Gibt es eine höherdimensionale Zahlenmenge als die Sedenionen?

3 Antworten

Gibt es eine höherdimensionale Zahlenmenge als die Sedenionen?

Ja, wobei ich es vorziehen würde, von unitären Algebren über ℝ statt von Zahlenmengen zu sprechen. Das Verdopplungsverfahren lässt sich beliebig anwenden, aber auch abseits dieses Verfahrens gibt es hyperkomplexe Algebren mit beliebiger Dimensionalität, auch übrigens solcher, die keine Zweierpotenz ist.

Besondere Namen gibt es nur für einige von ihnen. Es steht natürlich jedem frei, neue Namen zu konstruieren, etwa „Trigintadionen“ oder Ähnlich.

Jeder Matrizenring von n×n-Matrizen ist eine - übrigens sogar assoziative - unitäre Algebra.

Ein paar Begriffe

ℝ selbst ist ein sogenannter Körper, eine Zahlenmenge mit Addition und Multiplikation, die sowohl unter Addition als auch unter Multiplikation abgeschlossen ist, d.h., die Summe und auch das Produkt zweier Reeller Zahlen ist wieder eine Reelle Zahl.

Beide, Additon und Multiplikation, sind assoziativ und kommutativ, zu beiden gibt es jeweils ein neutrales Element, nämlich 0 (Addition) und 1 (Multiplikation). Jedes Element hat ein additives Inverses (Gegenzahl, Negatives), und jedes von 0 verschiedene Element hat auch ein multiplikativ Inverses (Kehrwert). Zuem gilt das Distributivgesetz, d.h. Faktoren verteilen sich auf Summen.

Einen solchen Körper setzt auch der Begriff des Vektorraums voraus. In ihm ist eine Addition definiert, für die dieselben Regeln gelten wie in einem Körper, und die Multiplikation mit einem Skalar, einem Element des Körpers. Jedes Element lässt sich eindeutig als Linearkombination einer Basis

{b₁, b₂, b₃,…}

darstellen.

Wenn in einem Vektorraum über einem bestimmten Körper noch zusätzlich eine Multiplikation seiner Elemente untereinander definiert ist, spricht man von einer Algebra über diesem Körper. Eine derartige Multiplikation braucht nicht unbedingt assoziativ oder kommutativ zu sein; so ist der gewöhnliche ℝ³ mit dem Kreuzprodukt als Multiplikation eine Algebra über ℝ.

Mit „unitär“ ist hier gemeint, dass es innerhalb der Algebra ein Einselement gibt und damit ℝ selbst eine Unteralgebra von ihr ist. Algebren dieser Art werden auch „Hyperkomplexe Zahlen“ genannt, da sie im Grunde die Algebra ℂ der Komplexen Zahlen verallgemeinern, die übrigens als einzige ebenfalls ein Körper ist.

Multiplikationsregeln

Die Produkte der nicht-reellen Basiselemente untereinander (einschließlich der Quadrate einzelner) bestimmt die Multiplikation in der gesamten Algebra. Dabei kann die Basis „ungeschickt“ gewählt sein und man erhält für ein solches Produkt ein beliebiges Element der Algebra, d.h. eine beliebige Linearkombination

(LK0)    a₀ + a₁b₁ + a₂b₂ + a₃b₃ + … (aₖ ∈ ℝ)

der gesamten Basis. Oft (ich weiß nicht, ob's immer geht) ist es jedoch möglich, neue Basiselemente so zu wählen, dass das Produkt zweier Basiselemente entweder 0, ein anderes Basiselement  oder das Negative eines anderen Basiselements ist. Das reduziert die Anzahl möglicher n-dimensionaler Algebren erheblich, nämlich von unendlich auf eine überschaubare Zahl.

Im Falle nur eines nicht-reellen Basiselements sind dies 3. Die einzige nicht-triviale Multiplikationsregel

(LK1)    b² = a₀ + a₁b

lässt sich nämlich umformen:

(U1) b² – a₁b = a₀
(U2) b² – a₁b + ¼a₁² = a₀ + ½a₁² =: a ∈ ℝ
(U3) (b – ½a₁)² = a

Falls a = 0 ist, sind wir hier fertig und wir können (b – ½a₁)² in b* „umtaufen“. Anderenfalls ist noch

(U4) (b – ½a₁)²/|a|  =: b* = ±1.

Somit ergeben sich in diesem Fall 3 verschiedene Algebren:

  1. Die sogenannten Dualen Zahlen mit 1 und Ω, wobei Ω² = 0 ist,
  2. die sogenannten Binären Zahlen mit 1 und E, wobei E² = 1 ist, und
  3. die Komplexen Zahlen mit 1 und i, wobei i² = –1 ist.

Nur die Komplexen Zahlen bilden allerdings eine Divisionsalgebra, d.h. eine Algebra, in der die Multiplikation umkehrbar ist. Dies setzt Nullteilerfreiheit voraus, denn durch Nullteiler ist Division unmöglich. Wie oben erwähnt, ist ℂ sogar ein Körper.

