Ein Bild werden sie beide nicht mehr los – das vom 5. Oktober 2008. Drei Wochen nach der spektakulären Pleite des amerikanischen Bankhauses Lehmann stehen Angela Merkel und Peer Steinbrück vor einigen eilends aufgebauten Kameras und verbürgen sich im Namen des Staates für alle privaten Spareinlagen. Es ist der Tag, an dem sich bis heute die unausgesprochene Sehnsucht vieler Deutscher nach einer Neuauflage der großen Koalition speist. Der Kanzlerin und ihrem Finanzminister ist es gelungen, eine Panik unter den Anlegern zu verhindern. Sie suggerieren eine Sicherheit, die es in diesem Moment zwar nicht wirklich gibt, die ihren Zweck aber erfüllt. Deutschland dreht nicht durch.
Für Peer Steinbrück, den Kanzlerkandidaten der SPD, macht das die Sache nicht einfacher. Als Herausforderer muss er im Wahlkampf vor allem das Trennende betonen, tatsächlich jedoch verbindet Angela Merkel und ihn mehr, als es auf den ersten Blick scheint: ein gesunder Pragmatismus, analytische Schärfe und kritische Distanz zu den Ideologen in ihren Parteien. Unter anderen Umständen wären sie ein gutes Team – er, der gemäßigte Sozialdemokrat, und sie, die eher liberal denkende Christdemokratin. Zwei, die so unaufgeregt miteinander regiert haben, wie es Union und FDP nie gelungen ist.
Für Steinbrück ist das Bild, das die Deutschen von ihm und ihr haben, eine Hypothek. Auf eine Wechselstimmung, wie 1998, nach 16 Jahren Helmut Kohl, kann er bisher nicht bauen. Im Gegenteil. Die Kanzlerin ist nach wie vor die populärste Politikerin des Landes, eine Meisterin des Ungefähren, schwer zu stellen für ihre Gegner und unangefochten in den eigenen Reihen. Das verkompliziert die Auseinandersetzung mit ihr auch für den angriffslustigen Steinbrück. Erschwerend hinzu kommt ein politisches Paradoxon. Obwohl viele Menschen ihre Politik der immer größeren Rettungsschirme mit diffusem Unbehagen verfolgen, schätzen sie Angela Merkel gleichzeitig für die nüchterne, besonnene Art, mit der sie das Land durch die europäische Schuldenkrise steuert.
Auch deshalb klingt Peer Steinbrück neuerdings so klassenkämpferisch, wenn er vom Bändigen der Banken redet, den anonymen Managern oder den entfesselten und entgrentzen Märkten, denen die Kanzlerin nichts entgegensetzen kann oder will.
Er muss sicher unterscheidbar machen, abgrenzen, polarisieren – und spielt dabei mit der Urangst der Deutschen vor Geldentwertungen und Wirtschaftskrisen. Tatsächlich würde er als Bundeskanzler nicht viel anders agieren, als sie. Konflikte im europäischen Einvernehmen lösen, die Sozialsysteme nicht ständig mit neuem Geld fluten und der Wirtschaft ihre Freiheiten lassen. Nur sagen darf er es nicht so laut. Die SPD-Linke ist schon argwöhnisch genug.
Ein Jahr vor der Wahl hat die Partei mit Steinbrück zwar den aus ihrer Sicht besten, weil für Angela Merkel gefährlichsten Spitzenkandidaten gefunden – auf Augenhöhe aber operiert der noch nicht.