Empfindsamkeit... säkularisierter Pietismus... dafuq?! O.o

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Schau dir den Film "Der Name der Rose" an. Zu dieser Epoche wurde der Rationalismus ganz hoch bewertet. Erst mit dem Protestantismus in Deutschland gab es eine Revolte gegenüber dem Rationalismus. Die Empfindsamkeit steht als krassen Gegensatz zum Rationalismus, wurde aber noch weitaus übertrieben und schoss aus dem Ziel hinaus, als diese vollkommen übertrieben wurde.

Melanie19880203  12.08.2012, 14:51

Lass es mich auch mal mit meinen eigenen Worten und meinem Verständnis erklären:

Zu der damaligen Zeit des Rationalismus war die Kirche sehr mächtig und KEINER wagte es die Dogmen der Kirche anzurühren. Dementsprechend waren die Gelehrten und Geistlichen Führer sehr darauf bedacht das eigene Fundament der Kirchenlehre zu schützen und das Denken der Menschen so zu kontrollieren, dass niemand erst auf den Gedanken kam es zu hinterfragen.

Unter anderem wurde verhindert das die Bibel in einer modernen Sprache übersetzt wurde. Die meisten Texte waren nur in "toten Sprachen" vorhanden, wie Alt-Griechisch oder Latein. Die Laien waren sozusagen die Dummen die nichts zu sagen hatten und vollkommen abhängig von den Geistlichen.

Diese Era entsprach eigentlich einer Dystopie, einer Gesellschaft die von wenigen Elitären Führern kontrolliert wurde. Das Freie Denken war ein Tabu. Wehe wenn jemand Zweifel äußerte, dann waren Prügel die kleinste Sorge die man hatte. Viele verloren ihr Leben wenn sie es wagten an den Grundpfeilern der Kirche zu sägen.

Diese ganze angespannte Atmosphäre ließ freie Emotionen einfach nicht zu.

Erst als ein mutiger Mann die falschen Lehren der Kirche "anprangerte", explodierte die unterdrückte Gesellschaft. Das andere Extrem kam zu Tage, ein Extrem das man bis heute noch sieht. Heute ist das rationale Denken fast schon "out". Es zählen nur noch Gefühle, am besten die starken Gefühle gesteuert von den Endokrinen Drüsen.

Wie auch immer, alles hat eine Ursache und einen Effekt. Ich finde deine Frage übrigens wirklich interessant. DH!

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Melanie19880203  12.08.2012, 14:57
@Melanie19880203

Ja auch noch ein genialer Film ist Equilibrium, ein Sci-Fi Film mit Christian Bale in der Hauptrolle. Es versetzt diese Art der Epoche voller Kontrolle in die Zukunft, aber der Gedanke dahinter ist genau der selbe wie damals beim Rationalismus. Der Film ist natürlich wie alle Hollywood-Filme übertrieben dargestellt, ... es behandelt aber genau diesen Zustand bei dem einige wenige Elite Leute die ganzen Massen kontrollieren. Vor allem das Finale zeigt die Emotionen die "explosionsartig freigesetzt werden" nachdem sie für so lange Zeit illegal unterdrückt wurden.

http://de.wikipedia.org/wiki/Equilibrium_%28Film%29

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lugsciath  13.08.2012, 10:11
@Melanie19880203

Ich finde diese Filme auch sehr anregend und auch die darin gezeigten Spannungen zwischen "Kirchlichen" Zwängen und der allgemeinen Logik bzw. Ethik. Ob dies aber genau den Punkt anspricht, kann ich nicht genau sagen - denn es geht meiner Meinung nach eher um die sittlichen Werte, die die Kirche und deren Umfeld einem realen Werk oder den Menschen einhauchen und weniger um das, was sie ihm durch falsche Lehren etc. entziehen. Zur reinen Vernunft ohne diese ethischen Werte braucht man nicht viel zu sagen: Sie wäre unmenschlich.

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MysteryMoon100 
Fragesteller
 16.08.2012, 20:00
@Melanie19880203

Danke für deine Antworten! Sehr umfangreich. Besonders gut fand ich den Abschnitt mit der Anspannung der Zeit, da es mir selber nicht eingefallen wäre. Die Filme werde ich evtl schauen, wenn ich wieder etwas mehr Zeit hab :D Ich habe trz nochmal an der Flut von Informationen meinen Konformandenlehrer gefragt. Vielen Dank :D

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siehe Gerhard Kaiser: Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland. Ein Beitrag zur Säkularisation von 1961

Es geht um das religiös begründete Sehertum, um die Erforschung und Erkennen der religiösen Motive und Werte die jemand erfüllen (siehe Definition Pietismus) oder doch zumindest ihn und seine Werke beeinflussen.

Da der Begriff selbst offenbar eine ältere Auffassung ist, die man nicht mehr aufrecht erhalten kann und er auf das Spannungsfeld zwischen religiöser Motivation vs. realen Zwängen bzw. Gründen abzielt, würde ich schlicht von einer religiösen Beeinflussung sprechen wollen, die ein Werk und Schöpfer betrifft und dahingehend sittlich im Sinne der kirchlichen Ethik formt.

Was Besseres fällt mir momentan auch nicht ein.

MysteryMoon100 
Fragesteller
 16.08.2012, 20:02

Das reicht schon, vielen Dank :D

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Eingangs sei Dir gesagt, nur Wikipediatexte zu lesen, reicht heutezutage nicht aus, um einen ernsthafte Arbeit abzuliefern.

Die Epoche der " EMPFINDSAMKEIT " in Deutschland speist sich aus zwei Quellen, wobei dieser einmal als literarischer Stilbegriff verstanden wird und zum Anderen eine auf das protestantische Bürgertum übergreifende Gefühlsbewegung religiösen Charakters darstellt.

