Wie kommt es, dass wir so "verklemmt" sind?
Trifft natürlich nicht auf alle zu. Ich beziehe mich hier auch nur auf Länder, die jetzt nicht dafür bekannt sind, besonders freizügig zu sein...
Ob das auf dich zutrifft, kann ich natürlich nicht sagen. Ich frage mich aber wann, wie und warum viele Menschen es so handhaben, dass Nacktheit etwas "unschickliches" oder privates ist?
Was hat dazu geführt, dass es z. B. an Stränden oder Seen als Erregung öffentlichen Ärgernisses gilt, wenn man nackt ist. In manchen Ländern ist das weniger ein "Problem" als in den anderen. Warum? Das kriegt man ja auch bereits im Kindesalter so mit, dass man sich an öffentliches Badestellen zu kleiden hat.
Klar, eine Frage der Erziehung. Aber ich frage mich eben, warum man das seinem Nachwuchs so beibringt
Ich hoffe, es ist verständlich was ich mich frage...
LG
8 Antworten
Also erstmal muss hier mit dem immer wieder gehörten Gerücht aufgeräumt werden, Nacktheit sei eine "Erregung öffentlichen Ärgernisses", also somit eine Straftat. Das ist NICHT so! Eine Verurteilung wegen "EöÄ" setzt zwingend eine sexuelle Handlung voraus. Nacktheit per se ist aber keine sexuelle Handlung. Es könnte im Höchstfall wegen "Belästigung der Allgemeinheit" (lediglich eine Ordnungswidrigkeit, wie z. B. falsch parken) verwarnt werden. Dazu muss sich aber auch die Allgemeinheit und nicht nur eine Einzelperson belästigt fühlen oder man muss davon ausgehen, dass die Allgemeinheit belästigt wird. Das wäre z. B. der Fall, wenn man nackt in eine Kirche, Synagoge oder Moschee geht.
An einem Strand oder See ist Nacktheit nicht besonders ungewöhnlich (schon gar nicht beim Umziehen) und die Besucher müssen damit rechnen, auf Nackte zu treffen, weswegen eine Anzeige nicht weiter verfolgt werden würde. Jedenfalls im Nordeuropäischen Kulturraum.
In den Perioden von etwa 1900 bis 1933 und 1965 bis 1995 war es durchaus weit mehr verbreitet, nackt zu baden. Mitte der 90er schwappte dann die Welle der US-amerikanischen Prüderie nach Europa rüber, wo es tatsächlich zu sehr, nach unserem Rechtsempfinden, merkwürdigen Gerichtsurteilen kam, weil dort die Auffassung vertreten wurde, andere, gerade Kinder, könnten beim Betrachten eines nackten Körpers Schaden nehmen, was natürlich völliger Quatsch ist, weil Kinder Nacktheit als das wahrnehmen, was es ist, nämlich natürlich. Durch ein noch nicht ausgeprägtes Sexualempfinden können Kinder Nacktheit nicht in einen sexuellen Kontext assoziieren. Nur wenn Kinder lernen Nacktheit sei "bäh pfui", entwickeln sie eine Abneigung gegen Nacktheit, die auf natürliche Art erst zu Beginn der Pubertät einsetzen würde.
Leider haben sich viele Menschen diesen amerikanischen Ansichten angeschlossen. Dazu kommt sicher auch die Einführung der Fotohandys und der schnellen Verbreitungsmöglichkeit durch das Internet, das viele Menschen davon abhält, nackt zu sein.
Nackt sein in der Öffentlichkeit ist nicht verboten, es sei denn jemand nimmt Anstoß daran...
Menschen haben ein natürliches Schamgefühl, ab einem bestimmten Alter wollen Kinder von anderen nicht mehr nackt gesehen werden, es sei denn, man "redet es ihnen aus", weil es "normal" sei. Selbst in überzeugten FKK-Familien wollen manche irgendwann nicht mehr nackt sein.
