Gab es in der Steinzeit Vegetarier/Veganer?

16 Antworten

Vegetarier wahrscheinlich ja, Veganer mit absoluter Sicherheit nein.

Wenn wir über "Steinzeit" sprechen, meinen viele Leute damit so etwas wie ein Zeitalter. Das ist die Steinzeit jedoch nicht: sie ist lediglich eine Kulturstufe, also ein technologisches Level, in welchen die Menschen noch überwiegend Steinwerkzeuge verwendet haben. Auch heute gibt es noch Naturvölker, die in der Steinzeit leben, und nein, von denen lebt auch heute keines vegan. Da du aber wahrscheinlich doch ein Zeitalter meinst, schreibe ich jetzt nicht mehr "Steinzeit", sondern über das "Vorzivilisatorische Zeitalter".

Aber zuerst zum Veganismus: Der nämlich nicht nur eine Ernährungsweise, sondern vielmehr eine BEWUSSTE Entscheidung, Tierprodukte zu vermeiden, um aus ethischen Gründen das Leid und die Ausbeutung von Tieren durch seine eigene Lebensweise soweit es einem möglich ist nicht mitzutragen. Allerdings kann man nur dann vegan leben, wenn man die Möglichkeit dazu hat, sich alle essentiellen Nährstoffe auch völlig ohne tierische Produkte zuzuführen.

Und das geht nur, wenn man erstens wirtschaftlich gesehen in einer Überflussgesellschaft lebt, in der Lebensmittel eine Selbstverständlichkeit sind und wo man sich bewusst und frei entscheiden kann, was man isst, und zweitens, wenn man technologisch und medizinisch imstande ist, Mangelerkrankungen vorzubeugen, sie bei Auftreten zu erkennen und erfolgreich zu behandeln. Ist beides nicht gegeben, könnte ein Veganer nicht auf Dauer gesund bleiben, und sehr waheschelich auch nicht überleben.

Insbesondere die Versorgung mit Vitamin B12 und in höheren Breiten, wo die Sonneneinstrahlung über einen großen Teil des Jahres eingeschränkt ist, auch mit Vitamin D, stellt Veganer vor eine besondere Herausforderung gegenüber den Gemischtköstkern. Beide Vitamine kommen vor allem in Tierprodukten vor, Vitamin B12 sogar ausschließlich. In der freien Natur könnte ein Veganer vielleicht einen Teil seines Vitamin B12-Bedarfs noch über ungeklärtes Wasser decken (das Vitamin wird durch Bakterien im Enddarm gebildet und gelangt so über die Körperausscheidungen von Mensch und Tier auch in Flüsse und Seen), aber trotzdem drohen ihm schon nach kurzer Zeit erhebliche Mangelerscheinungen. Ein sich vegan ernährender Mensch hätte in der vorzivilisierten Zeit in jedem Fall einen empfindlichen Nachteil gegenüber den Gemischtessern.

Diesen Nachteil hat ein Vegetarier aber nicht. Ein vorzivilisatorischer Vegetarier konnte sich auch von Vogeleiern ernähren, und wenn wir nicht so streng mit ihm sind auch von Insektenlarven und Aas. Und genau so haben unsere Vorfahren alle einmal angefangen: noch vor 2.000.000 Jahren waren fast alle Menschen solche Paläo-Vegetarier, auf die Jagd gegangen sind sie damals mangels Waffen nur sehr selten, und wenn dann nur auf kleinere Tiere, die sie ohne große Gefahr für sich selbst erbeuten könnten. Auch Schimpansen jagen heute noch gelegentlich kleinere Affen, doch sind auch sie eigentlich eher als Vegetarier unterwegs.

Noch bis in die Zeit, in der der Mensch Afrika verließ, dürfte er sich überwiegend vegetarisch ernährt haben. Dass er dazu überging, zu großen Teilen Fleisch zu essen, wurde erst nötig, als er die eiszeitlichen Kaltsteppen Europas und Asiens erreichte. Dort fanden unsere Vorfahren nicht ausreichend pflanzliche Nahrung, sodass die Jagd essentiell für sie werden musste. Unter Heidelbergmenschen, Neandertalern, Denisovianern und Cro-Magnons in Europa und Asien dürfte es also auch keine Vegetarier gegeben haben, bei den zeitgleich lebenden Menschen in Afrika oder Südostasien, wo das ganze Jahr auch genug Pflanzennahrung zu finden war, aber sehr wahrscheinlich schon.

Woher ich das weiß:Hobby – Jahrelange Begeisterung für die Natur und ihre Bewohner.
Lazybear  31.12.2019, 15:55

Soweit ich weiß, war bereits Homo erectus in der Lage Feuer zu nutzen und auch das Jagen als festen Bestandteil.