Auch die Binären Zahlen sind interessant. Warum, sehen wir weiter unten.

Konjugation und ihre Bedeutung

Zu einem gegebenen Element

q = a₀ + a₁b₁ + a₂b₂ + a₃b₃ + …

gibt es ein Konjugiertes

q* = a₀ – a₁b₁ – a₂b₂ – a₃b₃ – …,

was vor allem dann eine Bedeutung hat, wenn die nicht-reellen Basiselemente untereinander antivertauschen und das Quadrat reell ist (ich bin mir nicht sicher, ob das durch Basisumformung immer erreichbar ist).

Dann nämlich kommt bei jeder Multiplikation q·q* eine reelle Zahl heraus. In einigen wenigen Fällen ist die auch noch positiv, sodass man dies mit einem Betragsquadrat identifizieren kann. Ein solches Beispiel sind die Quaternionen.

Bei den Binären Zahlen

a₀ + a₁E

kann durchaus etwas Negatives herauskommen, nämlich dann, wenn |a₁|>|a₀| ist. Falls |a₁|=|a₀| ist, kommt 0 heraus; das sind gerade die Nullteiler dieser Algebra.

Daraus folgt, dass Binäre Zahlen mit dem gleichen Konjugiertenprodukt auf Hyperbeln liegen, deren Asymptoten die |a₁|=|a₀|-Diagonalen sind. Man könnte sie also auch als „Hyperbolisch-komplexe Zahlen“ bezeichnen, was aber nicht üblich ist.

Einen Physiker erinnert das sofort an die Minkowski-Geometrie der Raumzeit, wo den Nullteilern lichtartige Vierervektoren entsprechen, der Reellen Achse die Zeitachse und der E-Achse eine räumliche Achse.

Dieses Prinzip lässt sich auf höherdimensionale Algebren wie die Hyperbolischen Quaternionen übertragen, wobei diese sich als Unteralgebra der Biquaternionen auffassen lassen, die nicht mit den Oktonionen identisch, sondern einerseits assoziativ sind und andererseits Nullteiler enthalten. Wegen der Assoziativität lassen sie sich in Matrix-Form darstellen, wobei die Nullteiler singulären Matrizen entsprechen, und einige dieser Matrizen entsprechen den Dirac-Matrizen der relativistischen Quantentheorie.  

Was hat es mit den Zweierpotenzen auf sich?

Wenn man eine mehrdimensionale Algebra so konstruieren möchte, dass möglichst viele der Eigenschaften eines Körpers erhalten bleiben, dann bietet sich speziell dieses Verdopplungsverfahren an.

Der Satz von Frobenius nämlich besagt, dass es (bis auf Isomorphie) nur 3 assoziative Divisionsalgebren über ℝ gibt, nämlich ℝ selbst, ℂ und ℍ (die Quaternionen, das Symbol ist zu Ehren ihres Entdeckers Hamilton gewählt), die einen Schiefkörper bilden (also nicht mehr kommutativ sind).

Man kann ihn in der Weise erweitern, dass es nur 4 alternative Divisionsalgebren gibt, wobei die Alternativität eine abgeschwächte Form der Assoziativität darstellt und in dieser enthalten ist. Hier sind auch die Oktonionen (𝕆) „im Boot“.

Der Satz von Hurwitz besagt, dass es nur 4 normierte unitäre Divisionsalgebren über ℝ gibt, nämlich ℝ selbst, ℂ, ℍ und 𝕆.

Diese Algebren haben also besondere Eigenschaften, die übrigens, wie wir sehen, den Sedenionen schon nicht mehr zukommen.

Ein persönlicher „Verdacht“ aus dem Blickwinkel der Physik

Algebren mit einem reellen und drei nicht-reellen Basiselementen erinnern mich immer an die Raumzeit. Warum ausgerechnet diese (1+3)-Struktur? Warum „gehorchen“ Materieteilchen der Dirac-Gleichung, die sich mit Biquaternionen beschreiben lässt?

Das könnte natürlich purer Zufall sein, aber ich werde irgendwie den Verdacht nicht los, dass es zwischen der mathematischen Besonderheit solcher Algebren einerseits und der Struktur unseres physikalischen Universums einen tieferen Zusammenhang gibt.

Über Physik mit Hyperkomplexen Zahlen haben schon Einige etwas im Netz veröffentlicht, darunter auch ich.

Mit dem Verdopplungsverfahren (auch als Cayley-Dickson-Verfahren bekannt) lassen sich neue hyperkomplexe Zahlensysteme erzeugen, deren Dimension doppelt so groß ist wie die des Ausgangszahlensystems.

aus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperkomplexe_Zahl

Das hatte ich ja schon angenommen.