Laut Bibel begannen Adam und Eva sich zu schämen, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten. Vermutlich ist der Drang, sich zu bedecken aus dieser natürlichen Scham entstanden, abgesehen von einigen praktischen Argumenten (Schutz z. B. . siehe u.a. Penisköcher)
Würde jetzt auch dazu tendieren, das dies einfach natürlich ist! Die Religiöse Ansicht ,mit dem Schamgefühl und das es etwas mit der Kirche zu tun hat ist Blödsinn!
Jungen und Mädchen schämen sich im Kindesalter nicht für Ihre Nacktheit, weil es natürlich ist und normal. Mir wurde es nie abtrainiert und wir sind sogar am FKK Strand gegangen.Irgendwann hat sich einfach ein Schamgefühl entwickelt, einfach so, ohne das ich es wollte. Es war plötzlich einfach da. Bei manchen ist es mehr vorhanden und bei Anderen weniger. Das hat auch nichts mit Erziehung oder Moralische Bedenken zutun.
Ganz klar christliche Moral- und Ethik-Vorstellungen. Die werden den Menschen systematisch seit Jahrhunderten hierzulande eingetrichtert und selbst heute, wo die Kirche kaum noch etwas zu sagen hat (zumindest im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung) sind diese Werte längst verinnerlichtes allgemeines Kulturgut. Viele, die sich an diese Werte halten und sie an ihre Kinder weitergeben, sind sich des religiösen Ursprungs gar nicht mehr bewusst.
Ähnlich sieht es bei der Sprache aus. Unzählige deutsche Redewendungen entstammen der Bibel.
Der These widerspricht die Tatsache, dass es christliche FKK Vereine gibt und dass es früher, als die Kirche noch höher im Kurs stand, deutlich üblicher war, nackt zu baden.
Nein, das ist kein Widerspruch. Mit solchen Aktionen will die Kirche heute Toleranz und Offenheit demonstrieren. Die Kirchengeschichte ist gut dokumentiert. Selbst Statuen aus vorchristlicher Zeit wurden die Genitalien auf Geheiß der Kirche abgeschlagen und mit Feigenblättern verdeckt.
Eine Grundvoraussetzung für die Ausbildung einer solchen Weltanschauung dürfte wohl in einer fehlerhaften Auslegung religiöser Schriften bestehen. Meines Wissens existiert zwar in keiner der Weltreligionen, mit Ausnahme des Islam, in welchem bezogen auf die Schönheit der Frau von einer Verhüllung ihrer Aura die Rede ist, ein grundlegendes Verbot von körperlicher Nacktheit, aber dennoch wird ein solches in viele religiöse Kontexte hineininterpretiert. Doch das ist, wie gesagt, nur eine von vielen Erklärungen dafür, dass in manchen Gesellschaften Nacktheit als etwas Anrüchiges gilt! Denn wie man am Wandel der Einstellungen in unserem Land deutlich erkennen kann, unterliegt der Umgang mit öffentlicher Nacktheit immer auch kulturellen Schwankungen. Während das gemeine Volk im Mittelalter trotz dem moralischen Überbau der christlichen Kirche noch ganz selbstverständlich nackt in Flüssen und Seen badete, war es in der Weimarer Zeit eher verpönt, sich nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen. FKK - Bewegung und bündische Erziehung der 1920 iger Jahre läuteten zwar einen vorsichtigen Wechsel ein, welcher jedoch mit der NS - Diktatur weitgehend gestoppt wurde. Und in den Nachkriegsjahren gab es zwar einige zarte Versuche, die Einstellung der Deutschen im Umgang mit körperlicher Nacktheit grundlegend zu verändern, wobei es aber auch diesen Initiativen nicht wirklich gelang, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Erst durch die kulturelle Revolution der 1960 iger Jahre, welche öffentliche Nacktheit als das betrachtete, was sie ist, nämlich die normalste Sache der Welt, konnte in Teilen der Bevölkerung ein Umdenken erreicht werden. Und so erlebte FKK in dieser Zeit hüben wir drüben seine Blütezeit, wobei sich dieser Trend in der DDR auch längerfristig zu einer Massenbewegung etablierte, während bei den Besserwessi's nur ein oder zwei Jahrzehnte später wieder die Prüderie einzog! Heute unterliegt die öffentliche Nacktheit nicht zuletzt auch bedingt durch die massenhaft verbreitete Nutzung von Facebook und Co. sowie aufgrund der jederzeitigen Verfügbarkeit von digitalen Kameras, so einer Art Selbstzensur - und die neue deutsche Verklemmtheit und Prüderie ist größer als je zuvor! Nun liegt es an uns, wieder zu einem normalen Umgang mit öffentlicher Nacktheit zurückzufinden. Und dafür braucht es Menschen, die sich einen Dreck darum scheren, dass Bilder von ihrem nackten Körper massenhaft in den so genannten Sozialen Netwerken geteilt werden könnten und trotz alledem einen normalen Umgang damit pflegen, wobei diejenigen, die es sich am ehesten erlauben könnten, nämlich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vermutlich keine Ambitionen haben werden, unsere Gesellschaft in diese Richtung zu verändern!