Dh die Nahrungsversorgung mit Fleisch hat vermutlich bereits vor dem Verlassen des afrikanischen Kontinents begonnen, das zeigt auch das Gebiss vom Homo erectus, der vermutlich zu 1/3 Tierische Nahrung konsumierte und somit kein Vegetarier war.

Vllt weißt du aber besser bescheid und kannst etwas Licht ins Dunkel bringen.

Lg

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MarkusPK  31.12.2019, 16:52
@Lazybear

Hierbei müssen wir ersteinmal zwei Dinge definieren: Wenn wir von Feuernutzung sprechen, dann kann damit einerseits seine pure Verwendung gemeint sein, aber diese wiederum ist weit entfernt davon, ein Feuer selbst entfachen zu können. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass auch schon Menschen vor Homo erectus Feuer verwendeten, zum Beispiel, indem sie nach einem Blitzschlag oder einem Buschfeuer die Flammen weiternutzten (Fundfeuer). Viel schwieriger ist es jedoch, eine Methode zu entwickeln, um selbst Feuer zu machen. Dies setzt eine sehr hohe feinmotorische Geschicklichkeit und die Fähigkeit voraus, ein hochpräzises Ursache-Wirkung-Denken anwenden zu können.

Als unzweifelhaft muss nach dem derzeitigen Forschungsstand gelten, dass sich ein erhöhter Fleischverzehr und das Feuermachen kongruent zueinander entwickelt haben, da Fleisch ansonsten für den Menschen in größeren Mengen unbekömmlich ist und nur durch vorherige Garung genießbar gemacht werden kann. Besonders in sehr warmen Gegenden macht die Besiedelung durch Keime sonst jede Form des Fleischverzehrs für uns zu riskant, da unsere Magensäure nicht imstande ist, diese Krankheitserreger abzutöten, so wie etwa die eines Wolfes oder eines Löwen.

Der älteste als gesichert geltende Nachweis für eine Feuerstelle stammt aus Israel und ist etwa 790.000 Jahre alt. Zu dieser Zeit war Homo erectus aber schon weit fortgeschritten und hatte große Teile der Welt bereits besiedelt. Erectus entwickelte sich schon mehr als eine Million Jahre früher, trat das erste Mal vor etwa 1,9 Millionen Jahren auf und hatte zu der Zeit, aus der die älteste Feuerstelle stammte, in Europa sogar schon mehrere Kaltzeiten mit Vereisungsphasen erlebt und sie überstanden. Anzunehmen, dass er vorher nicht imstande gewesen sein soll, Feuer zu nutzen, kann man trotz der fehlenden Nachweise als absolute Naivität abtun: Natürlich konnte er Feuer nutzen und es mit Sicherheit auch schon lange vorher selbst entfachen!

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die ersten Formen der Feuerverwendung (durch Fundfeuer) bereits die frühesten Homo-Vertreter, also auch schon Homo habilis und Homo rudolfensis zumindest in Ansätzen beherrschten. Schließlich verfügten sie in der Zeit von vor etwa 2,1 Millionen Jahren schon über ein um die Hälfte größeres Gehirn als die zeitgleich mit ihnen lebenden Vertreter der Gattung Australopithecus und Paranthropus (bis zu 800ccm; im Vergleich zu nur 420ccm bei Australopithecus sediba).

Dieses große Gehirn ist ein Indikator für zwei Dinge: Erstens, dass Kreativität und damit die Werkzeugnutzung in dieser Zeit einen echten Boom erlebten und somit auch die Feuernutzung sehr wahrscheinlich Forschritte machte, und zweitens, dass diese Frühmenschen bereits komplexe Mehrfachzucker verdauen konnten: Wir Menschen verfügen heute über 12 verschiedene Amylase-Moleküle in unserem Mundspeichel, der Schimpanse (und die anderen Frühmenschen wahrscheinlich auch) über nur 2. Der frühe Homo konnte also auch Wurzelknollen, Zwiebeln, Getreidesamen und andere stärkehaltige Pflanzen fressen, und viele davon werden ebenfalls erst durch Garung für uns Menschen bekömmlich.

Die stärkehaltigen Pflanzen wiederum ermöglichen eine effiziente Versorgung eines hochleistungsfähigen Gehirns: wer Stärke verdauen kann, der arbeitet mir einem wesentlich leistungsfähigeren Energieträger als der, der nur Saccharose und Fructose (aus der Hauptnahrung der anderen Primaten) verdauen kann. Der Schlüssel zur Menschwerdung, zu unserer Intelligenz und damit auch zum Werkzeug- und Feuergebrauch liegt sehr wahrscheinlich in unserer Ernährungsweise begründet, und er ging mit ihr auch Hand in Hand: Die stärkehaltigen Pflanzen machten uns intelligenter, während unsere Intelligenz es uns ermöglichte, sie zuzubereiten und in größerem Umfang zu essen.

