Darf man nicht ehrlich über das Leid der Deutschen nach dem Kriegsende durch Vertreibung und auch Vertreibungsverbrechen sprechen?

8 Antworten

Von Experte Udavu bestätigt

Kriegsverbrechen der Alliierten oder alle Untaten gegen Deutsche während des Krieges und in der Nachkriegszeit, die Leiden der Zivilbevölkerung durch die Bombardierungen deutscher Städte und durch Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten, die völkerrechtswidrige Zurückhaltung von Kriegsgefangenen haben eine bestimmte Funktion im Diskurs über die deutsche Schuld. Der Verweis auf das den Deutschen zugefügte Leid und Unrecht dient oftmals daran Interessierten zu einer vergleichenden Aufrechnung, wobei der Kontext missachtet oder willkürlich hergestellt wird und kausale Zusammenhänge vernachlässigt werden. Das den Bombardements deutscher Städte die Luftangriffe Londons oder Warschau vorangegangen waren, wird nicht thematisiert, wenn die Verluste nach dem Angriff auf Dresden beklagt oder gar maximiert werden., die Rolle der Sudetendeutschen Partei in der Tschechoslowakei zwischen 1933 und 1938 wird nicht erwähnt, wenn von tschechischer Grausamkeit bei der Vertreibung der Sudetendeutschen die Rede ist, die Methoden deutscher Okkupationsherrschaft in Polen sind vergessen, wenn der Verlust Schlesiens oder Pommerns als historisches Unrecht zum Gegenstand der Debatte gemacht wird und wenn die Vertreibungsverbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung dieser Gebiete thematisiert wird. Die Methode der einseitigen und ausschließlichen Schuldzuweisung dient dann vor allem der Exkulpation. Mit dem Pathos der Wehleidigkeit wird Anklage erhoben, um die Gefühle von Ohnmacht und Schuld auf der eigenen Seite zu lindern, um die Last unrühmlicher Geschichte zu erleichtern.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Geschichte Schwerpunkt Deutsches Reich / Nationalsozialismus
Kurt34  26.12.2021, 20:32

Die Verbrechen an Deutschen sind dadurch nicht gerechtfertigt, dass zuvor Deutsche (viele, aber nicht alle) unbestreitbare Schuld an anderen Völkern auf sich geladen haben. Das wäre auch Aufrechnen von Schuld. Die Bombardierung von Wohnvierteln ist verwerflich, egal ob die in Warschau, Dresden, Tel Aviv oder Bagdad liegen.

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Stressika  27.12.2021, 10:10
@Kurt34

Lesen Sie meinen Text bitte genau, hier ging es um Gespräche zu diesem Thema die oftmals dafür genutzt werden das eine gegen das andere Auszuwiegen.

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Dahika  27.12.2021, 14:34
@Kurt34

aber es gibt leider polit. Seiten, die das, was wir, anderen zugefügt haben, immerzu dadurch relativieren und entschuldigen.

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Ja, das darf man.

Mein Vater ist aus dem eingeschlossenen Königsberg mit dem berüchtigten "Treck der Deutschen" über die Ostsee geflohen. Die Angst vor dem, was die russische Armee ihnen antuen würde, war größer als alles andere.

Mein Vater hat niemals darüber gesprochen. Aber er hat massive Angst vor Wölfen und muss mehr als nur einmal gesehen haben, wie vor oder hinter ihnen Fuhrwerke ins Eis eingebrochen und unrettbar versunken sind.

Man sollte eines nur Vergessen: Die Zivilisten sind es immer, welche mehr als jeder andere unter jedem Krieg zu leiden haben. Daher wurden auch entsprechende Konventionen aufgestellt - wie zum Beispiel das vierte Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. Nur leider eben erst nach dem 2. WK.

... und selbstverständlich haben ALLE OPFER eines Krieges das Recht, das man über sie spricht und das Andenken an sie bewahrt, in dem man nicht vergessen macht, was der Grund für ihren Tod gewesen ist.

Wir dürfen niemals aufhören, es laut herauszuschreien. Jeder Mensch der gestorben ist in einem Krieg ist ein Mensch zuviel - egal welcher Nation, Religion, Hautfarbe oder welche Sprache er gesprochen hat.

Und selbstverständlich gilt das für die Opfer von Hiroshima genauso wie die von Stalingrad, dem Sudtenland oder Ostpreußen.

Dahika  27.12.2021, 14:29

aber auch für die Opfer, die Nazideutschland erst erzeugt hat. Oder?

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doch, natürlich darfst du das und das geschieht auch.

Allerdings sollte man sich hüten, das eigene schlimme Schicksal zu benutzen, um die Gräuel der Deutschen zu relativieren. Und das wird von gewissen Seiten zu gerne gemacht.

"Ja, wie die Deutschen die Polen und andere Völker behandelt hat, war schlimm. Aber uns ging es noch viel schlechter."

Was nämlich oft sehr gerne vornehm "vergessen" wird, ist dass das Eine -Vertreibung etc - die Folge des Anderen war. Die Deutschen Bewohner von Ostpreussen sind nicht aus Lust und Laune vertrieben worden.

Darf man nicht ehrlich

Sagt wer, dass man darüber nicht sprechen darf?

Meine Mutter kam aus Schlesien, war Vertriebene und wurde als Kind mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester, kurz nach Kriegsende, deportiert. Nachts aus dem Haus geholt, zum Bahnhof gebracht und dort mit unzähligen Anderen in Güterwaggons verfrachtet. Keiner wusste, in welche Richtung es ging, man befürchtete nach Osten. Glücklicherweise stellte sich irgendwann heraus, dass es Richtung Westen ging.

Meine "Schwiegeroma" stammte aus Ostpreußen, flüchtete als junge Frau mit ihren Geschwistern und der Mutter, vor Kriegsende, u.a. mit Bollerwagen z.T. über die zugefrorene Ostsee. Viele ließen ihr Leben, meine S.oma und ihre Familie überlebten dies nur mit knapper Not.

Meine Schwiegeroma hat ihre Heimat nie wieder gesehen.

Schicksale unter Unzähligen in diesem Zeitraum, die erzählt werden müssen und die es nicht zu vergessen gilt und dies unabhängig davon, wer für diese ganze Misere verantwortlich ist.

Natürlich darf man darüber sprechen, und ich habe den Eindruck, dass ein nicht unerheblicher Teil meiner älteren Verwandtschaft das mit einer gewissen Vorliebe tut.

Kniffelig wird es nur, wenn man anfängt, das Leid der einen gegen das Leid einer anderen Gruppe aufzurechenen. Die Regeln von Addition und Substraktion gelten eben nicht für Leid.

Man könnte es so zusammenfassen:

Sprechen ja - relativieren nein.