Warum wird immer wieder behauptet das die Freikörperkultur durch die NS-Diktatur weitgehend gestoppt wurde? War das wirklich so? Oder war es in Wirklichkeit nicht so das ein öffentliches Nacktbaden bereits vor Hitlers Machtübernahme durch den Bracht-Erlass vom 18.03.1932 ausgesprochen war? War es nicht so das der von H.Göring am 3.03.1933 (zwei Tage vor der Wahl) ergänzende Verbot auch für Vereine nicht bereits am 23.04.1933 durch eine Führerbesprechung aufgehoben wurde? Ist es nicht so das Vereine überleben konnten wenn sie sich zum Nazi-Regime bekannten? War das wirklich ein Ende oder vielmehr der Beginn einer rassistische Nacktkultur? Soll ein dunkler Punkt der deutschen Geschichte einfach überspringen werden?
Hallo denkeanders, danke für Deinen wie ich finde sehr gelungenen Beitrag zu der Frage, ob FKK während - oder bereits vor der NS - Zeit eingeschränkt worden war! Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, könnte mir aber gut vorstellen, dass Du mit Deiner These des Beginns einer rassistisch geprägten Nacktkultur richtig liegst! Erhaltene Akt - Darstellungen aus dieser Zeit deuten nämlich m.E. drauf hin, dass man bestimmte Darstellungen von körperlicher Nacktheit, vorzugsweise solche, die einen sportlich aussehenden und dem arischen Ideal entsprechenden Körper zeigen, durchaus toleriert - bzw. sogar für Propagandazwecke genutzt hat! Ob und inwiefern FKK - Vereine überleben konnten, wenn sie mit dem Naziregime kooperiert haben, entzieht sich jedoch leider meiner Kenntnis! - Aber möglicherweise könntest Du auch damit richtig liegen!
Das Präsentieren äußerer Geschlechtsmerkmale wird als Aufforderung zum Sex angesehen. Deshalb ist es natürlich, diese vor Fremden zu verhüllen.
Je extremer die Handhabung dieses Umstandes ist und je mehr die Sexualität aus religiösen Gründen tabuisiert wird, desto stärker das Schamgefühl.
Gibt aber doch "Urvölker" die alle nackt sind - mal mindestens in der Oberweite. Da wird das doch auch nicht "als Aufforderung zum Sex angesehen"...?
Ist das so?
Dennoch während Männer und Jungs im freibad z.b in Badehose rumrennen schreit keiner auf. Aber wehe es ist eine Frau oder gar ein Mädchen - welches noch gar keine Oberweite hat - dann ist dann gleich was los. Obwohl die Brust für den Geschlechtsakt nicht notwendig ist.
Traut sich Frau dann aber doch oben ohne am Strand zu sein oder so, wird entweder geglotzt oder beschämt weggesehen. Warum? Weil es "nicht normal ist" Brüste zu zeigen. Obwohl jeder Frau sie hat/bekommt.
Die weiblichen Brüste gelten als sekundäre Geschlechtsmerkmale.
Das ist gut beschrieben, aber kann ich bei mir eig. nicht bestätigen, das deswegen mein Schamgefühl vor Nacktheit im öffentlichen Bereich entstanden ist.
Hervorragender Beitrag! 👍