN 0-19-512656-4

Timothy O'Connor, Persons and causes : the metaphysics of free will. Oxford ; New York : Oxford University Press, 2002. ISBN 0-19-515374-X

Randolph Clarke, Libertarian accounts of free will. Oxford ; New York : Oxford University Press, 2003. ISBN 978-0-19-515987-5

Laura Waddell Ekstrom, Free will: a philosophical study. Boulder, Colorado : Westview Press, 2000. ISBN 0-8133-9094-X

Geert Keil, Willensfreiheit. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin ; Boston, Massachusetts : de Gruyter, 2013 (Grundthemen Philosophie). ISBN 978-3-11-027947-4

Geert Keil, Willensfreiheit und Determinismus. Originalausgabe. Stuttgart : Reclam, 2009 (Reclam-Taschenbuch : Grundwissen Philosophie ; Nr. 20329). ISBN 978-3-15-020329-3

harter Determinismus (Standpunkt einer vollständigen Determiertheit):

Paul Thiry d'Holbach, Système de la nature ou des lois du monde physique et du monde moral, (1770) [Paul Thiry d'Holbach, System der Natur : oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt. Übersetzt von Fritz-Georg Voigt. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1978 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft ; Band 259). ISBN 3-518-07859-3]

Ted Honderich, Wie frei sind wir? : das Determinismus-Problem. Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Schulte. Stuttgart : Reclam, 1995 (Universal-Bibliothek ; Nr. 9356). ISBN 3-15-009356-2

Ted Honderich, On determinism and freedom. Edinburgh : Edinburgh University Press, 2005. ISBN 0-7486-1841-4

Wolf Singer, Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen: In: Hirnforschung und Willensfreiheit : zur Deutung der neuesten Experimente. Herausgegeben von Christian Geyer. Originalausgabe. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2004 (Edition Suhrkamp ; Band 2387), S. 30 – 65

Freiheitsskeptizismus/Freiheitspessimismus (harter Inkompatibilismus):

Derk Pereboom, Living without free will. Cambridge ; New York ; Port Melbourne ; Madrid ; Cape Town : Cambridge Univ. Press, 2001. ISBN 0-521-79198-7

Galen Strawson, Freedom and belief. Revised edition. Oxford ; New York : Oxford University Press, 2010. ISBN 978-0-19-924749-3

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Albrecht  29.01.2014, 01:51
@Albrecht

weitere Vertreter eines Inkompatibilismus

Libertarianismus:

Karl Popper

Karl R. Popper/John C. Eccles, Das Ich und sein Gehirn. Von den Verfassern durchgesehen Übersetzung aus den Englischen von Angela Hartung und Willy Hochkeppel. Wissenschaftliche Mitarbeit bei der Übersetzung: Otto Creutzfeldt. München ; Zürich : Piper, 1982. ISBN 3-492-02447-5

harter Determinismus:

Sam Harris, Free will. New York ; London ; Toronto ; Sydney ; New Delhi : Free Press, 2012. ISBN 978-1-4516-8340-0

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Albrecht  27.01.2014, 04:40

Peter Schroeder-Heister, Kompatibilismus/Inkompatibilismus. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 4: Ins– Loc. Unter ständiger Mitwirkung von Gottfried Gabriel, Matthias Gatzemeier, Carl F. Gethmann, Peter Janich, Friedrich Kambartel, Kuno Lorenz, Kaus Mainzer, Peter Schroeder-Heister, Christian Thiel, Reiner Wimmer, Gereon Wolters in Verbindung mit Martin Carrier herausgegeben von Jürgen Mittelstraß. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2010, S. 273 – 276

S. 273: „Kompatibilismus/Inkompatibilismus (engl. comnpatibilism/incompatibilism), Begriffspaar, das einander kontradiktorisch (↑kontradiktorisch/Kontradiktion) entgegengesetzte Positionen zur Frage der Vereinbarkeit von ↑ Freiheit/↑ Willensfreiheit und moralischer ↑ Verantwortung einerseits und ↑ Determinismus andererseits bezeichnet. Unter ›Determinismus‹ wird die These verstanden, daß sich aus einer wahren und vollständigen Beschreibung des Zustands der Welt zu einem beliebigen Zeitpunkt t, gemeinsam mit dem Konjunkt aller Naturgesetze, alle wahren Beschreibungen von Weltzuständen zu jedem Zeitpunkt, der später als t liegt, ableiten lassen. Ein Akteur ist für x (typischerweise eine Handlung und ihre Folgen) moralisch verantwortlich, wenn es adäquat ist, ihn im Lichte von x moralisch zu beurteilen.“

engl. = englisch

„Kompatibilisten behaupten, daß der Determinismus gemeinsam mit Freiheit bzw. moralischer Verantwortung bestehen kann, Inkompatibilisten bestreiten dies. Kompatibilismus und Inkompatibilismus verhalten sich – als rein begrifflicher Thesen – neutral zu der Frage, ob Determinismus faktisch wahr ist oder nicht. Inkompatibilisten, die den Determinismus für wahr halten, bezeichnet man auch als ›harte Deterministen‹, Inkompatibilisten, die die These vertreten, der Determinismus sei falsch, und Freiheit/moralische Verantwortung existiere, als ›Libertarianer‹ bzw. ›Libertarier‹ (libertarians). Inkompatibilisten, die meinen, Freihielt/moralische Verantwortung sei auch unter den Bedingungen des Indeterminismus unmöglich. werden als ›Freiheitsskeptiker‹, ›Impossibilisten‹ und ›harte Inkompatibilisten‹ bezeichnet. Kompatibilisten, die den Determinismus für wahr hakten, nennt man ›weiche Determisten‹.“

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HappyChoclate 
Fragesteller
 13.02.2014, 11:21
@Albrecht

Vielen Dank für diese überaus hilfreiche und ausfürliche Antwort. :) Hat mir sehr weitergeholfen.

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hier ein kurzer Überblick:

Die Inderterministen halten Determinismus und Verantwortlichkeit für unvereinbar, inkompatibel. Falls Menschen determiniert wären, könnten sie für ihr Handeln nicht zur Verantwortung gezogen werden, da sie sich stets darauf berufen könnte, sie hätten nicht anders handeln können. Kurz: Verantwortlichkeit setzt Willensfreiheit voraus. Wenn Menschen keinen freien Willen hätten, könnte man sie nicht dafür verantwortlich machen. - Vertreter: I.Kant, J.P.Satre, J.Habermas

Innerhalb des Inkompatibilismus wird noch der "harte Determinismus" unterschieden: Diese verneinen die Willensfreiheit: Weil es keine Willensfreiheit gibt, sind wir im moralischen Sinne nicht verantwortlich für unser Handeln. - Vertreter: F.Nietzsche, W.Singer, G.Roth