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http://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/die-verblueffende-vielfalt-der-zahlen-15055148.html

Hier geht es nur bis zu den Sedenionen. Aber es ist ganz lustig.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Unterricht - ohne Schulbetrieb
kepfIe  23.07.2017, 01:29

Als Antwort auf deine Antwort in der anderen Frage: Quaternionen haben einige Anwendungen, die ich hier nich aufzähl, Octonionen gehen schon in Lie-Algebren und Stringtheorie rein, und Sedenionen...nun, da gibts nicht viel. Aber (Zitat) "der Raum der Nullteiler mit Norm 1 ist homöomorph zur [...] Lie-Gruppe G2". Für arg viel mehr werden die dann auch nicht mehr zu gebrauchen sein.

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Newton981  27.07.2017, 20:14
@kepfIe

Schon mal etwas von den "Ultrakomplexen Zahlen"  gehört?

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Volens  27.07.2017, 22:53
@Newton981

ultrakomplex als Wort "ja", aber nicht im Zusammenhang mit Zahlen.

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SlowPhil  08.08.2017, 18:55
@Newton981

Ich kenne diese Zahlen (im weiteren Sinne) unter dem Namen 'hyperkomplex'. 

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Wow! Ich fall' vom Pferd...

Nee...mal ehrlich....

Ich bewundere Menschen, die es schaffen, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Das ist für mich eine Wissenschaft, die ich wahrscheinlich nie verstehen würde.

 Diese Gabe, die Menschen haben, solch eine Wissenschaft nachzugehen, finde ich einfach nur grandios, und ich hoffe nur, -auch wenn ich nicht weiß wie alt du bist,- dass du deine Zukunft auf deinem besonderen Interesse positiv und sehr erfolgreich aufbauen kannst.

rumar  22.07.2017, 21:13

@Gimpelchen:  Daumen hoch  (besonders für das Pferd !). Der Sturz hat ja bestimmt auch gar nicht weh getan, denn ich weiß, dass Gimpelchen fliegen können .....

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Drainage  22.07.2017, 21:22

Dir mangelt es nicht an der Gabe, sondern an der Einstellung. Wer sowas sagt wie "Das werde ich nie verstehen", der wird es halt auch nicht verstehen, aber nicht weil er zu dumm ist, sondern weil er es nicht will bzw. es sich nicht zutraut.

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SlowPhil  08.08.2017, 20:48

Ich bewundere Menschen, die es schaffen, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen.

Ich hab' das beruflich gemacht. Nicht über Sedenionen, aber mit Hyperkomplexen Zahlen.

Das ist für mich eine Wissenschaft, die ich wahrscheinlich nie verstehen würde.

Ich denk' schon. So kompliziert ist das nicht. Du kennst sicher die Reellen Zahlen.

Nun sind bekanntlich die Quadrate reeller Zahlen immer größergleich 0. Daher haben Gleichungen der Form

x² + a = 0, a⪈0

auch keine reellen Lösungen. Auf der Suche nach der Lösung für eine spezielle Gleichung dritten Grades wurde im 16. Jahrhundert zunächst als Kunstgriff eine neue Zahl „erfunden“. 

So weit ich weiß, wird die „Erfindung“ Cardano zugeschrieben, nicht ganz zu Recht. Der „Kunstgriff“ glückte, es kamen reelle Zahlenwerte heraus.

Die „neue“ Zahl wurde „imaginäre Einheit“ genannt und mit i bezeichnet, weil man annahm, dass es sie gewissermaßen eigentlich nicht gebe. Leibniz soll sie „Monstrum der idealen Welt“ genannt haben.

Dann kam Euler und zeigte, dass diese Zahl so scheinbar grundverschiedene Konzepte wie Exponentialfunktionen und trigonometrische Funktionen (Sinus, Cosinus, Tangens) miteinander vereint. Er schuf die Formel

(Euler) e^{ix} = cos(x) + i⋅sin(x).

Natürlich hatte Cardano (respektive sein Kollege) nicht nur eine „neue“ Zahl „erfunden“, denn zusammen mit i treten alle Reellen Vielfachen von i auf den Plan; sie werden imaginäre Zahlen genannt und bilden zusammen mit den Reellen Zahlen die Komplexen Zahlen, die sich als Ebene mit 2 Achsen darstellen lassen, der Reellen und der Imaginären Achse. Diese Art der Darstellung ist nach Gauß benannt, der grob ein Jahrhundert nach Euler lebte. In den Komplexen Zahlen lässt sich nahezu unbegrenzt rechnen. und insbesondere alle algebraischen Gleichungen lösen.

Übrigens sind i und −i gegeneinander austauschbar.

Jede Komplexe Zahl lässt sich als

z = x + iy = x·1 + y·i

und wegen (Euler) auch als

|z|·e^{iφ}

ausdrücken. Letzteres geht nicht bei jeder Art hyperkomplexer Zahlen. Allen gemeinsam ist es aber, dass es neben der 1 auch nicht-reelle Elemente gibt.

Definiert werden müssen die Multiplikationsregeln zwischen diesen nicht-reellen Elementen untereinander, der Rest ergibt sich von selbst.

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