Beides förderte wiederum sehr wahrscheinlich auch die Jagd, da Fleisch ein wesentlich leichter zu verdauender Energie- und Proteinlieferant ist als jede Pflanze. Das wussten auch schon die Frühmenschen. Jagd und Feuerzähmung, Stärkeverzehr und Hirnentwicklung sind untrennbar miteiander verbunden. Und all das Begann sehr wahrscheinlich schon lange vor Homo erectus.

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Lazybear  31.12.2019, 17:06
@MarkusPK

Ist der wissenschaftliche Konsens nicht, dass gerade der Verzehr von Fleisch der Schlüssel zur Menschwerdung war und nicht der Verzehr von stärkehaltigen Pflanzen?

Ich meine gelesen zu haben, dass ein Fund auf einen Vitamin B12 Mangel hindeutet, der 1,8 Millionen Jahre zurückliegt.

Nun ja, so oder so, sehr informativ, Danke und guten Rutsch!

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hansschwarz241  31.12.2019, 17:13
@MarkusPK
Die stärkehaltigen Pflanzen machten uns intelligenter,

Dazu hätte ich gern Quellen/Belege. Es ist ja bekanntlich die Omega-3-Fettsäure namens Docosahexansäure oder DHA, die für komplexe, gesunde Gehirnentwicklung verantwortlich ist.

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MarkusPK  31.12.2019, 17:40
@hansschwarz241

Diese Erkenntnis ist noch relativ neu. Heute wird tatsächlich vor allem die Fähigkeit, Mehrfach-Zucker zu verdauen, als ein wichtiger Faktor bei der Hirnentwicklung verantwortlich gemacht. Aber natürlich spielten sicher auch Fettsäuren aus Fleisch und Fischbeine Rolle dabei. Sicher ist nur, dass es nicht "den" einzigen Faktor gab, der uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind - dafür waren schließlich viele, viele Entwicklungsschritte nötig.

Hier ein paar weiterführende Artikel zu der Speichel- und Amylase-Entwicklung:

https://www.scinexx.de/news/medizin/fruehmenschen-schlau-durch-staerke/

https://www.welt.de/welt_print/article1174258/Spucke-brachte-die-Evolution-des-Menschen-in-Schwung.html

https://www.google.com/amp/s/www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/mensch-versus-affe-die-spucke-macht-den-unterschied-a-504821-amp.html

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MarkusPK  01.01.2020, 14:25
@Lazybear

Danke, den hatte ich! Ich hoffe, du bist auch gut ins neue Jahr gekommen!

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Nein gab es nicht. Man musste sich größtenteils von Tieren ernähren.

Veganer sicherlich nicht. Fast alle Primaten sind Allesfresser. Was nichts über ihre tatsächliche Nahrungszusammensetzung aussagt, sondern nur über potentielle Nahrungsquellen.

Vitamin B12, Eisen, Iod, gewisse Eiweiße und Fettsäuren sind nur aus Tieren gewinnbar.

Auch Affen essen mit Vorliebe Insekten oder auch mal kleinere Primatenarten. Der Fleischkonsum, der bis zu einer reinen Fleischernährung reichen kann - ebenfalls eine Mangelernährung, ist aber eine geschichtlich relativ neue Entwicklung.

"Die" Steinzeit gibt es nicht. Sie umfasst Landwirtschaft genauso wie die Zeiten, als Menschen noch durch die Wälder striffen.

Wie Markus schon sternchenverdienend erklärte.

Ganz kurz zusammen gefaßt: Das was die Natur zu der gegebenen Jahreszeit hergab wurde als Nahrung benutzt. Und das war oft nicht viel. Fett und Zucker waren besonders schwer zu bekommen, stecken aber voller Energie. Deswegen unsere festgebrannte Vorliebe für solche Dinge.

Und ein Ihgitt gab es nicht. Überleben war alles.

ja doch, denn Pflanzen rennen nicht weg, und die Steinzeitler zogen es durchaus vor, das Naheliegende dem Wegrennenden vorzuziehen. Neanderthaler jedenfalls waren ziemlich sicher Pflanzenfresser. Nicht aus ideologischen, sondern aus ganz praktischen Gründen.

Formsache  31.12.2019, 15:31

Diese Aussage widerspricht dem, was Paläo-Anthropologen sagen. Neanderthaler waren ziemlich sicher Fleischfresser... Sie hatten besonders ausgeprägte Muskeln am Arm, die Jagen mit Speer sehr erleichterten...

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apparmor  31.12.2019, 18:31
@Formsache

lol, Muskeln durch Fleisch. Muskeln wachsen durch Training und genug Nahrung. Das bedeutet nicht, dass man dafür zwangsweise tierliche Nahrung essen musste.

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