Die Hauptquelle ist der Pietismus, dessen Gefühlsinnerlichkeit zu einem Lebensmoment des protestantischen Bürgertums wird, das ist die sogenannte Verweltlichung des Pietismus, die andere Hauptquelle sind die Wochenschriften aus England, seit etwa 1715, später die Familien-und Tugendromane von Samuel Richardsons ( 1689 - 1701 ).

In den 60er Jahren des 18.Jhdt. begann der Einfluß von Laurence Sterne ( 1713 - 1768 ) mit " TRISTAN SHANDY " und " SENTIMENTAL JOURNEY THROUGH FRANCE ANS ITALY " zu wirken. Dann noch Oliver Goldsmith ( 1730 - 1774 ) mit " VICAR OF WAKEFIELD ". Ein Lieblingsbuch des 18.Jhdt. wurde " NIGHT THOUGHTS ON LIFE ", DEATH AND IMMORTALITY " von Edwards Young ( 1683 - 1765). Übersetzt von Johann Arnold Ebert 1754.

Die seelische Vertiefung des Pietismus äußerte sich zuerst in der Kunstlyrik von Immanuel Jakob Pyra im Gedicht " Tempel der wahren Dichtung " ( 1773 ), die ihren Höhepunkt in Klopstocks " Der Messias "" gefunden hatte.

Der empfindsame Roman umfaßt Dichter und Schrifsteller wie Gellert bis Sophie von Laroche sowie den Unterhaltungsschriftsteller August Lafontaine ( 1758 - 1831 ).

Im Zusammenhang mit der " EMPFINDSAMKEIT " ist die erste deutsche Roman-Theorie von Friedrich v.Blanckenburg zu erwähnen. Nach ihm sollte der deutsche Roman als Gegenstand " die im Innern des Menschen wohnenden Empfindungen " haben. Er war für den Charakter-Roman, aber gegen Abenteuer-und historischen Roman. Dieser zuerstgenannte Romantypus hatte die Aufgabe, die " innere Geschichte " von möglichen Menschen der wriklichen Welt darzustellen. Er lehnte Richardsons ab, weil er die Darstellung der " Naturwahrheit, der Kausalität und Anschaulichmachung der Gefühle " nicht berücksichtigte.

Wichtige literarische Kreise der EMPFINDSAMKEIT:

  • der ältere Hallener Kreis mit den Pietisten Lange und Pyra

  • Hain oder Bund, später Hainbund ( literarischer Freundschaftsbund junger Akademiker aus Nord-und Süddeutschland, Literar.Organ: Göttinger Musenalmanach seit 1770

-Darmstädter Kreis, mit J.H.Merck, Katharina Flachband, der spätere Herder Anfang der 70er Jahre des 18.Jhdt.

WICHTIGE AUTOREN:

Matthias Claudius, F.G. Klopstock, J.H.Voß, Nikolaus L.Graf v.Zinzenendorf, G.Tersteehegen. Imm.Jak.Pyra, Sam.Gotth.Lange, Christ.Fürchtegott Gellert, Salomon Geßner, Sophie v.Laroche, Heinrich Jung-Stilling, Theodor Gottlieb v. Hippel. Christian Graf zu Stolberg, Friedr.Leop.Graf z.Stolberg ( 2 Brüder ), Joh.Martin Müller, Ludw. H. Christop.Hölty, Georg Christ.Lichtenberg ( lehnte aber Klopstock und Goethes Werther ab ).

Das Wort " empfindsam " geht auf Lessing zurück, der es seinem Freund Joh.Joach.Bode zur Verdeutung des englishen " sentimental " empfahl.

Der Pietismus, als Quelle der Empfindsamkeit, teilte mit der Aufklärung den Kampf gegen jeglichen Dogmatismus, für die Überbrückung religiöser und sozialer Gegensätze. Zugleich stand er für die Steigerung des Gefühlslebens, was in der Literatur der Aufklärung zu kurz kam.

Trotz einzelner Motive wie Traum, Gefühlsüberschwang, tiefe Seufzer, Analyse des Innenleben, ist zwischen der Epoche des Sturm und Drang, Klassik und Romantik scharf zu unterscheiden.

Literarisch lebt die EMPFINDSAMKEIT Ende des 18.Jhdt.und während des gesamten 19.Jhdt. weiter in den vielen Frauenromanen, Liebesromanen, Hauszeitschriften und zuletzt, losgelöst von rein pietischen Gefühlsbewegungen, in den Romanen von Hedwig Court-Mahlers, weiter. Die letzetn Ausläufer sind die vielen zeitgenössischen Liebes-und Familienromane, mehrheitlich trivial und zum Teil kitschig.

arevo  25.08.2012, 14:24

Falls Dich diese literarische Stileepoche auch privat interessiert:

es gibt auch noch eine philosophische Behandlung dieses Themas durch Friedrich v.Schuller. In seiner Schrift " Über naive und sentimentalische Dichtung ", 1795, geht er sehr ausführlich, wenn es auch manchmal etwas schwer zu verstehen ist, auf beide Dichtungsarten ein und legt den Underschied frei.

Er unterscheidet dabei noch zwischen Rührung und Rührseligkeit, wobei das Letztere ein Merkmal der modernen Unterhaltungsliteratur, speziell bei Frauen- und LIebesromanen, geworden ist.

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MysteryMoon100 
Fragesteller
 28.08.2012, 18:48
@arevo

Vielen Dank für den umfangreichen Beitrag :) Leider hab ich schon mein Vortrag gehalten bevor ich deinen gesehen habe. Trotzdem hat er mich noch was gelehrt :)

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